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Reaktionen aus der Wirtschaft „Gravierende Defizite“: Digital-Appell der Regierungschefinnen stößt auf Unterstützung – und Kritik

Kanzlerin Merkel und die Regierungschefinnen aus Dänemark, Finnland und Estland fordern eine Digitaloffensive von der EU. Wirtschaftsvertreter kritisieren vertane Chancen.
02.03.2021 - 19:23 Uhr 2 Kommentare
Finnland ist bei der Digitalisierung deutlich weiter als Deutschland. Quelle: dpa
Kanzlerin Angela Merkel und die finnische Regierungschefin Sanna Marin

Finnland ist bei der Digitalisierung deutlich weiter als Deutschland.

(Foto: dpa)

Brüssel, Berlin Kein Zweifel: Die digitale Transformation zählt zu den größten Herausforderungen Europas. In den vergangenen Jahren und Jahrzehnten sind technologische Abhängigkeiten entstanden, die sich nur schwer überwinden lassen.

Europäische Daten sammeln sich auf den Servern amerikanischer Konzerne und zunehmend auch auf chinesischen. Gegen die Giganten aus China und den USA wirken europäische IT-Unternehmen wie Zwerge. Innenstädte bleiben leer, viele Einzelhändler kämpfen um ihre Existenz, aber Onlinehändler wie Amazon feiern Absatzrekorde.

Kanzlerin Angela Merkel hat jetzt mit ihren Amtskolleginnen aus Dänemark, Finnland und Estland in einem eindrücklichen Appell auf Europas Digitalisierungsrückstand hingewiesen. Ihre Forderung: eine Offensive für mehr europäische Eigenständigkeit.

Dafür erhalten die Regierungschefinnen Unterstützung, aber auch Kritik. „In der Corona-Pandemie sind die gravierenden Defizite bei der Digitalisierung national wie europäisch zum Vorschein gekommen“, sagt Wolfgang Steiger, Generalsekretär des Wirtschaftsrats der CDU. Es sei gut, dass es „endlich einen entsprechende Vorstoß unter deutscher Beteiligung in Richtung der EU gibt“.

Die FDP hingegen bemängelt, dass es dem Schreiben der Bundeskanzlerin an „konkreten Lösungsideen“ mangele. „Dabei ist die wachsende Abhängigkeit Europas von den amerikanischen und asiatischen Technologiekonzernen wahrlich keine neue Erkenntnis“, sagt Manuel Höferlin, digitalpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion.

Der grüne Wirtschaftspolitiker Dieter Janecek ist ähnlich kritisch: „Der Weckruf ist inhaltlich richtig, aber fast schon grotesk, wenn die Bundeskanzlerin jetzt, am Ende ihrer vierten Amtszeit, versucht, sich an die Spitze der Bewegung zu setzen.“ In der Tat ist es bemerkenswert, dass sich Merkel für ihr Schreiben mit digitalen Vorreiternationen zusammengeschlossen hat.

Estland, Dänemark und Finnland sind bei der Digitalisierung deutlich weiter als Deutschland. Die deutsche Verwaltung steckt im Papierzeitalter fest. Auch beim Ausbau des Glasfasernetzes hinkt die Bundesrepublik hinterher. Eine europäische Digitaloffensive muss daher gerade Deutschland ins Visier nehmen, dem schläfrigen Riesen in der Mitte des Kontinents.

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Aus Sicht von Praktikern kommt es weniger auf Zustandsbeschreibungen und Absichtserklärungen an. „Die Uhr tickt“, mahnt Christian Miele, Präsident des Bundesverbands Deutsche Startups. „Wenn wir digitale Souveränität beziehungsweise Stärke wollen, dann müssen wir auch wirklich etwas dafür tun. Nicht rumsitzen. Lippenbekenntnisse reichen nicht.“

Aktionsplan für die „digitale Dekade“

Die EU-Kommission will schon kommende Woche einen Aktionsplan für die „digitale Dekade“ vorlegen, die Ursula von der Leyen ausgerufen hat. Parallel dazu treibt die EU-Exekutive mit dem Digital Services Act (DSA) und dem Digital Markets Act (DMS) zwei Gesetzesvorhaben voran, die die Digitalwirtschaft neuen Regeln unterwerfen und die Wettbewerbsbedingungen kleinerer europäischer Anbieter verbessern sollen.

Die Erwartungen daran sind groß in Berlin: Der DSA dürfe „nicht hinter dem Schutzniveau zurückbleiben“, das in Deutschland etwa durch das Netzwerkdurchsetzungsgesetz erreicht worden sei, sagte Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) dem Handelsblatt. „Wir brauchen etwa bei strafbaren Drohungen, Volksverhetzungen oder Gewaltdarstellungen im Netz auch auf europäischer Ebene klar definierte kurze Löschfristen.“ Auch müssten die Rechte von Nutzerinnen und Nutzern gegenüber den Plattformen wie im NetzDG gestärkt werden.

Dorothee Bär, Staatsministerin für Digitales im Kanzleramt, sieht auch auf anderen Feldern Brüssel am Zug: „Wir brauchen einen starken europäischen Vorstoß“, sagte sie dem Handelsblatt. „Die Kommission als mächtigstes Organ der EU muss hier Führung zeigen – zügig, effizient und konkret: Analyse der strategisch wichtigen Schlüsseltechnologien und -infrastrukturen, Aktionsplan mit Umsetzung, Monitoring. Geeint haben wir alle Chancen.“

Die EU-Kommission analysiert derzeit, in welchen Sektoren Europa strategisch von anderen Ländern abhängig ist. Der Fokus liegt dabei zum einen auf dem Gesundheitssektor, wo die EU bei bestimmten Medikamenten und Medizinprodukten stark auf Lieferungen aus China und Indien angewiesen ist.

Merkel und ihre drei EU-Kolleginnen machen aber deutlich, dass auch kritische Technologien einbezogen werden sollen. Dazu dürften sie etwa die Mikroelektronik, das Cloud-Computing und die Quantentechnologie zählen. 

Welche Art von Abhilfemaßnahmen sich die EU-Staats- und Regierungschefs vorstellen, hatten sie bereits bei ihrem Gipfel Anfang Oktober formuliert, als sie die Kommission mit der Abhängigkeitsanalyse beauftragten: Dazu zähle unter anderem „die Diversifizierung der Produktions- und Lieferketten, die Sicherstellung von Vorräten an strategisch wichtigen Gütern und die Förderung von Produktion und Investitionen in Europa“, wie es in ihrer Erklärung heißt.

Stärkung der digitalen Souveränität der EU. Quelle: imago images/Ritzau Scanpix (M)
Mette Frederiksen, Kaja Kallas

Stärkung der digitalen Souveränität der EU.

(Foto: imago images/Ritzau Scanpix (M))

Der Bericht der Kommission solle in die Aktualisierung der im April erwarteten EU-Industriestrategie einfließen, erläutert eine Sprecherin des Bundeswirtschaftsministeriums, und den „Ausgangspunkt für weitere Arbeiten im Hinblick auf die Formulierung industriepolitischer Instrumente bilden“.

Besonders im Fokus der Politik stehen derzeit sogenannte „wichtige Projekte von gemeinsamem europäischem Interesse“ (IPCEI), die hohe finanzielle Anschubhilfen der Staaten für Entwicklungsvorhaben in der Industrie ermöglichen. Wirtschaftsminister Peter Altmaier treibt gemeinsam mit anderen EU-Staaten Förderprogramme für Technologien wie Halbleiter, Wasserstoff und Cloud-Computing voran.

„Europa vielfach auf Importe angewiesen“

Wo die Bundesregierung die Schwachstellen bei der Mikroelektronik sieht, zeigt ihre Antwort auf eine Anfrage der Grünen-Fraktion. Bei höherwertigen Prozessoren etwa für das autonome Fahren sei „Europa vielfach auf Importe angewiesen“, heißt es dort. Solche Abhängigkeiten sollten durch Forschungsförderung und das geplante IPCEI verringert werden.

Dafür solle die Forschung für das Design von Spezialprozessoren mit neuen Architekturen speziell für Anwendungen der Künstlichen Intelligenz oder für intelligente Sensorik gefördert werden. Durch die Erforschung neuer Ansätze wie der „neuromorphen“, also der Funktionsweise des Gehirns nachempfundenen Elektronik könne „Europa von Anfang an technologisch souverän sein“. Grünen-Politiker Janecek warnt aber, die Schwächen Europas in der Halbleiterfertigung werden sich „zumindest kurzfristig auch mit milliardenschweren Programmen kaum abstellen lassen“.

Ein Bereich, in dem sich Europa in einer aussichtsreichen Startposition befindet, ist die Entwicklung von Quantencomputern. Dass Merkel und ihre Kolleginnen die Bedeutung einer „Exzellenz bei Quantencomputing“ betonen, freut Jan Goetz, den Mitgründer des deutsch-finnischen Start-ups IQM.

Denn bisher ist der Kampf um die „Quantenvorherrschaft“ ein Rennen zwischen den USA und China. Europa könnte hier einen eigenen Weg gehen: Die finnische Aalto-Universität etwa, aus der IQM ausgegründet wurde, hat eines der wenigen Quanten-Forschungsinstitute in Europa, das komplett unabhängig von Förderungen der großen US-Techunternehmen ist. Quantencomputing biete eine riesige Chance für die EU, sagt Goetz.

Ausdrücklich wollen Merkel und ihre Koautorinnen ihren Appell nicht als Abgrenzungsversuch zu den USA verstanden wissen. Sondern vielmehr als Offerte an die neue US-Regierung: Sie betonen, dass die Stärkung von Europas digitaler Souveränität nur „auf der Basis eines starken transatlantischen Verhältnisses“ gelingen kann.

David McAllister, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im EU-Parlament, unterstreicht genau diesen Punkt: „In einer stärkeren Zusammenarbeit zwischen der EU und den USA sehe ich Potenzial, um ein Gegengewicht zum chinesischen Einfluss zu schaffen“, sagt er. „Die Kooperation sollte auf unseren gemeinsamen, transatlantischen Interessen beruhen. Demokratische Werte und Grundfreiheiten müssen auch im digitalen Zeitalter geachtet werden.“

Mehr: Bundeskanzlerin Merkel fordert mit den Regierungschefinnen von Estland, Dänemark und Finnland im Handelsblatt eine Offensive zur Stärkung der digitalen Souveränität.

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2 Kommentare zu "Reaktionen aus der Wirtschaft: „Gravierende Defizite“: Digital-Appell der Regierungschefinnen stößt auf Unterstützung – und Kritik"

Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.

  • Ich find es schon sehr verstörend, dass sich die Bundeskanzlerin nun nach 16 Jahren Versäumnis im Umfeld digitaler Ausbaus hinstellt, als wäre Sie die treibende Kraft. Ich denke das is wieder nur Ihr bekanntes Vorgehen, sich in schwierigen Zeiten besser auf vermeintlich wichtige Nebenschauplätze zu konzentrieren.
    Hier fällt mir das Wort "Zynismus" gepaart von ewig gestriger Naivität aus vergangenen Tagen gescheiteter politischer Systemen in Vollendung ein. Lichtblick: Noch in diesem Jahr endet diese furchtbare Lähmung und Machtbesessenheit ! Man nennt es auch die Cäsaren-Krankheit.

    Wenn es um weitere Digitalentwicklung geht, denke ich geht das sicher auch und besser ohne AM.
    Besonders vor dem Hintergrund der desaströsen Ergebnisse rund um die Softwareprojekte der Regierung der letzten 8 Monate, WarApp und auch das Onlineportal der Überbrückungshilfen usw., nichteinmal das einfachste Content Management Programm für die Seiten der Bundesministerien kann auf dem aktuellen Stand gehalten werden. Vom BER will ich erst garnicht anfangen....usw.

  • "Die FDP hingegen bemängelt, dass es dem Schreiben der Bundeskanzlerin an 'konkreten Lösungsideen' mangele."
    Wie das? Noch nichts über die Implementierungen und Ideen der Hochschule Meschede im Bereich der Linguistischen KI, der "Thought Chains" und der digitalen Textverarbeitung gehört - etwa der Analyse von Gesetzen über selbstfahrende Autos in Deutsch, Englisch und Chinesisch sowie der Ableitung von technischen und anderen Anforderungen aus diesen Gesetzen?
    Zentrale Voraussetzung von Digitaler Textverarbeitung (im Gegensatz zur Digitalen Datenverarbeitung wie den Lernenden Algorithmen) ist die eingebaute Vielsprachigkeit; etwa die derzeit etwa zehn Sprachen, zwischen denen die Mescheder Lösungen für den Benutzer ohne merkliche Verzögerung hin und her schalten.
    So etwas geht nur in Europa - sowohl die USA und China haben nur eine dominierende Sprache und können dieses Bedürfnis nach Vielsprachigkeit gar nicht nachempfinden.
    Das ist ein kaum einholbarer Vorsprung Europas in diesem immer wichtigeren KI-Bereich. Auch weil es um wie mehr als das reine Übersetzen geht: eine andere Sprache bedeutet immer auch ein anderes Denken. Und deshalb sind wir Europäer schon jetzt Weltführer im Digitalen Denken.


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