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Regierungsbildung „Bürgerliches Spektrum, das sich von ihm angesprochen fühlt” – Warum Habeck wieder in die erste Reihe rückt

Rollentausch bei den Grünen: Robert Habeck könnte nach dem mageren Wahlergebnis Vizekanzler werden. Ob die Partei mitzieht, muss sich noch erweisen.
28.09.2021 - 15:32 Uhr 1 Kommentar
Der Vizekanzler musste sich „eine Woche lang schütteln“ nachdem Annalena Baerbock zur Kanzlerkandidatin der Grünen gewählt wurde. Quelle: imago images/photothek
Robert Habeck

Der Vizekanzler musste sich „eine Woche lang schütteln“ nachdem Annalena Baerbock zur Kanzlerkandidatin der Grünen gewählt wurde.

(Foto: imago images/photothek)

Berlin Wird bei den Grünen die Nummer zwei im Wahlkampf die künftige Nummer eins? Die beiden Parteichefs Annalena Baerbock und Robert Habeck haben schon vor den Verhandlungen über eine Regierungsbildung geklärt, wer von ihnen den Vizekanzlerposten übernehmen würde. Und es spricht einiges dafür, dass sich nach dem eher enttäuschenden Ergebnis von 14,8 Prozent die innerparteiliche Hierarchie ändert und Habeck an die Spitze rückt.

„Gehen Sie davon aus, dass wir komplett sortiert sind“, sagte Habeck am Montag auf eine entsprechende Frage. Ob er wirklich Vizekanzler werden würde, sollten sich die Grünen mit FDP und SPD oder Union auf eine Koalition einigen, ließ Habeck, der bei den Wahlen ein Direktmandat in seinem Flensburger Wahlkreis geholt hatte, allerdings offen.

Die Grünen waren angetreten, führende Kraft im Land zu werden. „Das haben wir nicht erreicht – auch aufgrund eigener Fehler zu Beginn des Wahlkampfs“, sagte Baerbock, die als Kanzlerkandidatin seit April eine herausgehobene Rolle gespielt hatte.

Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ schrieb, dass die beiden sich schon vor längerer Zeit für den Fall eines schlechten Wahlergebnisses auf Habeck als Vizekanzler verständigt hätten. Baerbock habe ihre Chance gehabt, heißt es nun in der Partei. Mit den personellen Konsequenzen müsse man deutlich machen, dass die Grünen nicht einfach in der bisherigen Formation weitermachen könnten, sondern „verstanden haben“. Die jetzt anstehenden Gespräche mit potenziellen Koalitionspartnern wollen Baerbock und Habeck allerdings gemeinsam führen.

Habeck versuchte vor der Fraktionssitzung am Dienstag, die Personalspekulationen wieder einzufangen. Zum jetzigen Zeitpunkt sei die Frage, wer von den Grünen den Vizekanzlerposten übernehmen werde, „völlig irrelevant“. „Wir haben ja nicht mal einen Kanzler.“

„Die Wirklichkeit ist, dass die beiden Parteivorsitzenden diese Verhandlungen gemeinsam führen werden und die Wirklichkeit ist, dass unter den beiden alles besprochen ist und dass wir Personalentscheidungen am Ende treffen werden“, sagte Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt. Der frühere Grünen-Fraktionschef und Umweltminister Jürgen Trittin kritisierte die Planspiele zur Postenverteilung. „Wir verhandeln eine Regierung, die Deutschland auf den 1,5-Grad-Pfad bringt“, sagte er dem „Spiegel“. „Danach wird entschieden, wer welchen Posten bekommt“, sagte er. „Das entscheidet die Partei und nicht nur zwei Personen in persönlichen Gesprächen“, erklärte er.

Die FDP wird ein Wörtchen mitreden wollen

Nicht nur Teile der eigenen Partei müssten noch davon überzeugt werden, Habeck in einer künftigen Bundesregierung eine führende Rolle zuzubilligen. Auch die Liberalen als potenzielle Koalitionspartner würden ein Wort mitreden wollen, jedenfalls mit Blick auf ein Ministeramt: FDP-Chef Christian Lindner hat unmissverständlich klargemacht, dass er im Fall einer Regierungsbeteiligung Finanzminister werden möchte. Genau dieser Posten ist auch für Habeck im Gespräch.

Die aktuelle Debatte über Habecks künftige Rolle kommt nicht völlig überraschend. Bereits während des Wahlkampfs war wiederholt spekuliert worden, dass die Grünen möglicherweise mit Habeck mehr Stimmen hätten holen können. Zwar wurde hier und da gezweifelt, doch offiziell standen alle zu Baerbock – eine offene Rebellion wie im Unionslager gegen den Kandidaten Armin Laschet gab es nicht. Auf dem Parteitag im Juni wurde die 40-Jährige mit knapp 98 Prozent der Stimmen bestätigt.

Den Habeck-Fans war klar: Auch er wäre sicherlich nicht fehlerlos durch den Wahlkampf gekommen. Habeck selbst sagte einmal: „Ich hätte andere Fehler gemacht.“ Der 52-jährige gebürtige Lübecker, der heute in Flensburg lebt, war in Umfragen lange bekannter als Baerbock, die beide seit Ende Januar 2018 an der Spitze der Bundespartei stehen. Doch Baerbock holte auf, und am Ende wurde sie Kanzlerkandidatin.

Habeck haderte mit der Entscheidung. Es sei der schmerzhafteste Tag seiner politischen Laufbahn gewesen, sagte er wenige Stunden nach Verkündung der ersten Grünen-Kanzlerkandidatur überhaupt in der Parteigeschichte. Er habe sich eine Woche lang „schütteln“ müssen, erzählte er später. Dann habe er seine Rolle „vollumfänglich“ akzeptiert.

Der studierte Philosoph kann Regierungserfahrung vorweisen

Wirklich? Mitunter gibt es Zweifel daran. Warum etwa ist er Baerbock nicht zur Seite gesprungen, als diese im Kreuzfeuer der Kritik nach den Plagiatsvorwürfen stand? Habeck, der diese Phase rückblickend als eine entscheidende bezeichnet, sagt, er war im Urlaub, „und zwar richtig, mit dem Zelt und dem Campingkocher“. So erzählt er es in der ARD-Dokumentation „Wege zur Macht“. „Ich war nicht eingebunden in die Kommunikationsprozesse. Und wollte es auch nicht sein. Das waren die fünf Tage, die ich haben wollte, um noch mal Kraft zu tanken“, so Habeck.

Regierungserfahrung in Schleswig-Holstein: Mit dem FDP-Fraktionsvorsitzenden Kubicki saß Habeck in Kiel in einer Koalition. Quelle: dpa
Robert Habeck und Wolfgang Kubicki im Jahr 2017

Regierungserfahrung in Schleswig-Holstein: Mit dem FDP-Fraktionsvorsitzenden Kubicki saß Habeck in Kiel in einer Koalition.

(Foto: dpa)

Anders als Baerbock kann der studierte Philosoph Habeck Regierungserfahrung vorweisen, hat Wahlen gewonnen, seine Partei zweimal in Schleswig-Holstein in eine Koalition geführt. Von 2004 bis 2009 war er Landesvorsitzender der Grünen in Schleswig-Holstein, danach, bis 2012, Fraktionschef im Kieler Landtag. 2012 wechselte er auf die Regierungsbank, war bis 2018 Vize-Regierungschef im Norden und Minister für Energie, Landwirtschaft, Umwelt, ländliche Räume und Digitalisierung, bevor es ihn weiter zur Bundespartei nach Berlin zog.

Schnell galt er als Hoffnungsträger, als einer, der den Grünen jenseits ihrer Stammwählerschaft bundesweit Zulauf verschaffen kann. Er ist anders als andere Politgrößen, und dieses Image pflegt er bewusst. Es gibt Fotos von ihm, die ihn beim Wattwandern zeigen oder inmitten von Sonnenblumen und Pusteblumen. Meist tritt er eine Spur legerer auf als andere Parteivorsitzende, einen Schlips trägt er nie.

Habeck sei „nicht der typische Alpha-Mann, der meint, alles zu wissen“, heißt es in seinem Umfeld. Typisch für ihn sei, vermeintliche Gewissheiten auch mal infrage zu stellen und zu bekennen, nicht auf alles eine Antwort, aber eine Haltung zu haben. „Da gibt es ein großes bürgerliches Spektrum, das sich von Habecks Art, seinem Pragmatismus und seinen Überzeugungen angesprochen fühlt.“

Immer dann, wenn es um das große Ganze geht, wenn Habeck verspricht, einer „lahmen Bundesregierung“ eine neue, eine grüne Energie entgegenzusetzen, wenn er „Mittelmaß, Müdigkeit und Missgunst“ durch „unseren pragmatischen Idealismus“ ersetzen und das „Klein-Klein der Koalition“ beenden will, immer dann kann Habeck zu Hochform auflaufen.

Authentisch, aber dadurch auch nicht frei von Patzern

Habeck ist keiner, der seine Rolle darin sieht, den politischen Gegner permanent zu kritisieren. Anfangs grummelte die Basis, Habeck verbreite „zu viel Ego“ und „zu wenig Demut“. So kam es, dass er später vor allem ein Wort ganz besonders strapazierte, besonders nach erfolgreichen Wahlen wie der Europawahl 2019: Demut. Von Demut kann in diesen Tagen jedoch keine Rede sein.

Das Bundesverfassungsgericht habe mit seinem Urteil zum Klimaschutz den Weg freigemacht, ausgetretene Pfade zu verlassen, so Habeck. Aber die Politik beschäftige sich mit Fragen, die eigentlich keine mehr sind. Was Klimaschutz koste, sei doch gar nicht die Frage. „Die Frage ist: Was kostet kein Klimaschutz?“ Die FDP, sagte er, bemühe den „dämlichen Gegensatz“ von deutschem und europäischem Interesse, die Union den „dämlichen Gegensatz von Wirtschaftswachstum und Klimaschutz“ und die SPD den von Gerechtigkeit oder Fortschritt. Es gebe eine Wechselstimmung in der Gesellschaft, sagte Habeck. Aber „wenn wir nicht aufpassen, dann bekommen wir eine Regierung, die nicht zur Gesellschaft passt“.

Für Habeck propagiert die Union den „dämlichen Gegensatz von Wirtschaftswachstum und Klimaschutz“. Quelle: imago/Rainer Weisflog
Kohlekraftwerke und Windenergie

Für Habeck propagiert die Union den „dämlichen Gegensatz von Wirtschaftswachstum und Klimaschutz“.

(Foto: imago/Rainer Weisflog)

Manche von Habecks Reden waren immer wieder überraschend links, wobei er selbst von diesem Rechts-links-Schema nichts wissen will. Seine Lieblingsthemen der vergangenen Monate: der Ruf nach mehr Investitionen und die Weiterentwicklung der Schuldenbremse. Er steht zur Marktwirtschaft, aber sozial-ökologisch soll sie sein. Dem hyperglobalisierten Kapitalismus, wie er es nennt, will er neue Regeln geben.

Aktive Industriepolitik heißt nicht nur Grausamkeiten

Wie Baerbock hat auch Habeck im Klimaschutz wiederholt „starke Leitplanken“ gefordert, worunter er allerdings nicht nur ordnungsrechtliche Vorgaben etwa für den CO2-Ausstoß bei Autos versteht, sondern auch eine starke Innovationsförderung, um die notwendige Transformation vor allem der energieintensiven Industrien zu beschleunigen und so im Wettbewerb etwa mit China zu bestehen.

Aktive Industriepolitik, wie die Grünen es nennen, heißt nicht, dass es Grausamkeiten hageln wird, sollten die Grünen in die Regierung kommen. Förderinstrumente für die Herstellung von klimaneutralem Stahl sind darunter ebenso zu verstehen.  

Die Grünen haben ihr Verhältnis auch zur energieintensiven Industrie in den vergangenen Jahren deutlich entspannt. Längst tauschen sie sich regelmäßig mit Unternehmern aus, etwa über ihren Wirtschaftsbeirat, dessen Mitglieder ihnen bescheinigen, konstruktiv nach Lösungen zu suchen. Die Versöhnung von Ökologie und Ökonomie – das ist längst nicht nur das Credo von Baden-Württembergs grünem Regierungschef Winfried Kretschmann.

Mehr: Wo die Konfliktherde der möglichen Koalitionen liegen

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1 Kommentar zu "Regierungsbildung: „Bürgerliches Spektrum, das sich von ihm angesprochen fühlt” – Warum Habeck wieder in die erste Reihe rückt"

Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.

  • Herr Habeck ist mit Sicherheit der vernünftige, pragmatische, der mit Herrn Kretschmann die grünen Interessen deutlich besser vertreten kann als so manch andere.
    Wäre wohl die beste grüne Option.

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