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Ramelow abgewählt Überraschung in Thüringen: FDP stellt Ministerpräsidenten – mit Stimmen der AfD

Bodo Ramelow ist abgewählt, der FDP-Politiker Thomas Kemmerich ist sein Nachfolger im Amt. Im dritten Wahlgang wurde er von CDU und AfD unterstützt.
05.02.2020 Update: 05.02.2020 - 14:58 Uhr 10 Kommentare
Kemmerich erhielt im dritten Wahlgang auch Stimmen von der AfD. Quelle: Reuters
Thomas Kemmerich (FDP) mit dem AfD-Politiker Björn Höcke (rechts)

Kemmerich erhielt im dritten Wahlgang auch Stimmen von der AfD.

(Foto: Reuters)

Erfurt Bei der Wahl zum Ministerpräsidenten ist überraschend der FDP-Politiker Thomas Kemmerich zum Regierungschef gewählt worden. Er setzte sich bei der Abstimmung am Mittwoch im Landtag in Erfurt im entscheidenden dritten Wahlgang auch mit Stimmen von CDU und der AfD von Parteichef Björn Höcke gegen den bisherigen Amtsinhaber Bodo Ramelow (Linke) durch.

Der von der AfD aufgestellte parteilose Kandidat Christoph Kindervater erhielt im dritten Wahlgang keine Stimme. Die Entscheidung zwischen Kemmerich und Ramelow fiel denkbar knapp aus. Auf den bisherigen Regierungschef entfielen 44 Stimmen, Kemmerich erhielt 45 Stimmen. Es gab eine Enthaltung.

Nach Angaben der Staatskanzlei werden am Mittwoch keine Minister ernannt. Auch eine Kabinettssitzung finde nicht statt, hieß es in der Mitteilung der Regierungszentrale in Erfurt. Kemmerich selbst wollte sich am Nachmittag zunächst im Plenum des Landtages, danach in einem Pressestatement öffentlich äußern.

Politiker der anderen Parteien reagierten empört auf die Wahl Kemmerichs. Der stellvertretende SPD-Chef Kevin Kühnert twitterte: „Der Tabubruch, der AfD zu echter Macht verholfen zu haben, wird nun für immer mit CDU und FDP verbunden sein. Die Masken sind gefallen. Es werden jetzt spannende Tage.“ SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil erklärte: „Ein Tag an dem sich ein Ministerpräsident mit den Stimmen von CDU, FDP und AfD an die Macht wählen lässt, ist ein Tiefpunkt der deutschen Nachkriegsgeschichte.“

Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt erklärte: „Unfassbar! Die heutige Wahl von Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten mit Stimmen der AfD ist kein Unfall, sondern ein bewusster Verstoß gegen die Grundwerte unseres Landes. Mit Feinden der Demokratie lässt sich keine Zukunft für Thüringen gestalten.“

Dietmar Bartsch, Fraktionschef der Linken im Bundestag, twitterte: „Bodo Ramelow gebührt Dank und Respekt für fünf engagierte und erfolgreiche Jahre als Ministerpräsident! Unfassbar, dass ausgerechnet die FDP den Tabubruch begeht und sich von der Höcke-AfD wählen lässt. Liberal? Einfach Pfui! Die Geister, die Zauberlehrling Kemmerich rief ...“ Der Erfurter Politikwissenschaftler André Brodocz sagte im MDR: „Das ist das erste Mal in der Geschichte der Bundesrepublik, dass ein Ministerpräsident mit den Stimmen der AfD ins Amt gewählt wurde.“

FDP-Vize Wolfgang Kubicki sagte der Deutschen Presse-Agentur: „Es ist ein großartiger Erfolg für Thomas Kemmerich. Ein Kandidat der demokratischen Mitte hat gesiegt. Offensichtlich war für die Mehrheit der Abgeordneten im Thüringer Landtag die Aussicht auf fünf weitere Jahre Ramelow nicht verlockend.“ Kubicki sagte weiter: „Jetzt geht es darum, eine vernünftige Politik für Thüringen voranzutreiben. Daran sollten alle demokratischen Kräfte des Landtages mitwirken.“

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Als erstes Mitglied der Bundesregierung gratulierte die Staatsministerin für Digitales im Kanzleramt, Dorothee Bär (CSU), dem neuen thüringischen Ministerpräsidenten zur Wahl. „Herzlichen Glückwunsch, lieber Thomas Kemmerich!“, twitterte sie.

Thüringens CDU-Chef Mike Mohring erklärte, Kemmerich müsse deutlich machen, „dass es keine Koalition mit der AfD gibt“. Er bestätigte, dass seine Fraktion im dritten Wahlgang Kemmerich unterstützt habe. Auf eine Mehrheit kam der FDP-Politiker in geheimer Wahl mutmaßlich aber nur mit Hilfe der AfD, der zweitstärksten Fraktion. Darauf angesprochen sagte Mohring: „Wir sind nicht verantwortlich für das Wahlverhalten anderer Parteien.“

Thomas Kemmerich ist der neue Ministerpräsident Thüringens. Quelle: AFP
Vereidigung

Thomas Kemmerich ist der neue Ministerpräsident Thüringens.

(Foto: AFP)

AfD-Landeschef Björn Höcke bezeichnete die Ministerpräsidentenwahl als „einen Neustart der Thüringer Politik“. Die AfD habe ihr Wahlversprechen gehalten, sagte er in Erfurt. „Wir wollten Rot-Rot-Grün beenden.“ Unter der Regierung von Linke, SPD und Grünen habe sich Thüringen zu einem Linksstaat entwickelt. „Dieser Prozess ist heute gestoppt worden.“ Er hoffe, dass von dieser Wahl ein Signal ausgehe, das bundesweit beachtet werde.

Der Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion, Alexander Gauland, erklärte: „Thüringen hat einen Ministerpräsidenten mit einer demokratischen Mehrheit, die den Willen der Wähler abbildet.“ In Thüringen habe sich gezeigt, dass die Strategie, die AfD auszugrenzen, nicht funktioniere. „Wir gratulieren Thomas Kemmerich zu seiner Wahl und wünschen ihm eine glückliche Hand“, sagte Gauland.

Kemmerich ist erst der zweite Ministerpräsident der FDP in der Geschichte der Bundesrepublik. Der liberale Politiker Reinhold Maier war von 1945 bis 1952 Ministerpräsident von Württemberg-Baden und dann von April 1952 bis September 1953 Regierungschef des neuen Bundeslandes Baden-Württemberg.

Die Thüringer FDP hatten den Einzug ins Parlament bei der Wahl im vergangenen Herbst nur denkbar knapp geschafft und die Fünf-Prozent-Hürde um nur 73 Stimmen übersprungen. Ramelows angepeiltes Bündnis von Linke, SPD und Grünen verfügte nach dem Urnengang nur noch über 42 von 90 Mandaten im Landtag. Allerdings hatten Christdemokraten und Liberale kategorisch ausgeschlossen, mit der von Fraktionschef Björn Höcke geführten AfD zusammenzuarbeiten. Gemeinsam kommen die drei Fraktionen auf 48 Sitze.

Thüringer Linke-Chefin wirft Kemmerich Blumen vor die Füße

Aus Protest gegen die Wahl von Thomas Kemmerich zum neuen Ministerpräsidenten von Thüringen warf Linke-Landeschefin Susanne Hennig-Wellsow ihm einen Blumenstrauß vor die Füße. Was heute im Landtag passiert sei, sei „von langer Hand geplant“ gewesen, sagte sie im Erfurter Landtag. Mit einem Trick und Zockerei stelle die FDP nun den Regierungschef. Nun sei „ein Fünf-Prozent-Mensch“ Ministerpräsident, der sich mit den Stimmen einer extrem rechten Partei ins Amt habe wählen lassen. Sie schäme sich für Kemmerich.

Bodo Ramelow hatte eigentlich eine rot-rot-grüne Minderheitsregierung in Thüringen unter seiner Führung angepeilt. Wegen der fehlenden Mehrheit hatte auch die AfD mit dem parteilosen Kindervater einen eigenen Kandidaten ins Rennen geschickt. Nachdem Ramelow in den beiden ersten Wahlgängen erwartungsgemäß die absolute Mehrheit verfehlt hatte, warf Kemmerich im dritten Wahlgang ebenfalls seinen Hut in den Ring.

Ramelow war seit 2014 Regierungschef des Freistaats und der erste Ministerpräsident der Linken in Deutschland. Doch obwohl seine Partei mit 31 Prozent die Wahl im Herbst 2019 klar gewonnen hatte, ging die Mehrheit der bisherigen Regierung von Linke, SPD und Grünen verloren. Dennoch hatten die bisherigen Koalitionspartner am Dienstag einen neuen Regierungsvertrag unterschrieben.

Mehr: Ex-Bundespräsident Gauck empfiehlt CDU begrenzte Duldung einer Linken-Regierung in Thüringen.

Hennig-Wellsow: „Das hat nichts mit Demokratie zu tun“

  • dpa
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10 Kommentare zu "Ramelow abgewählt: Überraschung in Thüringen: FDP stellt Ministerpräsidenten – mit Stimmen der AfD"

Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.

  • Das hat sehr wohl mit Demokratie zu tun, Frau Hennig-Wellsow. Denn nur, weil es dem einen mehr, dem anderen weniger moralisch verwerflich erscheint, ist es lange nicht undemokratisch. Noch ist die AFD - mich widert diese Partei und insbesondere ihre Anhänger und rassistischen Sprücheklopfer an - als demokratische Partei zu betrachten. Das gilt solange, bis juristisch final das Gegenteil festgestellt wurde. So ist das in unserem Land, in unserer Demokratie. Wenn ich mich recht erinnere, ist Die Linke in direkter Linie aus der PDS und diese aus der SED - der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands - hervorgegangen. Die SED wiederum war die Staatspartei der DDR - einem anerkanntermaßen undemokratischem Staat und System, welches nachweislich in menschenverachtender Weise seine Kritiker wider jede rechtsstaatliche Grundgedanken verfolgt, terrorisiert und gequält hat. Wer also im Glashaus sitzt, möge die Steine, die er (immer noch ?!) in der Hand hält, bitte nicht noch werfen !!!

  • "Thüringen habe sich zu einem Linksstaat entwickelt". Thüringen ging es die letzten Jahre unter Bodo Ramelow sehr gut. Der betrieb nämlich trotz seiner Parteizugehörigkeit mittige Politik. Dass die CDU aus Prinzip nicht mit der Linken koalieren will, und stattdessen eher die AfD bevorzugt, wird ihnen nicht vergessen werden.

  • Da wollte sich Hr. Ramelow in einem parlamentarisch rein formalen Akt nur sein Amt bestätigen lassen und wurde "Rubbel-die-Katz" abgewählt! Oh Schreck, Oh Schreck! Das Amt ist weg! Die Linke ist empört!
    So ne doofe Katastrophe!









  • Interessanter Kommentar. Die Frage ist auch: die FDP hat in Thüringen 5% erreicht. Will der Bürger, dass diese Partei den MP stellt? Auf jeden Fall hat die FDP und die CDU geholfen, dass die AFD einen MP wählt. Wahrscheinlich ging es darum, Herrn Ramelow eins auszuwischen.

  • Die etablierten Parteien stehen tatsächlich dumm da. In Deutschland begeht man gerne den Fehler auf dem rechten Auge blind zu sein, egal ob es sich um Politiker oder Richter handelt. Der "Flügel" der AFD ist nicht mal in der Lage sich von Combat 18 zu distanzieren. Er ist zu tiefst rassistisch und menschenverachtend. Die pseudoliberale FDP verdrängt ihre freiheitlichen Wurzeln und die "C"DU hat sich nun endglültig von ihrer christlichen Tradition verabschiedet. Und nur weil eine Partei demokratisch gewählt ist braucht sie noch lange nicht demokratisch zu sein. Die NSDAP ist auch mit einer demokratischen Mehrheit gewählt worden und auch damals waren die nationalen Demokraten und Konservativen die Steigbügelhalter.

  • Nun ja, in 18 Tagen stellt sich die FDP in Hamburg den Wählern. Mal sehen, wie die das finden.

  • Wie immer man auch zur AfD steht. Sie ist demokratisch gewählt worden und sicherlich nicht nur vom Mob (SPD Aussage). Niemand regt sich auf wenn die SED Nachfolgepartei einen
    MP stellt. Das ist für die Medien und Andere völlig ok. Wie es auch sein mag, es war ein kluger Schachzug der AfD und die sogenannten etablierten Parteien stehen jetzt dumm da.

  • Wenn das mal kein Pyrrhussieg für die FDP wird.

  • Das zum Thema Glaubwürdigkeit. Erst wettern die Herren der CDU und FDP gegen die AFD und nun lassen sie sich von der AFD wählen. Wenn das keine Machtbesessenheit ist, was dann.

  • "Kommt die Wahl auch im zweiten Wahlgang nicht zustande, so ist gewählt, wer in einem weiteren Wahlgang die meisten Stimmen erhält.“
    Das erscheint mir eindeutig. Damit sind die meisten Ja-Stimmen gemeint.

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