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Zugfahrerin: Bis zu 90 Prozent Ersparnis mit dem Semesterticket.

Scheinstudierende An der Uni einschreiben nur fürs Semesterticket: Ist das legal?

Mit einem Semesterticket fährst du billig Bus und Bahn. Doch das gilt nur für Studenten. Viele schreiben sich nur für den Rabatt an der Uni ein. Bislang haben sie kaum etwas zu befürchten.
06.11.2019 - 13:50 Uhr Kommentieren

Dieser Artikel ist am 06. November 2019 bei Orange - dem jungen Portal des Handelsblatts - erschienen.

Wenn Benjamin in den Zug steigt, zahlt er 82 Prozent weniger als alle anderen. Das Wintersemester läuft seit drei Monaten. Doch Benjamin fährt nicht etwa zur Uni, sondern zur Arbeit. Wenn ein Kontrolleur nach seiner Fahrkarte fragt, zeigt er sein Semesterticket. Aufschrift: Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.

Semesterticket als Scheinstudent: „Theoretisch könnte man von Betrug sprechen“

Benjamin heißt eigentlich anders, doch seinen richtigen Namen will er nicht in einem Artikel lesen. Denn was er da täglich macht, ist eine Lüge. Der 34-Jährige hat sich an der Uni zwar eingeschrieben. Doch in seinem angeblichen Fach Informatik hat er noch nie einen Kurs besucht oder gar eine Prüfung geschrieben. Student ist er nur auf dem Papier – damit er günstig Bus und Bahn fahren kann.

Für seine tägliche Strecke von Duisburg nach Köln müsste er eigentlich 285 Euro im Monat zahlen. Mit dem Semesterticket sind es nur 50,56 Euro. Insgesamt spart er auf diese Art nach eigenen Angaben etwa 2.800 Euro im Jahr. Geld, das ihm eigentlich nicht zusteht. Theoretisch könnte man sogar von Betrug sprechen, sagt Rechtsanwalt Felix Winkler. Den Universitäten fehle es aber an Methoden, das nachzuweisen.

Benjamin ist ein schlechtes Vorbild – doch unzählige Deutsche tun es ihm gleich. Allein die Uni Düsseldorf schätzt nach einem Bericht der Rheinischen Post, dass etwa 8.000 Leute nur wegen des Semestertickets eingeschrieben sind. Das bedeutet: Jeder vierte Uni-Student in Düsseldorf studiert nur zum Schein.

Die Uni Köln geht von mindestens 4.000 Scheinstudenten aus, wie ein Sprecher auf Anfrage bestätigt. Andere Hochschulen wie zum Beispiel die Uni München haben keinen Schimmer, wie viele Menschen das System ausnutzen. Ein Sprecher mag keinen Schätzwert nennen.

Die Idee mit dem Semesterticket kommt Benjamin im Frühjahr 2018. Bei der Arbeit. Als er seinen Kollegen im Büro erzählt, wie viel er für den Weg zum Job ausgibt, erklären die ihn für bekloppt. Warum er sich nicht einfach als Student einschreibe, fragen sie. An der Uni Düsseldorf gehe das besonders leicht. „Da kann man alles online machen. Die Unterlagen kommen per Post. Man muss nicht mal da hin.“

UPDATE: Im November 2019 fragen wir die Düsseldorfer Uni, was sie gegen die Scheinstudenten unternimmt. Antwort: Nichts. Schriftlich teilt ein Sprecher mit:

„Es gibt prinzipiell keine Möglichkeit eine Einschreibung zu verhindern, wenn eine Hochschulzugangsberechtigung vorliegt. „Zwangsexmatrikulationen“ wären zwar prinzipiell möglich, allerdings verwaltungs- und klagetechnisch sehr aufwändig und außerdem nicht lohnenswert, da die oder der exmatrikulierte Studierende sich dann einfach in ein anderes freies Fach einschreiben kann.“

Die Zahl der vermuteten Scheinstudenten ist derweil gestiegen. Inzwischen rechnet die Uni mit 9000. Der Sprecher betont, dass sich um eine Schätzung handelt. So viele Leute haben ein Zweitstudium belegt, tauchen aber nicht in den Seminaren auf, für deren Fächer sie eingeschrieben sind.

„Wir können nicht mit hinreichender Sicherheit behaupten, das seien alles Ticketstudenten“, sagt der Sprecher. Es könne aber nicht überprüft werden, aus welchen Motiven und mit welchem Erfolgswillen sich jemand einschreibt.

Semesterticket ohne Studium: Ist das legal oder illegal, Herr Anwalt?

Wer sich an einer deutschen Hochschule einschreibt, muss pro Halbjahr einen Semesterbeitrag zahlen. Davon finanzieren die Unis zum Beispiel einen Teil des billigen Mensa-Essens und des Studentenwerks, das sich unter anderem um Wohnheime kümmert. Der größte Teil wird für das Semesterticket fällig, mit dem Studenten sechs Monate lang kostenlos Busse und Bahnen des Nahverkehrs nutzen können. Bei Unis in Nordrhein-Westfalen sogar im gesamten Bundesland.

In Düsseldorf lag der Semesterbeitrag im Frühjahr bei 303,33 Euro. Von diesem Geld gehen 143,82 Euro an die Verkehrsbetriebe, also nicht mal 24 Euro im Monat. Für Vielfahrer wie Benjamin ist das fast nichts. Für seine Fahrten müssten die Bus- und Bahnbetreiber eigentlich 261 Euro mehr bekommen.

In München ermöglicht der Semesterbeitrag allein nur eine eingeschränkte Nutzung. Wollen Studenten den Nahverkehr unbegrenzt nutzen, müssen sie noch 195,70 Euro pro Semester draufzahlen (Stand: November 2019)

In München ermöglicht der Semesterbeitrag allein nur eine eingeschränkte Nutzung. Wollen Studenten den Nahverkehr unbegrenzt nutzen, müssen sie noch 195,70 Euro pro Semester draufzahlen (Stand: November 2019)

Ist der Scheinstudent damit ein Betrüger? Macht er sich gar strafbar? „Nein“, sagt Jürgen Sauren, Fachanwalt für Strafrecht in Köln. Scheinstudenten betrügen nach Ansicht Saurens weder die Universität, noch die Bahnunternehmen. Mit dem Einschreiben und dem Überweisen des Semesterbeitrags bestätige man lediglich, dass man den Status Student habe. Wie intensiv man das Studium angeht, dazu müsse man keine Angaben machen.

Anwalt Sauren kennt wie auch sein Kollege Felix Winkler keinen einzigen Fall, bei dem ein Scheinstudent vor Gericht musste. Es gebe keine Gesetze, mit denen sich ein Betrug mit dem Semesterticket belangen ließe. Auch der Sprecher der Uni Köln sagt, dass Hochschulen rechtlich nicht gegen Ticket-Studenten vorgehen könnten.

Betrug mit dem Semesterticket in NRW? Den Universitäten fehlt die Kontrolle

Auch Benjamin ist sich sicher, dass er mit seiner Lüge durchkommt. Kurz bevor er sich als Student einschreibt, lernt er durch Zufall eine Mitarbeiterin der Uni Düsseldorf auf einer Party kennen. Die erklärt ihm sogar, dass die Uni dies auch nicht nachweisen könnte.

In Köln lief es bis vor wenigen Jahren noch skurriler: Dort erhielten Studenten, die gerade ihren Abschluss gemacht hatten, im Sekretariat noch Tipps, für welche Studiengänge man sich besonders leicht einschreiben könne, um das Ticket zu behalten. Denn das geht praktisch nur in Studiengängen, die bei echten Studenten nicht sonderlich beliebt sind.

Zulassungsfrei heißen diese Fächer an der Uni. Für diese braucht man im Unterschied etwa zu Medizin keine besonders gute Abi-Note. Der Uni-Sprecher sagt, dass ihm solche Fälle nicht bekannt seien.

Dennoch bleibt der Eindruck, dass es Scheinstudenten leicht haben. Und es spricht sogar einiges dafür, dass das so bleiben sollte. Schließlich heißt es noch lange nicht, dass jemand betrügt, nur weil er nicht richtig studiert. Denn das kann auch andere Gründe haben: Prüfungsangst zum Beispiel. Einen Auslandsaufenthalt. Oder eine erkrankte Oma, die zu Hause zu pflegen ist.

Die Bahnunternehmen können Scheinstudenten mit Semesterticket jedenfalls kaum entlarven. Denn bei Kontrollen zeigen sie schließlich gültige Fahrscheine vor. Ob jemand tatsächlich ernsthaft studiert, lasse sich darauf nicht ablesen. Solche Infos könnte wenn überhaupt die Universität bereitstellen, sagt der Sprecher der Düsseldorfer Rheinbahn.

Die Unis machen das aber auch nicht. Beispiel Bayern: „Wir können nicht unterscheiden, warum jemand keine Kurse belegt oder keine Prüfungen schreibt“, sagt ein Sprecher der Uni München. Der Sprecher der Uni Köln findet außerdem: „Zu viel Kontrolle widerspricht der Idee, sein Studium selbst zu gestalten.“

Einschreiben nur fürs Semesterticket: „Keine Angst vor rechtlichen Folgen“

Wie groß der wirtschaftliche Schaden insgesamt ist, lässt sich kaum ermitteln. Dazu müsste man wissen, wie viele Leute tatsächlich nur zum Schein studieren. In Nordrhein-Westfalen ist das Ministerium für Kultur und Wissenschaft für die Hochschulen zuständig. Zahlen und Daten ließen sich praktisch nicht erheben, sagt ein Sprecher. Man könne ja kaum ehrliche Antworten erwarten, wenn man Studenten zu diesem Thema befrage.

Im anonymen Orange-Interview erzählen sie dagegen ausführlich, wie sie das System ausnutzen – und das in jedem Alter. Da ist zum Beispiel Britta (Name geändert). Sie ist seit vielen Jahren Lehrerin und zahlt dank Semesterticket nur 45 Euro statt 250 Euro für Bus und Bahn. Britta ist an einer großen NRW-Uni für Naturwissenschaften eingeschrieben. Angst vor rechtlichen Folgen hat sie nicht. Sie trickst schon seit 15 Semestern.

Hinweis der Redaktion: Der Artikel ist erstmals im Januar 2019 auf Orange erschienen. Im November 2019 haben wir die Uni Düsseldorf erneut zum Thema befragt und die neuen Informationen ergänzt.

Mehr: Teilzeitstudium: Es mangelt an Angeboten – und am Geld

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