Razzia im Finanzministerium: Die FIU steht im Verdacht Geldwäsche nicht gemeldet zu haben
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RazziaErmittlungen rund um Geldwäsche: Staatsanwaltschaft durchsucht Finanz- und Justizministerium
Die Financial Intelligence Unit soll Geldwäsche-Verdachtsmeldungen nicht an die Justiz weitergeleitet haben. Die Staatsanwaltschaft ermittelt, wer eingebunden war.
Düsseldorf, Berlin Die Staatsanwaltschaft Osnabrück durchsucht seit dem Donnerstagmorgen das Bundesfinanzministerium und das Bundesjustizministerium. Hintergrund ist ein seit mehr als einem Jahr laufendes Ermittlungsverfahren, in dem Verantwortliche der Financial Intelligence Unit (FIU), einer Spezialeinheit des Zolls gegen Geldwäsche, ins Visier der Strafverfolger geraten sind.
Sie stehen wegen Strafvereitelung im Amt unter Verdacht, nachdem die FIU Geldwäschemeldungen von Banken in Millionenhöhe nicht ordnungsgemäß an die Strafverfolgungsbehörden weitergeleitet haben soll. Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Osnabrück bestätigte gegenüber dem Handelsblatt die Razzia in den beiden Ministerien, über die zuerst der „Spiegel“ berichtet hatte.
Eine Auswertung von Unterlagen, die bei vorangegangenen Durchsuchungen der FIU gesichert worden sei, habe ergeben, dass es zwischen der FIU und den Ministerien umfangreiche Kommunikation gab.
Der Sprecher der niedersächsischen Behörde sagte: „Ziel der heutigen Aktion ist es, den Straftatverdacht und insbesondere individuelle Verantwortlichkeiten weiter aufzuklären. Es soll untersucht werden, ob und inwieweit die Leitung sowie Verantwortliche der Ministerien sowie vorgesetzte Dienststellen in Entscheidungen der FIU eingebunden waren.“
Es handele sich um eine Durchsuchung bei Dritten. Sprecher des Finanz- und Justizministeriums betonten auf Nachfrage, dass sich der Verdacht nicht gegen eigene Mitarbeiter richte und man vollumfänglich kooperiere.
Ein Sprecher des Finanzministeriums gab zudem an, es gehe um Informationen, inwieweit der sogenannte risikobasierte Ansatz der Zentralstelle rechtlich erörtert und abgesichert wurde. Durch die risikoorientierte Bearbeitung der Verdachtsmeldungen setzt die Zentralstelle Schwerpunkte bei der Analyse dieser Verdachtsmeldungen, die von Banken an die FIU gemeldet werden.
Financial Intelligence Unit im Verdacht
Die Staatsanwaltschaft hat am Donnerstag Bundesfinanz- und Justizministerium durchsucht. Der Verdacht lautet auf Strafvereitelung im Amt.
Dabei unterzieht die Zentralstelle jede eingehende Meldung einer Erstbewertung und führt Meldungen, die mindestens einem der – aktuell zehn – Risikoschwerpunkte entsprechen, einer vertieften manuellen Analyse zu.
Versagen von Olaf Scholz oder Foulspiel im Wahlkampf?
Aus Politikerkreisen wurden unmittelbar nach Bekanntwerden der Durchsuchungen massive Vorwürfe gegen den Bundesfinanzminister und SPD-Kanzlerkandidaten Olaf Scholz laut: „Die Razzia im Finanz- und Justizministerium ist ein trauriger neuer Höhepunkt im Drama um die Anti-Geldwäsche-Behörde FIU“, sagte die finanzpolitische Sprecherin der Grünen, Lisa Paus: „Das Chaos bei der FIU besteht seitdem das Finanzministerium die Zuständigkeit übernommen hat.
Öffentlich führe sich der Minister als Kämpfer gegen Steuerhinterziehung und Geldwäsche auf, tatsächlich seien sein Ministerium und seine Behörden von FIU bis BaFin (Wirecard) selber Teil des Problems.
Ähnlich äußerte sich auch der finanzpolitische Sprecher der FDP, Florian Toncar: „Die Financial Intelligence Unit ist nach Jahren unter Olaf Scholz in einem schlechten Zustand, denn er hat sie wie ein Stiefkind behandelt.“
Der Linken-Abgeordnete Fabio De Masi meint gar, die FIU sei „ein Sicherheitsrisiko für Deutschland.“ Und in Richtung von Olaf Scholz kommentiert de Masi: „Wer Deutschland führen will, muss den Zoll auf die Reihe bekommen. Deutschland droht bei der Geldwäscheprüfung der OECD durchzufallen.“ Auch bei Wirecard habe die FIU Strafvereitelung zu verantworten.
Tatsächlich steht die FIU seit Jahren stark in der Kritik. Die Zuständigkeit für die Behörde wechselte 2017 vom Innenministerium zum Finanzministerium. Seither kam es immer wieder zu teils massiven Pannen. 2018 kam es zu einem Rückstau von zehntausenden Verdachtsmeldungen, wofür die Behörde IT-Probleme anführte. Doch auch später kam die FIU mit der Bearbeitung von Verdachtsfällen regelmäßig nicht hinterher, zuletzt im Skandal um den Finanzdienstleister Wirecard.
Finanzminister Scholz zeigte sich wegen der Durchsuchungen der Staatsanwaltschaft verstimmt. Die Behörde habe Fragen an das Finanz- und auch das Justizministerium gehabt. „Die hätte man schriftlich stellen können“, sagte der SPD-Kanzlerkandidat am Donnerstag in Potsdam.
Die Zoll-Spezialeinheit FIU
Die Financial Intelligence Unit ist beim Zoll und damit beim Bundesfinanzministerium angesiedelt. Als Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen sammelt und analysiert sie Verdachtsmeldungen nach dem Geldwäschegesetz. Sie führt Daten und Informationen anderer Behörden zusammen und leitet wichtige Meldungen an die Strafverfolgungsbehörden weiter. Der frühere Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hatte die FIU vom Bundeskriminalamt zum Zoll verlagert. Unter dem jetzigen Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) wurde die Einheit personell gestärkt, ihre Kompetenzen wurden erweitert, und es gab technische Verbesserungen. Von anfänglich 165 Beschäftigten ist die Zahl nach Angaben des Finanzministeriums auf 469 gestiegen.
Im Jahr 2020 sind bei der FIU laut ihrem Jahresbericht insgesamt 144.005 Verdachtsmeldungen eingegangen. Im Vergleich zu 2019 ist das eine Steigerung um rund 25 Prozent. Innerhalb der letzten zehn Jahre hat sich das jährliche Meldeaufkommen mehr als verzwölffacht. Der überwiegende Teil der Meldungen stamme aus dem Finanzsektor. Im vergangenen Jahr seien insgesamt 3600 Verdachtsmeldungen eingegangen, die einen potenziellen Bezug zu Terrorismusfinanzierung und staatsschutzrelevanter Kriminalität aufwiesen. Dies sei ein Anteil von rund zwei Prozent im Vergleich zum Gesamtaufkommen.
Der Leiter der FIU, Christof Schulte, musste wegen des Skandals beim Zahlungsdienstleister Wirecard vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss aussagen. Der Behörde wird vorgeworfen, Verdachtsmeldungen bezüglich Wirecard zu spät nachgegangen zu sein.
Aus der SPD hieß es, die Razzia sei das bislang vielleicht gröbste Foulspiel der Union im Wahlkampf. Die Ermittlungen liefen schon länger, der Austausch auf Arbeitsebene sei bislang konstruktiv abgelaufen. Der Durchsuchungsbeschluss sei daher überraschend gekommen.
Der Beschluss, der jetzt zu der Razzia führte, sei zudem schon am 10. August ausgestellt worden. Dass dieser nun am 9. September und damit wenige Wochen vor der Bundestagswahl vollzogen wurde, sei bestimmt kein Zufall. „Da ging es rein um die Schlagzeile“, sagt ein SPD-Vertreter. In Niedersachsen führt die CDU das dortige Justizministerium.
Ermittlungen richten sich gegen unbekannte Personen
Die Ermittlungen im Verfahren der Staatsanwaltschaft Osnabrück richten sich derzeit gegen unbekannte Personen aus der Anti-Geldwäsche-Behörde, es gibt also noch keine konkret Beschuldigten. Die Staatsanwaltschaft ermittelt seit 2020 im Umfeld der FIU. Konkret ging es zunächst um den Umgang mit einer Geldwäsche-Verdachtsanzeige einer Bank wegen dubioser Zahlungen von über einer Million Euro nach Afrika.
Scholz nach Razzia im Finanzministerium: „Fragen hätten auch schriftlich gestellt werden können“
Die Bank vermutete, dass Hintergrund der Zahlungen Waffen- und Drogenhandel sowie Terrorismusfinanzierung sei. Das Problem: Die FIU nahm diese Meldung zur Kenntnis, leitete sie aber nicht an deutsche Strafverfolgungsbehörden weiter, sodass keine Möglichkeit mehr bestand, die Zahlungen aufzuhalten.
Nach Informationen des Handelsblatts wurden auch Meldungen anderer Banken nach den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft nicht ordnungsgemäß bearbeitet. Die Anzeigen sollen von N26, der Commerzbank sowie der Sparkasse Osnabrück stammen.
Die Behörde geht im Rahmen ihrer Ermittlungen auch der Frage nach, weshalb seit Übernahme der Geldwäschekontrolle durch die FIU die Zahl der Verdachtsmeldungen auf einen Bruchteil zurückgegangen ist. An der Durchsuchung waren Beamte der Zentralen Kriminalinspektion Osnabrück und der Staatsanwaltschaft beteiligt. Die Auswertung der beschlagnahmten Unterlagen werde einige Wochen in Anspruch nehmen. Von der FIU liegt bisher auf Anfrage noch keine Stellungnahme vor.
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