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Preisanstieg Warum die Bundesregierung kaum Einfluss auf die Inflation hat

Markus Söder fordert eine Inflationsbremse, Friedrich Merz macht Finanzminister Olaf Scholz verantwortlich. Doch welche Rolle spielt Berlin bei den steigenden Preisen überhaupt?
15.09.2021 Update: 15.09.2021 - 19:57 Uhr Kommentieren
Ein paar Stellschrauben hat die Regierung bei der Preisentwicklung. Quelle: imago images/photothek
Finanzminister Olaf Scholz und Wirtschaftsminister Peter Altmaier

Ein paar Stellschrauben hat die Regierung bei der Preisentwicklung.

(Foto: imago images/photothek)

Berlin Die Preise steigen, die Anspannung im Wahlkampf auch. Da ist es kein Wunder, dass die Inflation auch zu einem Wahlkampfthema geworden ist. Im August stieg die nationale Teuerungsrate auf 3,9 Prozent – den höchsten Stand seit 28 Jahren. Besonders die Union hat sich auf das Thema eingeschossen.

CSU-Chef Markus Söder fordert eine „Inflationsbremse“, Friedrich Merz macht Finanzminister Olaf Scholz (SPD) höchstpersönlich verantwortlich. Der Preisanstieg trage „einen Namen: Olaf Scholz“, so Merz.

Dabei ist die Preisstabilität eigentlich originäre Aufgabe der Geldpolitiker – und die sitzen im Frankfurter Turm der Europäischen Zentralbank (EZB). Die große Frage daher lautet: Welche Rolle spielt die Finanzpolitik überhaupt in der Diskussion über die steigenden Verbraucherpreise? Kann sie die Inflation überhaupt stark beeinflussen? Und wenn ja, wie? Das Handelsblatt gibt Antworten auf diese Fragen.

Welche Verantwortung trägt die Politik für die aktuellen Preissteigerungen?

Rein technisch gesehen hat CDU-Politiker Merz mit seiner Kritik an Bundesfinanzminister Scholz zum Teil recht. Durch die Normalisierung der Mehrwertsteuer, die im vergangenen Jahr während der Krise gesenkt worden war, stiegen die Preise in diesem Jahr zwangsläufig.

Simon Junker, Konjunkturforscher am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), erklärt: „Das dürfte dieses Jahr knapp einen Prozentpunkt zur Inflation beisteuern.“ Finanzminister Scholz war federführend an dieser Entscheidung beteiligt, allerdings auch die Union.

Der Anstieg enteignet aber keinen Sparer, schließlich hat dieser im vergangenen Jahr auch von der Senkung profitiert. Und: Die Inflation war im Vorjahr auch außerordentlich gering. Auch deshalb fällt der Anstieg dieses Jahr so kräftig aus. Ökonomen sprechen vom „Basiseffekt“.

Unter Volkswirten herrscht weitgehend Einigkeit, worauf der sonstige Anstieg des Preisniveaus zurückzuführen ist: auf höhere Energiekosten, internationale Lieferengpässe und die gesteigerte Konsumlaune. Auf den Ölpreis hat Scholz allerdings genauso wenig Einfluss wie auf Hafenschließungen in China oder die Blockade des Suezkanals. Allein bei den enorm gestiegenen Strompreisen, bei denen die Hälfte inzwischen auf Steuern, Umlagen und Abgaben beruht, darf der Bundesregierung ein Mitwirken vorgeworfen werden.

Ist die Fiskalpolitik die aktuell größte Gefahr für die Inflation?

Nein, da sind sich die Ökonomen einig. Bis etwaige Investitionsprogramme einer neuen Bundesregierung laufen, wird es dauern. Gleichzeitig fußt die aktuelle Inflation mit Lieferengpässen oder dem Mehrwertsteuer-Effekt auf vorübergehenden Problemen.

Das heißt nicht, dass sich die Verantwortlichen nicht mit der Inflationswirkung ihrer Pläne für die Verschuldung auseinandersetzen müssten. Das ist aber eine mittel- bis langfristige Betrachtung. Kurzfristig wird eher vor einer Lohn-Preis-Spirale gewarnt. Die Sorge: Die Gewerkschaften können als Inflationsausgleich höhere Löhne fordern. Das ist aber nicht Sache der Politik. Die Tarifpartner sind schließlich autonom.

Kann die Politik durch höhere Schulden die Teuerung noch verschlimmern?

Diese Frage ist grundsätzlicher. Das benennt die CDU auch in ihrem Wirtschaftsprogramm. „Wir brauchen Stabilität in Europa – in der Geld- wie auch in der Fiskalpolitik. Daher müssen wir die hohen Staatsschulden nach der Pandemie wieder reduzieren“, heißt es. Auch Söder warnte in diesem Kontext vor Inflation: „Wenn Deutschland mit schlechtem Beispiel vorangeht und die Schuldenschleusen öffnet, dann gibt es auch in anderen europäischen Ländern kein Halten mehr.“

Die Union begibt sich damit auf ökonomisch heikles Terrain. Seit Jahrzehnten versuchen Ökonomen, den Zusammenhang von Staatsverschuldung und Preisniveau zu erklären, immer wieder mit unterschiedlichen Ergebnissen.

Die alten keynesianischen Modelle aus der Nachkriegszeit besagten: Expansive Finanzpolitik sorgt für eine Steigerung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage. Das kann zu mehr Inflation führen, muss es aber nicht, schließlich kann sich auch das Angebot ausdehnen. Nach Vorstellungen des Monetarismus sorgt schon eine Ausweitung der Geldmenge durch eine expansive Finanzpolitik allein für Inflation. In modernen Theorien spielen die Erwartungen eine entscheidende Rolle.

Das bringt die Frage zurück zur Staatsverschuldung. Einige Ökonomen warnen davor, dass die EZB ihre Unabhängigkeit aufgrund der hohen Staatsschulden mancher Euro-Länder schon verloren hat. Durch eine lockere Geldpolitik müsse die Notenbank für Inflation sorgen, um Schulden der Staaten tragbar zu machen.

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Denn wenn das Geld weniger wert ist, wird deren Schuldenlast geringer. Entsprechend uneins ist sich auch die deutsche Ökonomen-Szene. Eher linke Ökonomen, die sich auch von der Schuldenbremse in ihrer ursprünglichen Form lösen wollen, sehen keine Inflationsgefahr in der Staatsverschuldung.

„Ich glaube vielmehr, dass wir in Europa schon recht bald wieder das alte Problem haben, nämlich ein systematisches Unterbieten des Inflationsziels – also deflationäre säkulare Stagnation“, sagt der Düsseldorfer Ökonom Jens Südekum. Staatsverschuldung durch Investitionsprogramme der neuen Bundesregierung seien kein Problem. Hinzu kommt: Die staatlichen Ausgaben machen bloß einen Bruchteil der wirtschaftlichen Gesamtausgaben aus. Hans Gersbach, Inhaber des Lehrstuhls für Makroökonomie an der ETH Zürich, sagt: „Öffentliche Investitionen sind zu gering, als dass sie zum großen Preistreiber werden könnten.“

Liberale Wissenschaftler mahnen dennoch zur Vorsicht. „Historisch gesehen hängen Staatsschulden und Haushaltsdefizite eng mit Inflation zusammen“, sagt der Wirtschaftsweise Volker Wieland. Ein dauerhaftes Aussetzen der Schuldenregeln treibe in einer Phase des Aufschwungs die Preise. Auch Gersbach meint: „In einer absoluten Boomphase könnten falsche Signale vom Staat – ob durch öffentliche Investitionen oder private Konsumanreize – eine ausufernde Geldentwertung befeuern.“

Wie kann die Politik sonst noch die Inflation direkt beeinflussen?

CSU-Chef Söder forderte „eine Obergrenze für die Inflation“, die Bundesregierung müsse sich um das Thema kümmern. Die Frage ist nur: wie? Schließlich hat die EZB längst eine Inflationsbremse: ihr Inflationsziel. Das gilt allerdings für den Schnitt aller Euro-Länder. Ein innerdeutsches Inflationsziel existiert überhaupt nicht.

Bert Rürup, Präsident des Handelsblatt Research Institute, sagt: „Wer eine deutsche Inflationsbremse will, der muss aus dem Euro austreten.“ Die Forderung sei ein „ziemlich durchsichtiges Wahlkampfmanöver“, meint Ökonom Südekum.

Über das europäische Inflationsziel hinaus ein deutsches zu setzen und zu versuchen, dieses mithilfe von fiskalpolitischen Maßnahmen zu erreichen, halten Ökonomen für eine schlechte Idee. Ökonom Gersbach sagt: „Eine staatlich verordnete Inflationsbremse, welche die Preissteigerungen bei einem ganzen Güterbündel unterbinden sollte, wäre ineffizient und hätte kaum den gewünschten Effekt, weil sich die Nachfrage zum Beispiel einfach verschieben würde.“

Söders Vorstoß findet sich im am Mittwoch von der CDU vorgestellten Wirtschaftsprogramm wieder. Von einer Inflationsbremse ist dort aber keine Rede mehr. Stattdessen schlägt die Partei einen Abbau der kalten Progression und einen höheren Arbeitnehmerpauschbetrag vor. Ähnlich äußerte sich Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier. Es sei nötig, „überbordende Entwicklungen in einzelnen Bereichen abzufedern“. Der‧artige Maßnahmen würden Sparern vielleicht in Zeiten steigender Preise helfen, haben mit der Inflation direkt aber nichts zu tun.

Konkreter als Söder ist der FDP-Parteivorsitzende Christian Lindner. „Wir brauchen einen Stopp von politisch verursachter Inflation. Jedes neue Gesetz, das zu einer Verteuerung des Alltagslebens führt, muss an anderer Stelle zur Entlastung führen“, erklärte Lindner. Im Fall höherer CO2-Preise sollten etwa Energiesteuern gesenkt werden.

Derartige Entlastungen würden tatsächlich für eine geringere Inflationsrate sorgen. Fraglich ist aber, ob dieser Effekt primär das Ziel von einer fiskalpolitischen Maßnahme sein sollte. Wirtschaftswissenschaftler Südekum kritisiert: „Die Forderung nach einem Ausgleich für steigende CO2-Preise hat nichts mit Inflation zu tun.“ Eine Entlastung bei Belastung an anderer Stelle entspreche bloß dem volkswirtschaftlichen Lehrbuch.

In welchem Verhältnis stehen Fiskal- und Geldpolitik grundsätzlich?

Auch wenn in Europa wie in vielen anderen Länder die Notenbank unabhängig ist: Geld- und Fiskalpolitik hängen voneinander ab, je nachdem, ob fiskalische oder monetäre Dominanz gilt. Die monetäre Dominanz besagt, dass die Notenbank frei in ihrem Handeln ist und sich ohne Einschränkungen durch die Ausgabenwünsche ihrer Kollegen im Finanzministerium ihrem wichtigsten Ziel widmen darf: der Stabilität der Preise.

Fiskalische Dominanz bedeutet, dass die Notenbank ihre Geldpolitik so zu wählen hat, dass sie der Haushaltspolitik genügt. Die EZB muss sich seit Jahren dem Vorwurf aussetzen, sie ermögliche mit ihrer expansiven Geldpolitik die günstige Verschuldung einiger hochverschuldeter Staaten im Euro-Raum.

Für die Inflation wie auch für die Pläne für Zukunftsinvestitionen der nächsten Bundesregierung wird es von entscheidender Bedeutung sein, wer im Clinch um Inflation und Staatsverschuldung am Ende recht behalten wird. Nähere Erkenntnisse dürfte es in nicht mehr allzu ferner Zukunft geben. EZB-Direktoriumsmitglied Schnabel deutete in ihrer Rede am Montag vorsichtig die Möglichkeit eines Kurswechsels bei der expansiven Geldpolitik an.

Mehr: EZB-Direktorin Schnabel: „Inflation ist weiterhin eher zu niedrig“.

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