Putin bei Merkel Die Eiszeit zwischen Deutschland und Russland hat ein Ende – dank Trump
![Die beiden Staatschef konzentrieren sich wieder auf gemeinsame Interessen. Quelle: [M] Anadolu Agency/Getty Images](/images/angela-merkel-und-wladimir-putin/22920804/4-format2020.jpg)
Die beiden Staatschef konzentrieren sich wieder auf gemeinsame Interessen.
Berlin Sie saß noch in der zweiten Reihe damals, am 25. September 2001, als ein schmächtiger, fast jungenhafter russischer Präsident namens Wladimir Wladimirowitsch Putin unter der Kuppel des Reichstags stand und in fließendem Deutsch eine bessere Welt versprach. Angela Merkel war noch nicht Kanzlerin, noch nicht einmal Oppositionsführerin, die Machtfrage in der Union war noch nicht entschieden.
Während Putin Russland im Bundestag als „ein freundlich gesinntes europäisches Land“ ausgab und „den stabilen Frieden auf dem Kontinent“ zum Hauptziel seiner Politik erklärte, musterte Merkel ihn mit skeptischer Mine. Und obwohl auch sie sich nach der Rede bei den Ovationen der Parlamentarier erhob, warnte sie Fraktionskollegen, dem Kremlchef zu trauen.
Merkel hatte Zweifel an Putins Aufrichtigkeit, schon immer. Und sie haben sich bestätigt, wenngleich mit einer Heftigkeit, auf die auch Merkel nicht vorbereitet war. Statt Frieden zu stiften, hat Putin Nachbarländer überfallen. 2008 Georgien, 2014 die Ukraine. Es herrscht wieder Angst in Europa, manche sagen: ein neuer Kalter Krieg.
Doch in den vergangenen Monaten hat sich die Dynamik in den deutsch-russischen Beziehungen verändert. Die ungelösten Konflikte treten zurück, gemeinsame Interessen rücken wieder in den Vordergrund. Am Samstagabend empfängt Merkel Putin auf Schloss Meseberg bei Berlin – drei Monate nachdem er sie im russischen Sotschi hofiert hatte.
„Es gibt die Möglichkeit, gemeinsame Positionen zu entwickeln“, sagt Jürgen Hardt, außenpolitischer Sprecher der CDU. Stefan Meister, Russlandexperte der deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, stimmt zu: „Der Druck auf Merkel und Putin wächst, sich wieder miteinander zu engagieren. Beide wissen, dass sie einander brauchen.“
Putin hat viele westliche Staatenlenker kommen und gehen sehen. George W. Bush und Barack Obama, Tony Blair, David Cameron, Jacques Chirac und Nicolas Sarkozy. Nur Merkel ist geblieben. Mit keiner anderen Staatschefin verbindet ihn eine so lange, so wichtige und so schwierige Beziehung. Sie regiert seit 2005, er seit 2000 – mit einer vierjährigen Unterbrechung zwischen 2008 und 2012. Sie sind beinahe gleich alt – 64 sie, 65 er –, sprechen die Sprache des anderen. Beide hat das Leben in der DDR geprägt, sie als Bürgerin in einer Diktatur, ihn als Spion. Sie duzen sich. Und sie belauern sich.
Putin hat Merkel getestet, nach ihren Schwächen gesucht und schreckte auch vor KGB-Methoden nicht zurück. Er hat sie warten lassen, manchmal stundenlang, um ihr seine Macht zu demonstrieren. Unvergessen ist der amüsierte Blick, mit dem er 2007 beobachtete, wie sie beim Besuch in seiner Sommerresidenz erstarrte, als plötzlich sein massiver schwarzer Labrador „Koni“ durch den Raum streunte. Merkel fürchtet sich vor Hunden. Putin behauptete später, er habe davon nichts gewusst. Er ist ein Großmeister des Abstreitens.
Merkel hat die Machtspiele satt, findet Putins Machogehabe lächerlich. Auch dieser Moment bleibt im Gedächtnis: Ein Zwiegespräch beim G20-Gipfel in Hamburg, er hebt den Finger und doziert darauf los, sie verdreht genervt die Augen. Die Szene wurde unter dem Begriff „Epic Eye Roll“ zum Klick-Hit im Internet.
Im Verhältnis der beiden verdichtet sich der Systemwettbewerb der „postamerikanischen Welt“, die der US-Politologe Fareed Zakaria schon 2008 heraufziehen sah. Die Rollen sind klar verteilt: Putin ist die Galionsfigur des neuen Nationalismus, Merkel die Ikone der liberalen Demokratie. Er betreibt ruchlose Machtpolitik, setzt auf Einschüchterung, Gewalt und Einflusszonen. Sie hält den Multilateralismus hoch, Diplomatie, internationales Recht und außenpolitische Verlässlichkeit.
Die Kanzlerin weiß, dass Putin sie belügt, wenn er die russische Unterstützung für die Separatisten in der Ukraine kleinredet, die Verwicklung der russischen Armee in den Abschuss der Passagiermaschine MH 17 abstreitet oder die Beteiligung am Nervengiftanschlag auf den übergelaufenen Agenten Sergej Skripal leugnet. Doch sie schluckt ihren Ärger herunter, hat den Gesprächsfaden nach Moskau nie abreißen lassen und immer nach Möglichkeiten für Kompromisse gesucht. Diese Suche war lange beinahe aussichtslos. Jetzt nicht mehr.
Merkel und Putin sind mit einer neuen Realität konfrontiert: der erratischen Politik der USA. Washington ist unberechenbar geworden, für Verbündete in Deutschland genauso wie für Rivalen in Russland. Der Grund trägt einen Namen: Donald Trump. Putin hat viel riskiert, um Trumps Aufstieg zu befördern. Er hat sich mit einer Cyberkampagne in den amerikanischen Wahlkampf eingemischt und großen Anteil daran, dass der Russland-Fan Trump und nicht die Merkel-Bewunderin Hillary Clinton als 45. Präsident der USA vereidigt wurde.
Doch die russische Erwartung, dass Trump eine Verständigung zwischen Washington und Moskau einleiten könnte, hat sich zerschlagen. Zwar kommt dem US-Präsidenten kein schlechtes Wort über Putin über die Lippen. Doch Trump ist nur für die Showeinlagen zuständig. Das Gipfeltreffen in Helsinki etwa, wo er Putin beinahe um den Hals fiel.
Nur stellt die entscheidenden Weichen der amerikanischen Russlandpolitik nicht der Präsident, sondern sein Apparat. Trumps Putin-Freundlichkeit wird durch die Sanktionslust seines Sicherheitsteams – und vor allem: des Kongresses – mehr als kompensiert. Aus Sicht des Kremls erweist sich Trump als nützlich, um die transatlantischen Allianz aus der Balance zu bringen. Doch das war es dann auch. „Putin ist sich bewusst: Er kann sich auf Trump nicht verlassen“, erläutert Russlandexperte Meister. „Das Verhältnis zwischen Moskau und Washington ist vergiftet und blockiert.“
Gerade haben die Amerikaner weitere Sanktionen angekündigt, als Vergeltung für die Vergiftung des Agenten Skripal. Die US-Blockade hat sich zur Gefahr für die russische Wirtschaft entwickelt – und bedroht auch deutsche Interessen. Allen voran: die Ostsee-Pipeline Nord Stream 2, durch die noch mehr russisches Gas nach Deutschland strömen soll.
Der Frust über Washingtons Sanktionspolitik führt die deutsche und die russische Regierung auch beim Streit über das Atomabkommen mit dem Iran zusammen. Trump hat den Deal, den sein Vorgänger Barack Obama gemeinsam mit Europäern, Russen und Chinesen ausgehandelt hatte, im Alleingang aufgekündigt und droht jedem Unternehmen, das sich nicht aus dem Iran zurückzieht, mit empfindlichen Strafen. Moskau hält das für illegal, Berlin auch. „Wir wehren uns gegen mögliche exterritoriale Wirkungen von US-Sanktionen gegen Russland“, betont CDU-Politiker Hardt.
Schwieriger werden die Gespräche in Meseberg, wenn sie sich der Ukraine und Syrien zuwenden. In Syrien haben Merkel und Putin sehr unterschiedliche Vorstellungen davon, wie eine Friedensordnung aussehen könnte. Und der Konflikt in der Ukraine ist festgefahren.
Immerhin eines will Merkel erreichen: Putin davon zu überzeugen, auch künftig russisches Gas durch die Ukraine zu leiten. Transiteinnahmen aus dem Energiegeschäft sind eine wichtige Einnahmequelle für Kiew. Merkel will so dem nicht nur in Washington erhobenen Vorwurf entgegentreten, die energiepolitischen Interessen der Nachbarn in Osteuropa zu ignorieren.
Der große Durchbruch wird in Meseberg nicht erwartet, ein Freundschaftsfest erst recht nicht. Aber womöglich gelingt ein Schritt auf dem langen Weg zurück zur Normalität.
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