Rupert Scholz sorgt sich um Deutschland: „Es gibt rechtsfreie Räume“
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Rupert Scholz sorgt sich um Deutschland„Es gibt rechtsfreie Räume“
Der Verfassungsrechtler und ehemalige Bundesverteidigungsminister beklagt einen mangelnden Schutz des Eigentums. Durch die zunehmende Zahl der Delikte sieht er bereits die öffentliche Sicherheit in Gefahr. Ein Interview.
„In bestimmte Ecken geht die Polizei überhaupt nicht mehr.“
(Foto: Manuel Krug für Handelsblatt)
Er ist einer der besten Kenner des Grundgesetzes und ein Experte in innen- und sicherheitspolitischen Fragen. Der Christdemokrat gehörte zu den engsten Beratern von Bundeskanzler Helmut Kohl. Heute ist er in Sorge um die Republik – und wünscht sich zuweilen, die Kanzlerin möge ihn mal anrufen.
Herr Professor Scholz, sind Sie schon einmal bestohlen worden? War die Brieftasche weg oder das Auto geknackt? Das nicht, aber in mein Ferienhaus wurde bereits zweimal eingebrochen. Das war schlimm. Vor allem der Vandalismus, der dazukam. Das Haus war verwüstet.
Wurden die Täter gefasst? Einmal wurden sie gefasst. Aber all mein Besitz, den sie entwendet hatten, war weg.
Nach jüngsten Berichten wurden vergangenes Jahr in Deutschland rund 6,3 Millionen Straftaten begangen. Die Zahl der Wohnungseinbrüche ist um zehn Prozent gestiegen, auf 167.000 Fälle. Auch beim Laden- und Taschendiebstahl sowie beim Kfz-Klau gibt es Zuwächse. Was sagt das über unseren Rechtsstaat aus? Hier sind eindeutige Defizite festzustellen. Die öffentliche Sicherheit ist in Gefahr. Das zeigen vor allem die Eigentumsdelikte. Denn der Rechtsstaat muss dem Bürger ein Höchstmaß an Rechtssicherheit verbürgen. Das gehört zu den grundlegenden Verfassungsprinzipien.
In Artikel 14 des Grundgesetzes heißt es: Das Eigentum wird gewährleistet. Was genau meint das? Der Schutz des Eigentums ist ein elementares Menschenrecht. Es handelt sich um eine vom Staat gegebene Garantie, wie sie zu unserer freiheitlichen, marktwirtschaftlichen Ordnung selbstverständlich gehört. Das Eigentum muss gewährleistet werden.
Der Staat gibt dem Bürger also ein Versprechen? Ja. Die Gesetzgebung muss für die nötige Sicherung sorgen. Das ist im Falle der Diebstähle, gerade auch im Falle der Wohnungseinbrüche, über das Strafgesetzbuch geregelt. Aber auch die Exekutive muss ihren Anteil tragen, und das ganz entscheidend.
Hier ist die Polizei angesprochen. Richtig. Hier liegen heutzutage die entscheidenden Defizite. Alle Bundesländer haben in den vergangenen Jahren in vielen Sparrunden die Polizei abgebaut. Was nun ganz eklatant fehlt, sind genügend Polizeistreifen auf der Straße. Nur das gibt eine gewisse Gewähr, dass Schutz vor Diebstahl herrscht.
Ist der Staat auch verpflichtet, dafür zu sorgen, dass sich der Bürger nicht vor Kriminalität fürchtet? Selbstverständlich ist der Staat für das Sicherheitsgefühl der Bürger verantwortlich. Sicherheit hat zwei Seiten: Das eine ist die objektive Sicherheits- oder Unsicherheitslage. Und die andere Seite ist das subjektive Sicherheits- oder Unsicherheitsempfinden der Bürger. Gerade beim subjektiven Empfinden können wir heute verheerende Entwicklungen feststellen. Der Bürger fühlt sich in seinem Staat, in seiner Gesellschaft, in seiner Heimat zunehmend nicht mehr sicher. Das kommt natürlich durch das Anwachsen der Kriminalität. Dem muss der Staat entgegenwirken, so dass der Bürger wieder das Gefühl gewinnt: Er ist in diesem Staat sicher.
In Berlin wird gerade debattiert, ob es schon sogenannte No-go-Areas gibt. Existieren solche rechtsfreien Räume, wo die Polizei vor der Kriminalität kapituliert hat? Zumindest in Ansätzen gibt es leider solche rechtsfreien Räume. In bestimmte Ecken geht die Polizei überhaupt nicht mehr. Das ist eine Katastrophe. So etwas darf nicht hingenommen werden.
Also scheitert der Staat an seinem grundgesetzlichen Versprechen, das Eigentum zu schützen? Der Staat scheitert nicht. Aber er gerät mit seinem eigenen verfassungsrechtlich vorgegebenen Selbstverständnis in Konflikt. Das darf nicht sein. Es ist die zentrale Aufgabe eines jeden Staates, für Sicherheit zu sorgen.
Rupert Scholz – der politische Professor
Schon als junger Hochschullehrer für Staats- und Verwaltungsrecht profiliert sich Scholz. Von 1978 bis zu seiner Emeritierung 2005 hatte er den Lehrstuhl für öffentliches Recht an der Universität München inne. Noch immer gibt der 78-Jährige den maßgeblichen Grundgesetzkommentar heraus. Seit 2005 ist er als Berater für die Kanzlei Gleiss Lutz tätig.
Der Berliner Regierende Bürgermeister Richard von Weizsäcker holt Scholz 1981 als Senator nach Berlin. Erst 1983 tritt er mit 46 Jahren in die CDU ein. 1988 avanciert Scholz zum Bundesminister der Verteidigung – allerdings nur für ein Jahr. Dann bildet Kanzler Kohl das Kabinett um. Von 1990 bis 2002 war Scholz Bundestagsabgeordneter.
Die Polizei spricht indes vom „Raubzug“ in Deutschland, hochmobile Banden nähmen sich ganze Landstriche vor. Sie haben schon die fehlende Polizei angeprangert. Wo sehen Sie weitere Versäumnisse der Politik? Es gibt neben dem Polizeiversagen weitere Versäumnisse. Dazu zählt das Fehlen von Grenzkontrollen. Die Kriminalitätsstatistik zeigt, dass zunehmend organisierte Banden aus Ost- und Südosteuropa hierzulande ihr Unwesen treiben. Dem muss man begegnen. Das geht aber nur, indem man wirksame Grenzkontrollen durchführt. Die Grenze und der Schutz der Grenze sind ein Teil der rechtsstaatlichen Sicherheitsverantwortung.
Hieße das, das Schengen-Abkommen auszusetzen? Keineswegs. Schengen garantiert Freizügigkeit für den rechtstreuen Bürger. Aber Schengen garantiert keine Freizügigkeit für Kriminelle.
Was dann? Die Polizei, die Grenzbehörden, die Zollbehörden müssen ihre Aufklärungsarbeit leisten. Dann wird das auch zu einem wirksamen Schutz führen. Es geht nicht nur darum, die Schleierfahndung zu verstärken. Man muss auch stärker mit anderen Ländern kooperieren, zum Beispiel mit Polen. Von dort werden, das ist bekannt, die meisten Kfz-Diebstähle organisiert. Es gibt eine Fülle von Möglichkeiten. Aber sie müssen genutzt werden.