Regierungsbildung „Sind zweijährige Stuhlkreise gewohnt“: Bayerns Ministerin Gerlach fordert Digitalministerium im Bund

Die bayerische Staatsministerin fordert ein Digitalministerium auch im Bund.
München Die bayerische Digitalministerin Judith Gerlach (CSU) hat ein Digitalministerium auch in der Bundesregierung gefordert. Dieses müsse mit einem großen Budget und ausreichenden Kompetenzen ausgestattet werden, sagte sie im Gespräch mit dem Handelsblatt: „Da muss geklotzt werden und nicht gekleckert.“
Mit einer Art „Beschleunigungsbudget“ könne ein solches Digitalministerium anderen Ressorts finanzielle Mittel zur Verfügung stellen, um digitale Projekte voranzubringen. „Entscheidend ist, dass ein Digitalminister oder eine Digitalministerin auch wirklich auf Augenhöhe zum Beispiel mit den Kollegen im Finanzministerium agieren kann“, sagte Gerlach.
SPD, Grüne und FDP hatten in ihrem Sondierungspapier zwar angekündigt, Kompetenzen in der Bundesregierung neu ordnen und bündeln zu wollen – wie das konkret ausgestaltet sein soll, ließen sie aber offen. Auch Bitkom-Präsident Achim Berg und Vertreter anderer Digitalverbände hatten sich für ein Digitalministerium ausgesprochen.
Das Digitalministerium müsse kein „Vetorecht, sondern ein Initiativrecht“ haben, um Projekte mit anderen Ministerien anzustoßen, sagte CSU-Ministerin Gerlach. „Es muss konzeptionell alles im Blick behalten.“ Auch die anderen Bundesministerien sollten digitale Stabstellen haben, es gehe immer wieder ums Abstimmen: „Nur dann sind zentrale Lösungen möglich.“
Zudem müsse die Koordination mit den zuständigen 16 Landesministern verbessert werden. Das gemeinsame Gremium „D16“ müsse sich mit der Bundesregierung über sinnvolle Projekte einigen.
Es sei etwa nicht nachzuvollziehen, warum jedes Bundesland sein eigenes Impfportal entwickelt habe. „Das war völlig unverständlich. Der Bund muss in solchen Fällen das Grundgerüst stellen, an das sich die anderen andocken können.“
Wenig Fortschritt in Verwaltungen
Im Bundestagswahlkampf hatte das Thema Digitalisierung bei vielen Parteien wieder eine wichtige Rolle gespielt. Große Fortschritte gab es in den vergangenen Jahren aber gerade in der Verwaltung nach Einschätzung von Experten nicht. Die Forscher vom Fraunhofer-Institut für Offene Kommunikationssysteme etwa untersuchten 300 repräsentativ ausgewählte Kommunen und resümieren: Es geht „nur schleppend“ voran.
In Bayern ist die Digitalisierung laut Gerlach zuletzt vorangekommen. „Wir verstehen uns als Thinktank der Staatsregierung.“ So sei für den Fall von Hackerangriffen eine IT-Bürgerhotline mit dem Innenministerium entstanden.
Doch es blieben wichtige Aufgaben zu lösen. So sei die Digitalisierung der Schulen wegen Corona zwar beschleunigt worden, „doch es gibt noch viel zu tun“. Es gehe weniger um Videokonferenz-Systeme als vielmehr darum, dass Schulen sich mit digitalen, interaktiven Lehrbüchern weiterentwickeln. Vokabeln könne eine App gut abfragen.
Bayern werde demnächst eine Grundschul-App vorstellen, die spielerisch Wissen vermittle, kündigte die CSU-Politikerin an. Es geht darum, dass Schüler Phänomene wie Mobbing, Hate Speech oder sexuelle Belästigung besser einschätzen können.
Der Rückstand Deutschlands gegenüber manchen Staaten in Sachen Digitalisierung liegt nach Gerlachs Einschätzung nicht an fehlenden Mitteln: „Geld ist eigentlich genug da – doch wir sind es gewohnt, erst einmal zwei Jahre einen Stuhlkreis zu machen. Die Uhr tickt.“
Wichtig sei, dass bei digitalen Verwaltungsangeboten wie der Bayern-App die jeweilige Kommune gut mitziehe. Gerlach: „Wir müssen im Staat bei der digitalen Transformation endlich ins Machen kommen, auch wenn unsere Angebote nicht zu 150 Prozent perfekt sind.“
Bayern setzt auf Kompetenz externer Experten
Die in Weibersbrunn im Spessart lebende Juristin zog 2013 in den Landtag ein und führt seit knapp drei Jahren das bayerische Digitalministerium mit 123 Mitarbeitern und 100 Millionen Euro Budget. Es brauche manchmal Überzeugungskraft, um Ideen intern durchzusetzen, sagte die 35-Jährige, zudem nutze sie die Kompetenz externer Experten.
Zu ihren Initiativen gehört unter anderem das digitale Unternehmenskonto, das inzwischen auch andere Bundesländer eingeführt haben. Man meldet sich hier mit der Steuernummer an. „Die Bürger haben oft nur alle Jahre mit der Verwaltung zu tun, etwa wenn sie einen neuen Personalausweis brauchen. Unternehmen aber haben im Schnitt bis zu 200 Behördenkontakte im Jahr“, sagte Gerlach. Daher seien digitale Services hier besonders wichtig. Gemeinsam mit Nordrhein-Westfalen will Bayern eine Unternehmensplattform für alle Anträge in ganz Deutschland durchsetzen.
Die Hightech-Agenda-Forschung der bayerischen Staatsregierung sei sehr wichtig gewesen, resümierte Gerlach, nun müsse man Künstliche Intelligenz (KI) bei Unternehmen und ihren Produkten konkret umsetzen.
Auf ihrer bayerischen „Sommertour“ habe sie entdeckt, dass einige Mittelständler kaum eine Vision fürs digitale Zeitalter hätten. In Regensburg entstand ein Regionalzentrum für das Modell „KI-Transfer-plus“, an dem der Landmaschinenbauer Horsch, der 3D-Drucker FIT AG sowie emz-Hanauer GmbH (Abfallbehälter) beteiligt sind.
Im Gespräch zeigte sich Gerlach schließlich als Fan einer „Entwicklungskultur“, bei der man etwas ausprobieren könne: „Das ist besser als das Leitbild einer Fehlerkultur, zumindest gilt das für den Staat.“
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