Projekt der Bundesregierung Digitaler Aufbruch oder Millionengrab? Zweifel an „Nationaler Bildungsplattform“

Die Lernplattform „mebis“ steht bayerischen Schulen zur Verfügung. Die Bundesregierung will alle bestehenden digitalen Angebote nun auf einer Plattform vernetzen.
Berlin Die geplante „Nationale Bildungsplattform“ ist das zentrale Bildungsprojekt der Bundesregierung für die digitale Welt. Schon 2018 angekündigt, ist der Start nun für 2023 geplant. Doch die Pläne sind noch extrem vage, der Nutzen unklar und Sicherheitsfragen ungeklärt.
Das zeigt die Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion, die dem Handelsblatt vorliegt. „Insgesamt scheint die Plattform nicht geeignet, digitales Lernen einfacher zu machen, sondern schafft eher neue Probleme“, fürchtet daher die bildungspolitische Sprecherin der Linksfraktion, Birke Bull-Bischoff.
„Für ein solch aufgeblähtes Plattform-Theater sollen 630 Millionen Euro fließen – die Nationale Bildungsplattform droht der BER der digitalen Bildung zu werden“, sagte sie dem Handelsblatt in Anspielung auf die Pannengeschichte des neuen Hauptstadtflughafens.
Der Plan ist in der Tat ehrgeizig: Die Nationale Plattform soll Bürgern Zugang zu allen öffentlichen und privaten digitalen Plattformen und Bildungsangeboten bieten. Das reicht von Programmen für die Schulen (etwa die HPI SchulCloud und das Portal „WirLernenOnline“) über das „vhs-Lernportal“ der Volkshochschulen bis hin zu Angeboten der Hochschulen. Und natürlich soll alles europaweit anschlussfähig sein.
Die Nutzer sollen zudem „ein individualisiertes Angebot, Orientierung, Unterstützung und Beratung erhalten“, heißt es in der Antwort des Ministeriums. So könne jeder „individuell und flexibel lernen“. Obendrein sollen die Lernenden auf der Bundes-Plattform Daten und Zeugnisse „digital sicher hinterlegen“ können.
Komplexe technische Anforderungen
Aber: „Die technischen Anforderungen sind so komplex, dass sie in der kurzen Zeit kaum wasserdicht erfüllt werden können“, warnt Bull-Bischoff, „vor allem nicht, wenn man die verschiedenen Interessenslagen der Anbieter berücksichtigt, die die Plattform vernetzen soll“.
Dass alle Anbieter gemeinsame Standards, Formate und Strukturen verwenden sollen, kritisierten die Linke als illusorisch: Das sei „angesichts der Diversität der Angebote und der Interessen der Anbieter kaum machbar“. Insgesamt gibt es nach einer Studie des Handelsblatt Research Institute (HRI) allein auf dem Markt für Weiterbildung rund 25.000 meist sehr kleine Anbieter. Das HRI hatte den Bund daher dringend aufgefordert, den völlig unübersichtlichen Markt zu strukturieren.
Die Bundesregierung räumt offen ein, dass auch sie keinen Überblick über die Plattformen und Angebote hat, die sie vernetzen möchte. Das sei auch nicht nötig, denn diese hätten „ganz andere Ziele“, schreibt das Ministerium. Die nationale Plattform solle ja lediglich die Vernetzung organisieren.
Unklar ist auch, welchen Aufwand einzelne Bildungsinstitutionen wie beispielsweise Schulen betreiben müssen, damit sie sich auf der nationalen Plattform präsentieren oder diese nutzen können. Das „lässt sich derzeit noch nicht abschätzen, da die technischen Details dazu noch weiter spezifiziert und erprobt werden müssen“, heißt es dazu.
Datenschutz nicht ausreichend berücksichtigt
Misstrauisch ist die Linke mit Bick auf die Sicherheit: Die Plattform berge große Risiken für Datenschutz und Datensicherheit – vor allem für besonders schützenswerte Daten von Kindern und Jugendlichen. Das gelte vor allem auch bei der Hinterlegung und dem Austausch von Zeugnissen oder Daten der Nutzer.
Vor allem Lerndaten sind etwa für die Entwicklung von KI-gesteuerten Lernprogrammen extrem wertvoll: Um „richtige“ Algorithmen zu entwickeln, brauche es zudem ausreichende und sichere Datenressourcen, mit denen die Programme lernen könnten, forderte unlängst eine Studie der Deutschen Telekom Stiftung.
Unverzichtbar für die Nationale Bildungsplattform sei ein komplexes Datenschutz- und IT-Sicherheitskonzept, so die Linksfraktion. Vor diesem Hintergrund sei es „vollkommen unverständlich, warum das Ministerium nicht schon bei der Konzeption den Bundesdatenschutzbeauftragten hinzugezogen“ habe. Absehbar sei hingegen, „dass die Daten der Lernenden den beteiligten Anbietern sehr nützlich sein werden“.
Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Ulrich Kelber, sagte auf Anfrage dazu: „Eine frühzeitige Beteiligung des Bundesbeauftragten, egal ob bei Gesetzesvorhaben oder IT-Projekten, hat immer den Vorteil, dass nicht erst im Nachhinein vermeidbare Fehler gefunden werden.“ Denn die Behebung solcher Fehler „kostet Geld, Zeit und das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger“. Er werbe daher dafür, „dass man die Möglichkeiten der vertraulichen Beratung nutzt, bevor es zu spät ist“.
Mehr Vertrauen in die Sicherheit könnten die vier vom Bund ausgeschriebenen Prototypen für die Plattform schaffen – jedoch nur, wenn sie als Open Source Software entwickelt würden, meint die Linksfraktion. „Aber diese Chance lässt die Bildungsministerin aus“, kritisiert Bull-Bischoff. Das sei „auch aufgrund der kurzen Entwicklungszeit“ nicht möglich, heißt es in der Antwort auf die Anfrage. Die endgültige Plattform soll aber einen öffentlich zugänglichen Code haben.
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