Saubere Luft Tickets für einen Euro pro Tag – Bund fördert preiswerten Nahverkehr in fünf Modellstädten
Berlin Ein Leben wie in Wien – das wünschen sich nicht nur Kaffeehaus-Liebhaber, sondern auch Freunde des öffentlichen Personennahverkehrs. 365 Euro verlangt die Stadt für ein Jahresticket, einen Euro pro Tag also, um mit Bussen oder der U-Bahn durch die Stadt zu fahren.
Dieses Modell, mit dem die österreichische Hauptstadt seit 2012 wirbt, sollen nun auch Städte in Deutschland ausprobieren. Am Freitag will das Bundesumweltministerium mit den Oberbürgermeistern von Bonn, Essen, Herrenberg, Mannheim und Reutlingen entsprechende Maßnahmen beschließen und so sein Versprechen einhalten, das die Regierung der EU-Kommission gemacht hat – zumindest zum Teil.
Im Februar hatte die Bundesregierung der EU-Kommission zugesagt, in fünf Modellstädten kostenlosen Nahverkehr auszuprobieren. Im Gegenzug, so die Hoffnung, würde die EU-Kommission davon absehen, gegen Deutschland und jene Kommunen zu klagen, die es nicht geschafft haben, die Grenzwerte zur Luftreinhaltung einzuhalten. Die Kommission ließ sich davon zwar nicht beeindrucken und reichte Klage vor dem Europäischen Gerichtshof ein.
Auch die fünf Modellstädte zeigten sich überrascht, warum gerade sie nun ihren Nahverkehr umsonst anbieten sollten – und fragten, wer das am Ende bezahlt. Und obendrein entschied auch noch das Bundesverwaltungsgericht, dass Städte Fahrverbote für Dieselautos verhängen dürfen, wenn die Grenzwerte anders nicht eingehalten werden können. Hamburg hat bereits Verbote ausgesprochen, Stuttgart und andere Städte wollen folgen.
Die Modellstädte sollen dennoch neue Mobilitätskonzepte ausprobieren. 128,1 Millionen Euro will der Bund dafür bereitstellen und ausgewählte Vorschläge der Städte finanzieren. Über das Maßnahmenpaket, das dem Handelsblatt vorliegt, will das Ministerium am Freitag mit den Bürgermeistern beraten und dann einen öffentlichkeitswirksamen Termin mit Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) und Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) samt Bürgermeistern vorbereiten.
Einen kostenlosen Nahverkehr soll es nicht geben, wohl aber einen verbilligten: So will Bonn ein „Klimaticket à la Wien einführen“, wie es in der Übersicht heißt. Sollten die dem Verkehrsbund angehörenden Gemeinden dem Rabatt zustimmen, würden Einnahmen von 22 Millionen Euro fehlen, die der Bund dann zahlen will.
Auch Reutlingen setzt auf das 365-Euro-Ticket „plus“. „Plus“ bedeute eine kostenlose Mitgliedschaft beim Carsharinganbieter TeilAuto, heißt es in den Unterlagen. In Essen sollen Neukunden statt für 30 Monate nur 15 für ein Abo bezahlen und Freifahrten im Carsharing sowie einen Taxigutschein pro Monat erhalten. Die „NOx-Prämie“ soll helfen, Stickoxide einzusparen, von denen in der Stadt 2017 50 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft im Jahresmittel emittiert wurden. Erlaubt sind 40 Mikrogramm.
Mannheim will seine Preise auch um bis zu ein Drittel senken, ein Jobticket für Unternehmen in der Innenstadt anbieten und die Arbeitgeber von ihrem Anteil befreien. Herrenberg plant, sein „City-Monatsticket“ 50 Prozent günstiger anzubieten, „um Verkehre aus den Stadtteilen und den benachbarten Kommunen auf den ÖPNV zu lenken“.
Doch ob dies hilft, die Grenzwerte einzuhalten? Als Vorbild gilt zwar Wien, wo Direktzahler besagte 365 Euro für die Jahreskarte zahlen. Seither nutzen in der wachsenden Stadt in der Tat doppelt so viele Menschen den Nahverkehr. Doch damit stiegen für die Stadt auch die Kosten: Mehr Busse und U-Bahnen waren nötig. Inzwischen liegen die Betriebskosten bei 331 Millionen Euro.
Jüngst haben die Verkehrsbetriebe die Ticketpreise erhöht, zwar nicht für das prestigeträchtige Jahresticket, aber etwa für Einzelfahrscheine und Wochenkarten. Immerhin fahren inzwischen 38 Prozent der Wiener mit dem Nahverkehr, in Berlin etwa sind es 27 Prozent. Trotz der hohen Nachfrage überschreitet Wien auch noch die Grenzwerte. Auch fahren nur sieben Prozent der Wiener mit dem Rad durch die Stadt – in Münster etwa sind es rund 40 Prozent.
Die Kosten für den Nahverkehr werden auch in den fünf deutschen Modellstädten steigen. Schließlich planen die Bürgermeister auch eine Qualitätsoffensive mit deutlich mehr Bussen und Bahnen, um die erhoffte steigende Nachfrage bewältigen zu können. Ohne einen attraktiven Nahverkehr lockt auch keine Preissenkung Pendler vom Auto in die Bahn.
Die Subventionen muss die EU-Kommission noch genehmigen. Allein 123 der 128 Millionen Euro sind vorgesehen, um den Nahverkehr zu verbilligen (70 Millionen) oder auszubauen. 5,6 Millionen Euro sind für andere Maßnahmen vorgesehen: So will Herrenberg auf den stark befahrenen Durchfahrtstraßen mit Tempo 30 für bessere Luft sorgen.
Mannheim will mit einem „Letzte-Meile-Konzept“ Lieferfahrzeugen die Einfahrt in die Stadt untersagen. Sie sollen an bestimmten Standorten, sogenannten „Micro-Hubs“, abladen. Und Reutlingen will wie Essen zumindest einige Radstraßen bauen.
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Solange 95% aller Parkplätze umsonst sind und viele Städte sich immer noch mehr um den Autoverkehr kümmern, als um die anderen Verkehrsteilnehmer wird es mit dem Umstieg von Auto in den ÖPNV nichts werden.
Es ist ja gut, wenn mehr Busse und Bahnen unterwegs sind. Was in vielen Städten fehlt, wie z.B. in Fellbach ist, dass Busse und Bahnen aufeinander abgestimmt sind. In Fellbach fährt Fahrplanmäßig der wichtige Bus der Linie 60 genau zum Zeitpunkt der Abfahrt der S-Bahn in den Bahnhof ein! Sehr zum Ärger der Fahrgäste!