Reform des Patentrechts Zankpafel Unterlassungsanspruch: Werden die Rechte der Patentinhaber eingeschränkt?

Auch beim Thema Impfstoff geht es um die bekannte Frage: Dürfen Patentinhaber stets gegen Nachahmer vorgehen?
Berlin Wer gehofft hatte, die Sachverständigenanhörung im Bundestag würde helfen, den Streit um die Modernisierung des Patentrechts zu schlichten, der wurde enttäuscht. Vor dem Rechtsausschuss teilten sich an diesem Mittwoch die geladenen Vertreter der Rechtswissenschaft, der Interessensorganisationen und Patentanwälte in die bestehenden Streitlager auf.
Anlass der Anhörung: Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) will das nationale Patentrecht reformieren. Der Fokus liegt dabei vor allem auf dem Unterlassungsanspruch bei der Verletzung von Patenten. Bislang konnten Patentinhaber quasi automatisch bei Patentverletzungen einen Unterlassungsanspruch geltend machen: Dem Patentverletzer, der eine Erfindung ohne Genehmigung nutzte, wurde die weitere Nutzung gerichtlich untersagt.
Künftig sollen die Gerichte zunächst prüfen, ob es verhältnismäßig ist, dass der Patentinhaber einen Unterlassungsanspruch durchsetzen will. Demnach kann der Anspruch auch ausgeschlossen sein, wenn es dadurch für den Patentverletzer oder Dritte zu einer „nicht gerechtfertigten Härte“ kommt.
Im Gesetzentwurf wird auf „eindeutig überzogene Lizenzforderungen, die mit einem Unterlassungsanspruch in treuwidriger Weise durchgesetzt werden sollen“, verwiesen – also auf den Missbrauch des bestehenden Unterlassungsanspruchs, um etwa übertriebene Geldforderungen zu stellen.
Hintergrund ist die fortschreitende Digitalisierung: In immer mehr Produkten stecken Hard- und Software aus der Unterhaltungselektronik und der Telekommunikation. In der Folge kommt es zu Rechtsstreitigkeiten um Patente.
Bekannt wurden Fälle aus der Automobilindustrie wie die Klage des Chipkonzerns Broadcom gegen den Autohersteller VW oder von Netzwerkausrüster Nokia gegen Daimler. Vor dem Rechtsausschuss des Bundestags standen sich nun Befürworter und Gegner einer Verhältnismäßigkeitsprüfung gegenüber.
Druck im Kessel
Im Sinne der Befürworter argumentierte Rechtsprofessor Ansgar Ohly von der Ludwig-Maximilians-Universität München. In einer veränderten technologischen und ökonomischen Landschaft mehrten sich die Fälle, in denen eine Durchsetzung des Patentrechts nicht „kompromisslos“ geschehen dürfe, sondern „mit Augenmaß und Flexibilität“ erfolgen müsse. Das Patentrecht sei nicht „abwägungsresistent“, betonte Ohly.

Auch Apps für Mobiltelefone stehen immer wieder im Mittelpunkt von Patentverletzungsverfahren.
„Dieser geplante Vorbehalt verhält sich zum Patentsystem wie ein Sicherheitsventil zum Dampfkessel“, erklärte der Rechtsexperte. Der Druck mit dem Unterlassungsanspruch sei Voraussetzung dafür, dass sich Nutzungswillige auf Lizenzverhandlungen einließen. Insofern sei er zum Funktionieren des Systems ebenso nötig wie der Druck im Dampfkessel. Es gehe nicht darum, diesen Druck zu beseitigen, sondern darum, „in extremen Ausnahmefällen eine allgemein interessengerechte Lösung“ zu ermöglichen.
Dass die Interessen Dritter berücksichtigt werden sollen, hält Ohly für richtig: „Muss ein Medikament oder Medizinprodukt vom Markt genommen werden, steht es Patienten nicht mehr zur Verfügung, die möglicherweise darauf angewiesen sind.“ Im Telekommunikationsbereich könne in Extremfällen bei Patentverletzung ein Unterlassungsanspruch dazu führen, dass Kommunikationsnetzwerke stillgelegt werden müssten. Richtig sei aber, dass der Verletzer dafür zahlen müsse, wenn er die Erfindung aus Verhältnismäßigkeitsgründen (vorläufig) weiterbenutzen dürfe.
„Feinjustierung“ durch den Gesetzgeber
Da vor allem die Automobilindustrie auf eine Verhältnismäßigkeitsprüfung beim Unterlassungsanspruch gedrungen hatte, verwunderte es nicht, dass der Verband der Automobilindustrie (VDA) bei der Sachverständigenanhörung die derzeit geltende Patentrechtslage als „Standortnachteil für den wichtigen Industrieproduktionsstandort Deutschland“ rügte.
Allerdings zeigte sich VDA-Geschäftsführer Kurt-Christian Scheel mit dem Regierungsentwurf im Detail unzufrieden, weil dieser im Vergleich zu einem ersten von Justizministerin Lambrecht vorgelegten Referentenentwurf eine „deutlich geschwächte Verhältnismäßigkeitsprüfung“ vorsehe.
Darum plädierte Scheel dafür, der Formulierung im Referentenentwurf den Vorzug zu geben, und pochte aufgrund der „drängenden Problematik“ darauf, das Gesetzgebungsverfahren schnellstmöglich, in jedem Fall innerhalb dieser Legislaturperiode, zum Abschluss zu bringen.
Der Richter am Bundesgerichtshof, Fabian Hoffmann, erwartet nicht, dass sich durch die Änderungen beim Unterlassungsanspruch in der Rechtsprechung „etwas grundsätzlich ändern wird“. Er verweist auf den Umstand, dass durch ein Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs (Wärmetauscher-Entscheidung) eine Verhältnismäßigkeitsprüfung schon jetzt in besonderen Einzelfällen möglich sei. Eine „Feinjustierung“ durch den Gesetzgeber sei aber „äußerst wünschenswert“, insbesondere für die Instanzenrechtsprechung, die damit „eine Prüfung des Einzelfalls leichter und besser“ vornehmen könne. Auch vorgerichtliche Einigungsversuche würden profitieren.
Laut Hoffmann ist die „präventive Drohwirkung“ gegenüber Patentverletzern durch den Unterlassungsanspruch bezweckt. Dabei sei aber nicht zu verkennen, dass das Recherchieren nach für ein Produkt einschlägigen Patenten wegen der sehr großen Vielzahl an Patenten sehr aufwendig sei. „Insbesondere im Falle von komplexen Produkten mag ein zuverlässiges Rechercheergebnis kaum wirklich zu erzielen sein“, gibt er zu bedenken.
Kein „dringender Reformbedarf“
Die Gegner der Modernisierung des Patentrechts erhielten Unterstützung von Rechtsprofessorin Mary-Rose McGuire von der Universität Osnabrück. Sie wies darauf hin, dass seit mehr als 15 Jahren „kaum eine Handvoll“ Patentverletzungsprozesse in Deutschland bekannt geworden sei, in denen der Vorwurf eines Rechtsmissbrauchs im Raum gestanden hätte.
„Dass es sich dabei aber sprichwörtlich um Einzelfälle handelt, wird deutlich, wenn man ihnen die Statistik der Justiz gegenüberstellt, wonach vor den deutschen Gerichten pro Jahr etwa 800 Patentverletzungsprozesse verhandelt und entschieden werden“, rechnete McGuire vor. Ein „dringender Reformbedarf“ sei nicht ersichtlich.
Die Rechtsexpertin kritisierte zudem, die geplanten Änderungen im Patentrecht bedienten „ein Narrativ des Patenttrolls“, der seine formale Rechtsstellung treuwidrig ausnutze und dem redlichen Verletzer ohne Not wirtschaftlichen Schaden zufüge. Ein Patenttroll würde – so das Argument – nicht nur keine eigene Innovationsleistung erbringen, sondern sogar Innovation Dritter behindern.
Hier werde die ökonomische Funktion von „nicht praktizierenden“ Patentinhabern missverstanden. Beruhe eine Anreizfunktion des Patentwesens darauf, dem Erfinder einen Lohn für die Erfindung zu gewähren, wird diese auch dann erfüllt, wenn der Erfinder diese Belohnung nicht durch Lizenzgebühren, sondern aus dem Verkaufserlös an einen Patentverwerter erhält.
„Dass dieser – einem Makler oder Vermittler gleich – das Patent selbst nicht praktiziert, sondern ‚nur‘ rechtsgeschäftlich verwertet, macht ihn nicht zu einem Patentinhaber zweiter Klasse“, erklärte McGuire. Sie warnte zugleich davor, die Interessen „nicht näher bestimmter Dritter“ in die Verhältnismäßigkeitsprüfung einzubeziehen: Das öffne den potenziellen Anwendungsbereich erheblich und beeinträchtige damit die Rechts- und Planungssicherheit für innovative Unternehmen. Zudem werde der potenzielle Streitstoff erheblich ausgeweitet. Die Folge: eine Kostenbelastung für die Parteien und eine Arbeitsbelastung für die Gerichte.
Interessen Dritter hochumstritten
Fragwürdig sei auch, dass nach Lambrechts Plänen nur die Interessen der Dritten „im Lager“ des Patentverletzers berücksichtigt würden: „Das wirft zunächst die Frage auf, warum nicht auch die Auswirkungen auf Dritte, die – wie der Rechtsinhaber – ein Interesse am Unterlassungsanspruch haben, zu berücksichtigen sind.“ Dazu zählten etwa Lizenznehmer, aber auch Mitbewerber, die aufgrund des Patents ihr Produkt abgewandelt hätten, um sich rechtskonform zu verhalten.
McGuire forderte, im weiteren parlamentarischen Verfahren nicht zur Version des Referentenentwurfs, sondern sogar zur Fassung von Lambrechts erstem Diskussionsentwurf zurückzukehren.
Der Verband der Chemischen Industrie (VCI) lobte für die forschungsintensiven Unternehmen den Status quo: Deutschland habe eines der am höchsten entwickelten Systeme des gerichtlichen Schutzes gegen Patentverletzungen.
Die Änderung „halten wir für äußerst kritisch und innovationsfeindlich“, betonte Alissa Zeller von BASF für den VCI. Aus Sicht des Verbands würde der Wert der Patentportfolios der Mitgliedsunternehmen gemindert, und bestehende und zukünftige Lizenzverträge würden gefährdet. KMU hätten es erheblich schwerer, ihre Patente durchzusetzen.
„Insgesamt wäre der Schutz von Innovationen in Deutschland damit stark gefährdet“, erklärte Zeller. Wenn überhaupt eine Änderung beim Unterlassungsanspruch gemacht werden müsse, dann solle auf Lambrechts Diskussionsentwurf zurückgegriffen werden, ergänzt um eine Regelung zum Ausgleichsanspruch des Patentinhabers. Gleiches forderte auch Patentanwalt Andreas Popp, Mitglied des Vorstands der Patentanwaltskammer in München.
Die seit über 20 Jahren als Patentanwältin zugelassene Renate Weisse, die vor allem kleine und mittlere Unternehmen (KMU) und Einzelerfinder vor Patentämtern und in Verletzungsprozessen vertritt, störte sich – ähnlich wie Professorin McGuire – an dem Begriff „Troll“. Das sei eine Verunglimpfung: „Patente fallen nicht vom Himmel, sondern erfordern ein hohes Investment.“
Patentrecherchen möglich und zumutbar?
Aus ihrer Sicht seien Patentrecherchen für jedes Unternehmen „möglich und zumutbar“. Eine Abschreckungswirkung müsse weiterhin bestehen. „Ein Patent ist das einzige Mittel, mit dem kleine und mittlere Unternehmen sich auf dem Markt gegen Konzerne wehren und gegebenenfalls Lizenzen erwirtschaften können“, erklärte Weisse. Ihr Fazit: Eine Reform des patentrechtlichen Unterlassungsanspruchs sei nicht erforderlich.
Nach der kontroversen Anhörung ist das parlamentarische Verfahren nun nicht leichter geworden.
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