Rechtsverstöße in Firmen und Behörden Ministerin Lambrecht will Whistleblower umfassend schützen

Justizministerin Lambrecht beklagt, dass im Fall Tönnies, wo sich mehr als 2000 Menschen mit Corona angesteckt haben, der Mitarbeiterin eines Subunternehmens gekündigt wurde, nachdem sie Verstöße gegen die Infektionsschutz-Verordnung öffentlich gemacht hatte.
Berlin Ob Betrugsfälle bei Coronahilfen, der milliardenschwere Skandal rund um Wirecard oder die Dieselaffäre mit illegaler Abgastechnik – Whistleblower könnten Missstände schnell aufdecken. Aus Angst vor Repressalien halten sich potenzielle Hinweisgeber aber häufig zurück.
Das will Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) ändern. „Ich will Rechtssicherheit für diejenigen schaffen, die verantwortlich handeln und Straftaten und Ordnungswidrigkeiten in Unternehmen und Behörden aufdecken“, sagte Lambrecht dem Handelsblatt. „Wer diesen Mut zeigt, darf nicht der Ungewissheit ausgesetzt sein, mit einer Abmahnung oder Kündigung rechnen zu müssen.“
Hierfür hat Lambrecht den Entwurf eines „Gesetzes für einen besseren Schutz hinweisgebender Personen“ vorgelegt, der dem Handelsblatt vorliegt. Damit soll zum einen die EU-Richtlinie zum Whistleblower-Schutz in nationales Recht umgesetzt werden – was ohnehin bis zum 17. Dezember 2021 erfolgen muss. Zum anderen soll aber auch ein nationaler Hinweisgeberschutz geschaffen werden. Der Union geht das allerdings zu weit.
So hatte nach der Verabschiedung der EU-Richtlinie etwa die Frankfurter Rundschau berichtet, Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) torpediere den Schutz von Whistleblowern. Nach seinem Willen sollten Hinweisgeber nur geschützt sein, wenn sie Verstöße gegen EU-Recht melden, nicht aber jene gegen Bundesrecht.
Lambrecht erhöht nun den Druck. „Würde ich die Richtlinie lediglich bezogen auf Verstöße gegen EU-Recht umsetzen, wie vom Koalitionspartner gefordert, dann wäre geschützt, wer ein Datenleck meldet, aber nicht geschützt, wer Schmiergeldzahlungen aufdeckt“, erklärte die Justizministerin. „Im Fall Tönnies, wo sich mehr als 2000 Menschen mit Corona angesteckt haben, wurde einer Mitarbeiterin eines Subunternehmens gekündigt, nachdem sie Verstöße gegen die Infektionsschutz-Verordnung öffentlich gemacht hatte.“ Das sei deutsches Recht und würde von einer Minimal-Umsetzung nicht erfasst. „Wir brauchen ein wirksames Gesetz“, forderte Lambrecht.
„Außerdem können wir von Hinweisgebern, die einen Gammelfleisch-Skandal aufdecken und damit Menschen schützen, nicht erwarten, dass sie von vornherein wissen, ob das Lebensmittelrecht nun EU-weit gilt oder sich nur auf Deutschland bezieht“, sagte die Ministerin. „Deswegen will ich solche Unklarheiten mit dem Gesetz ausschließen.“
Die Union muss noch überzeugt werden
Skandale zu verhindern sei im ureigenen Interesse jedes Unternehmens, betonte Lambrecht. Dafür seien Stellen erforderlich, die Hinweise ernst nähmen und Missstände abstellten. Die SPD-Politikerin fügte hinzu: „Wir werden den Koalitionspartner mit guten Argumenten überzeugen.“
Ein Hinweisgeberschutz ist bislang in Deutschland nur durch die Rechtsprechung im Zivil- und Arbeitsrecht geprägt – und dementsprechend „lückenhaft und unzureichend“, wie es im Entwurf heißt. Seit 2019 regelt das „Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen“ immerhin, dass Whistleblower keine Strafverfolgung fürchten müssen. Nun soll ein umfassendes „Schutzsystem für hinweisgebende Personen“ geschaffen werden, die Verstöße melden und offenlegen.
Wenn ich sehe, dass Menschen in Altenheimen auf sträfliche Weise vernachlässigt werden, dann muss das gemeldet werden. Bundesjustizministerin Christine Lambrecht
Dabei geht es um das Spannungsverhältnis zwischen der „Wahrnehmung staatsbürgerlicher Pflichten“ und der „Loyalitätspflicht gegenüber dem Arbeitgeber“.
Die Regelungen gelten für Wirtschaft und Verwaltung sowie „Anstalten“, wie zum Beispiel die Landesrundfunkanstalten, öffentlich-rechtliche Stiftungen oder die evangelische und katholische Kirche. Zu den „Beschäftigten“, die den Whistleblower-Schutz in Anspruch nehmen können, zählen folglich Arbeitnehmer, Auszubildende, Tarifbeschäftigte, Beamte, Richter oder Soldaten.
Liste der möglichen Repressalien ist lang
„Wenn ich sehe, dass Menschen in Altenheimen auf sträfliche Weise vernachlässigt werden, dann muss das gemeldet werden“, begründete Lambrecht die geplanten Vorschriften. „Oder wenn jemand mitbekommt, dass ein Unternehmen systematisch Steuern hinterzieht, und darauf hinweist, dann muss es auch die Sicherheit geben, dafür keine Nachteile zu erleiden.“
Die Liste der möglichen Repressalien, die der Entwurf aufführt, ist lang. Dazu zählen Abmahnungen, die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses, die vorzeitige Beendigung eines Werk- oder freien Dienstvertrages, die Verweigerung der Teilnahme an Weiterbildungsmaßnahmen, Disziplinarmaßnahmen, Versagung einer Beförderung, Aufgabenverlagerung, Änderung des Arbeitsortes oder der Arbeitszeit, finanzielle Sanktionen, Einschüchterung, Mobbing oder Ausgrenzung, Rufschädigung, insbesondere in den sozialen Medien.
Geregelt würde demnach auch das Verhältnis zwischen Unternehmen und Zulieferern und deren Mitarbeitern. „Denn in der Praxis spielen Fälle, in denen hinweisgebende Personen solche aus anderen Unternehmen sind, die mit dem betroffenen Unternehmen zusammenarbeiten, eine wichtige Rolle“, heißt es in dem Entwurf.
In „solchen und weiteren“ Konstellationen seien auch diese Unternehmen vor Repressalien zu schützen, damit sie nicht etwa auf „schwarzen Listen“ landen mit der Folge, dass der Hinweisgeber sektor- oder branchenweit keine Beschäftigung mehr findet.
„Der Verlust des Arbeitsplatzes, des Einkommens und damit der Lebensgrundlage ist sicherlich der weitreichendste Einschnitt“, sagte Lambrecht dem Handelsblatt. Nach dem Willen der Ministerin soll es künftig zwei „nebeneinanderstehende Meldewege“ geben: betriebsinterne Meldekanäle sowie externe Meldestellen, etwa die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin).
Geplant ist zudem, beim Bundesdatenschutzbeauftragten eine zentrale Anlaufstelle zu schaffen. Sie soll hinweisgebende Personen „davon befreien, sich mit Zuständigkeitsfragen auseinandersetzen zu müssen, und davor bewahren, schon im Vorfeld einer Meldung den Mut zu verlieren“.
Denunziantentum und leichtfertiges Weitertragen ungeprüfter Informationen
Der Gang von Hinweisgebern an die Öffentlichkeit – über soziale Netzwerke oder die Medien – wird nur in bestimmten Fällen geschützt, zum Beispiel, wenn eine externe Meldung an eine Aufsichtsbehörde fruchtlos geblieben ist oder „unmittelbare Gefährdungen“ drohen.
Halten die Whistleblower diese Anforderungen ein, werden sie vor Repressalien geschützt. Dabei sieht der Entwurf eine Umkehr der Beweislast vor. Nicht der Beschäftigte muss den kausalen Zusammenhang zwischen Meldung eines Missstandes und der Benachteiligung nachweisen. Wer eine benachteiligende Maßnahme ergriffen hat, muss darlegen, dass diese auf „hinreichend gerechtfertigten anderen Gründen basierte“.
Maßnahmen, die gegen das „Repressalienverbot“ verstoßen, wären nichtig, Kündigungen folglich unwirksam. Betroffene können zudem Schadensersatz verlangen.
Zugleich will der Entwurf „Denunziantentum und das leichtfertige Weitertragen ungeprüfter Informationen“ verhindern. Wer unrichtige Informationen vorsätzlich oder grob fahrlässig meldet, muss demnach mit einer Geldbuße sowie Schadensersatzforderungen rechnen.
Ausgenommen vom Hinweisgeberschutz ist die Meldung oder Offenlegung von Informationen, die die „nationale Sicherheit oder wesentliche Sicherheitsinteressen des Staates“ betreffen. Gleiches gilt für Informationen mit Blick auf das richterliche Beratungsgeheimnis oder die Verschwiegenheit von Ärzten oder Rechtsanwälten.
Einen Mehraufwand für die Unternehmen sieht die Bundesjustizministerin nicht, weil die Unternehmen schon aufgrund der EU-Richtlinie Meldekanäle für Hinweisgeber einrichten müssten. Lambrecht bekräftigte: „Das ist also kein stichhaltiges Argument, um meine Vorschläge zu blockieren.“
Mehr: Finanzminister Scholz will Unternehmen verpflichten, ihre Eigentümer zu melden.
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