Benachrichtigung aktivieren Dürfen wir Sie in Ihrem Browser über die wichtigsten Nachrichten des Handelsblatts informieren? Sie erhalten 2-5 Meldungen pro Tag.
Fast geschafft Erlauben Sie handelsblatt.com Ihnen Benachrichtigungen zu schicken. Dies können Sie in der Meldung Ihres Browsers bestätigen.
Benachrichtigungen erfolgreich aktiviert Wir halten Sie ab sofort über die wichtigsten Nachrichten des Handelsblatts auf dem Laufenden. Sie erhalten 2-5 Meldungen pro Tag.
Jetzt Aktivieren
Nein, danke

Robert Habeck „Wir sind in einem Zustand eingeübter Feindschaft“

Der grüne Umweltminister aus Kiel fordert einen schnellen Start der Sondierungsgespräche für eine Jamaika-Koalition. Sonst drohe das Klima zwischen Union, FDP und Grünen vergiftet zu werden.
04.10.2017 - 06:10 Uhr 1 Kommentar
Der Umweltminister in Schleswig-Holstein: „Die Kanzlerin weiß hoffentlich, dass eine Jamaika-Koalition mehr sein muss als ein Notnagel.“ Quelle: Bloomberg
Robert Habeck

Der Umweltminister in Schleswig-Holstein: „Die Kanzlerin weiß hoffentlich, dass eine Jamaika-Koalition mehr sein muss als ein Notnagel.“

(Foto: Bloomberg)

Berlin Robert Habeck kommt per Fahrrad zum Interview mit dem Handelsblatt geradelt. Als Umweltminister regiert er in Kiel in einer Jamaika-Koalition. Nun soll er im Bund für die Grünen mitsondieren. Er ist schwer genervt, dass es noch immer keinen Termin für Gespräche mit Union und FDP gibt.

Herr Habeck, Sie haben in Kiel Jamaika erfolgreich verhandelt. Wie schnell muss jetzt sondiert werden?
Dass die Union nach einer Wahlniederlage eine gewisse Zeit braucht, um sich zu sortieren, ist nachvollziehbar. Aber dass Kanzleramtschef Peter Altmaier sagt, die Bildung einer neuen Regierung könne bis ins nächste Jahr dauern, finde ich verantwortungslos. Eine geschäftsführende Regierung hat keine Prokura, politische Initiativen voranzubringen, es herrscht quasi Stillstand. Und wenn morgen die nächste Euro-Krise kommt oder ein Auslandseinsatz beschlossen werden muss, kann im Augenblick niemand sagen, ob die Regierung dafür eine Mehrheit bekäme oder handlungsunfähig wird.

Wie sieht der Zeitplan also aus?
Das ist ja der Haken: Es gibt keinen Zeitplan, die Union hat keinen Plan. Sie leckt ausgiebig ihre Wunden, und die CSU sucht jedenfalls die Pflaster im rechten Schrankfach unten und überlegt noch, wer sie aufklebt. Ist mir ein bisschen zu viel Partei first. Wir sollten nicht unnötig Zeit verplempern.

Wollen Sie schon mal mit der FDP reden, solange sich die CDU sortiert?
In Schleswig-Holstein haben wir das so gemacht, und das war hilfreich. Aber da waren es auch drei Wahlsieger, und die Union war entspannter. Jetzt ist die Lage ungleich komplizierter. Aber unabhängig davon macht es Sinn, dass FDP und Grüne reden, denn wir befinden uns in einem Zustand eingeübter Feindschaft. Was uns trennt, wissen wir alle: Europa, Klima, Steuern, die Bürgerversicherung ... Jetzt geht es darum herauszufinden, was gemeinsam gehen könnte. Das darf aber nicht zu einem Postengeschacher führen – Karrieregeilheit ist jetzt das Letzte, was wir brauchen.

Im Moment ziehen die möglichen Partner unentwegt rote Linien.
Das ist ja auch viel einfacher, als zu sagen, was möglich ist. Ich sehe eine große Gefahr, dass in der Zeit bis zur Sondierung eine vielleicht mögliche gemeinsame Regierung zerlabert wird. Durch die unionsgemachte Hängepartie entsteht eine Leere, die durch lauter Einzelpositionen und No-Gos gefüllt wird. Und es gibt immer welche, die einen markigen Spruch dazupacken, was das Klima langsam, aber sicher vergiftet.

FDP-Chef Lindner meint, SPD-Chef Schulz sei in vier Wochen weg, dann denke die SPD um und es gebe die nächste Große Koalition.
Ich glaube nicht, dass die SPD noch umfällt. Wenn die Sozialdemokraten noch einmal in die Große Koalition gehen, sind sie das nächste Mal wirklich fertig. Das kann übrigens auch uns bei Jamaika passieren. Lindners Attacke klingt für mich wie Fortsetzung des Wahlkampfs. Aber der ist vorbei. Übrigens hat auch die FDP immer vor einer Neuauflage der Groko gewarnt, jetzt kann er sie doch nicht ernsthaft auffordern zurückzukommen. Das wirkt nachgerade hilflos.

Viele Grüne fürchten Jamaika.
Wir gehen das größte Risiko ein – mit Abstand: Optisch wären wir das dritte Rad am Wagen, und wenn Jamaika nur unter dem Label Bündnis der Wohlhabenden läuft, können wir als linke Partei einpacken. Aber wenn wir tatsächlich Fortschritte in für uns relevanten Politikfeldern machen, sollten wir es wagen. Und es gibt ja auch Chancen. In Schleswig-Holstein haben nach vier Monaten Jamaika-Koalition 2,6 Prozent mehr Wähler die Grünen gewählt als noch 2013. Jetzt geht es im Bund darum, sich zu stellen: Nicht zocken, nicht pokern, nicht darauf schielen, was für den Einzelnen rausspringt, sondern ernsthaft und verantwortungsvoll in schwierige, vielleicht die schwierigsten Koalitionsverhandlungen gehen, die Deutschland je hatte.

Haben Sie sich Jamaika gewünscht?
Nein, aber jetzt ist es so, und wir müssen was daraus machen. Ich sehe im Moment zwei Gefahren: neben dem Zerfasern die Überhöhung von Jamaika: Neue Wege, neue Kreativität, die Versöhnung von Ökonomie und Ökologie – das verkennt die großen Wertunterschiede zwischen den Parteien. Aber es gibt einen kleinen Korridor, in dem so ein Bündnis funktionieren kann. Wenn es ein Auseinanderfallen von gesellschaftlichem Diskurs verhindern könnte, wäre das nicht wenig.

Was heißt das konkret?
Die FDP zum Beispiel ist ziemlich staatsfern. Die Grünen dagegen hatten immer eine etatistische Grundausrichtung. Vielleicht kann man sich darauf einigen, Probleme stärker dort zu lösen, wo es am einfachsten ist, also nach dem Subsidiaritätsprinzip. Konkret hieße das eine stärkere Stellung der Kommunen. Würde man das Kooperationsverbot bei der Bildung abschaffen, könnte man in den Schulen viel bewegen. Die einen sagen: „Staat ist doof“, die anderen sagen: „Staat ist wichtig“, also muss man sehen, wie man zueinanderfindet. So einen Gedankensprung könnte man an diversen Stellen schaffen.

Macht da die FDP mit?
Wir wollen beide zum Beispiel Telekom-Aktien verkaufen und damit die Digitalisierung stärken. Beide wollen wir ein Einwanderungsgesetz, die FDP wahrscheinlich für englischsprechende indische Akademiker, wir auch für die Bedrängten dieser Welt, aber immerhin. Wir dürfen uns nicht in Spiegelstrichen verhaken, sondern den Politikentwurf dahinter entwickeln. Deals, also „Das gebe ich dir und das du mir“, reichen nicht. Jamaika muss den Parteien ihre Wertunterschiede lassen und trotzdem eine gemeinsame Idee von Politik und Gesellschaft entwerfen, das ist die eigentliche intellektuelle Herausforderung.

Was erwarten Sie von der Kanzlerin?
Ich hoffe sehr, dass die Union trotz ihres schlechten Wahlergebnisses schnell handlungsfähig wird. Und ich wünsche mir, dass die Merkel-Union dann noch eine Mitte-Union ist und kein Durchmarsch der Nationalkonservativen stattfindet, denn dann wird’s ganz schwierig. Aber die Kanzlerin weiß hoffentlich, dass eine Jamaika-Koalition mehr sein muss als ein Notnagel.

Für CDU-Vize Armin Laschet sind die Grünen eine Verbotspartei, die nur raus will: aus dem Verbrennungsmotor, aus der Kohle …
Und er ist für Kohle, für Diesel, für industrielle Landwirtschaft … So können wir ewig weitermachen. Aber wir müssen aufhören, immer nur über die anderen zu reden. Vielleicht sollten sich Herr Laschet und alle anderen mal überlegen, welchen Beitrag die Union leisten kann. Nicht die Gräben suchen, sondern die Brücken. Herr Laschet hat noch nicht kapiert, dass wir künftig vielleicht Partner sind. Nach dieser Wahl gibt es faktisch nur Jamaika – außer man will die SPD demütigen und so vielleicht die deutsche Sozialdemokratie vernichten. Oder man riskiert eine Neuwahl.

Grüne sticheln auch.
Weiß ich. Ich beschreibe ein strukturelles Problem, das alle haben. Alle werden inhaltlich ganz genau gucken, ob sie das, wofür sie im Wahlprogramm gestimmt und auf der Straße gekämpft haben, wiederfinden. Gerade deshalb muss man sich schon jetzt überlegen, ob es eine Idee gibt oder zwei oder drei, die stark genug sind, uns über eine Brücke zu bringen.

Reden Sie darüber auch mit Herrn Trittin? Wie groß wird das Störfeuer der linken Grünen?
Ich rede darüber mit allen, die mir über den Weg laufen. Und ich habe bisher keinen, der bei der Sondierung dabei sein wird, als obstruktiv erlebt – im Gegenteil. Die Gruppe ist sehr heterogen, aber alle sind sich einig, die Situation ernst zu nehmen, und zwar nicht nur taktisch, sondern auch gesellschaftlich.

Ist das Volk schon weiter? Unter den Wählern findet eine Mehrheit Jamaika jetzt schon gut.
Da steckt wenig dahinter, das sind vor allem mediale Wellen. Erfolg macht erfolgreich. Weil Jamaika jetzt interessant ist, sagen die Umfragen jetzt auch, dass es interessant ist. In Schleswig-Holstein hatten wir diese Überhöhung auch. 

Sie spielen auch deshalb eine Sonderrolle, weil viele hoffen, dass Sie von Cem Özdemir den Parteivorsitz übernehmen. Tun Sie das, wenn Sie zugleich Minister in Kiel bleiben können?
Was ich gerade tue, ist, so gut es geht meinen Beitrag zu ernsthaften Sondierungen zu leisten. Und noch mal: Alle, die jetzt nur über Posten reden und überlegen, wer was werden kann oder soll, haben nicht verstanden, was die Stunde geschlagen hat.

Herr Habeck, vielen Dank für das Interview.

Startseite
Mehr zu: Robert Habeck - „Wir sind in einem Zustand eingeübter Feindschaft“
1 Kommentar zu "Robert Habeck: „Wir sind in einem Zustand eingeübter Feindschaft“"

Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.

  • Sehr geehrte Damen Redakteure,

    es ist sympathisch und in höchstem Grade lobenswert, wenn Herr Habeck die Suche nach Gemeinsamkeiten in den Mittelpunkt seiner Überlegungen stellt. Aber es kann nicht nur darum gehen, "lohnende" Gemeinschaftsprojekte zu identifizieren und zu verabreden.

    Herr Habeck sollte sich bewußt machen, dass eine populistische Partei aus dem Stand heraus 13 % der Wählerstimmen erobert hat. Das Wählerpotential der AfD veranschlage ich mit 30 %. Und um es zu erreichen, muß die Partei keine Heldentaten vollbringen. Angesichts dieser Gefahr ist es eine gemeinsame Aufgabe aller demokratischen Parteien, die Populisten zu bekämpfen.

    Wenn dem so ist und weil dem so ist, können die Koalitionsverhandlungen nicht zu einer Veranstaltung "Wünsch Dir was" werden. Ob wir es wollen oder nicht, wird die leidige Flüchtlingsfrage im Mittelpunkt der Koalitionsverhandlungen stehen müssen und auch über deren Erfolg oder Mißerfolg entscheiden.

Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%