Schneller Mobilfunk Einfach, energiearm, sicher – Ein neuer 5G-Standard eröffnet Europas Industrie eine neue Zeitrechnung

Bislang versuchen vor allem die Mobilfunkunternehmen wie Telekom oder Vodafone, ihre Frequenzen für die 5G-Netze zu Geld zu machen.
Berlin Im Rennen um die Vorherrschaft beim Mobilfunkstandard 5G beginnt eine neue Zeitrechnung: Nicht mehr allein die Netzbetreiber und vor allem die Netzwerkausrüster wie Huawei oder ZTE aus China, Samsung und LG aus Südkorea oder Qualcomm und Intel aus den USA entscheiden mit ihren Patenten über die Art und Weise, wie Daten über Funkfrequenzen so gut wie in Echtzeit von einem Ort zum anderen rasen.
Künftig steht für das Internet der Dinge und die für die deutsche Wirtschaft so zentrale Industrie 4.0 ein europäischer Standard zur Verfügung, der bislang wenig Beachtung fand: DECT, die lange nur als schnurlose Sprachübertragung bekannte Funktechnologie.
Den Weg hat die Internationale Fernmeldeunion (ITU) frei gemacht. Nach jahrelangem Widerstand der klassischen Mobilfunkanbieter hat das Europäische Institut für Telekommunikationsnormen (Etsi) DECT offiziell als 5G-Standard akzeptiert und feiert ihn selbst als autonomes System für jedermann, da es nicht von Funkzellen der Mobilfunkanbieter abhängt und damit dezentral arbeitet, nur ein Zehntel kostet und gebührenfrei ist.
„Durch seine positiven technischen Eigenschaften lassen sich innovative neue 5G-Anwendungsfelder erschließen“, heißt es hoffnungsfroh im Bundeswirtschaftsministerium. Und der Präsident der Bundesnetzagentur, Jochen Homann, sagt: „Dies ist ein entscheidender Schritt für die Europäische Standardisierung im globalen Wettbewerb in den nächsten Jahren. Gerade für unsere starke heimische Industrie bietet sich so die Chance, kostengünstige private lokale Netze aufzubauen und ihre Wettbewerbsfähigkeit international zu stärken.“
Bislang versuchen vor allem die Mobilfunkunternehmen wie Telekom, Vodafone und Telefónica, ihre Frequenzen für die 5G-Netze zu Geld zu machen. Dazu müssen sie auf Netzwerkausrüster wie Huawei zurückgreifen, was bereits heftige sicherheitspolitische Diskussionen ausgelöst hat. Der DECT-Standard hingegen wäre eine europäische Alternative. Auch bedarf es weit weniger standardessenzieller Patente. Kostspielige Patentstreitigkeiten wie zwischen Ericsson und Samsung, Huawei und Volkswagen oder Daimler und Nokia könnten der Vergangenheit angehören, so die Hoffnung.
Hohe Reichweite, sicher und energiesparend
Mit DECT können laut Netzagentur Unternehmen problemlos Campusnetze aufbauen. Die Kommunikation von Maschinen lässt sich verknüpfen und automatisieren (Industrie 4.0), ebenso lassen sich Gebäudemanagementsysteme wie Alarmanlagen betreiben bis hin zu drahtlosen Audioanwendungen wie Musikkonzerte und Konferenzsysteme. Die dezentrale Technologie sei nutzerfreundlich „und bietet eine kostengünstige Alternative und Ergänzung zu klassischen Mobilfunknetzen in diesem Anwendungsbereich“, wie die Netzagentur urteilt.
Unternehmen wie Siemens nutzen den DECT-Standard seit Langem, um ihre Schnurlostelefone zu verbinden. Der Standard wurde kontinuierlich weiterentwickelt. Auch HD-Telefonie und intelligente Heimlösungen (Smarthome) ermöglicht DECT. „Der Standard hat eine hohe Funkreichweite bei niedriger Latenz, er ist sicher verschlüsselt und sehr energiesparend“, erklärte eine Sprecherin des Fritz-Box-Anbieters AVM.
In der Tat verzeichnet DECT im Vergleich zu Mobilfunklösungen laut einer Studie der finnischen Universität Tampere in Kooperation mit dem Unternehmen Wirepas eine „um etwa 60 Prozent“ höhere Energieeffizienz als Anwendungen via Mobilfunk, wie das europäische Standardisierungsgremium Etsi mitgeteilt hat, das die technische Standardisierung verantwortet.
Das Gremium dominieren Vertreter der Netzbetreiber und -ausrüster, die zunächst verhindern konnten, dass die Technologie vollständig evaluiert wurde. Treiber waren indes neben Wirepas vor allem Sennheiser, die daraufhin „innerhalb der Etsi die Etablierung einer Evaluierungsgruppe angeregt und angeboten haben, deren Vorsitz zu übernehmen“, wie Andreas Wilzeck, Standardisierungschef beim niedersächsischen Audio-Unternehmen berichtet.
Diese Gruppe habe erfolgreich die Leistungsfähigkeit der Technologie nachgewiesen. Dann entschied das oberste Etsi-Gremium, die Generalversammlung: DECT erfülle alle Bedingungen und dürfe den Titel „5G-Standard“ tragen. Die ITU bestätigte das Votum.
Mit der Entscheidung stehen nun allen DECT-Anwendern auch die für 5G reservierten Funkfrequenzen offen. ETSI spricht von einer regelrechten „Demokratisierung“. Auch öffnet das Logo als Gütesiegel international die Funknetze für DECT, ohne dass national immer wieder eine neuerliche Prüfung erfolgt.
Breite Unterstützung aus der Industrie noch unsicher
Bei AVM hieß es, bisher sei DECT in Europa nur im Frequenzbereich zwischen 1800 und 1900 Megahertz verwendet worden, dies sei nun bis zu sechs Gigahertz möglich. „Im Unterschied zu den öffentlichen Netzen 4G/5G, die in der Hoheit der Netzbetreiber stehen, haben wir mit DECT und WLAN einen modernen, lokalen Funkstandard, der von den Verbrauchern frei genutzt werden kann“, erklärte die Sprecherin. Die Entscheidung der ITU „stärkt somit Innovationen und macht Produktentwicklungen für die lokale Vernetzung auf Anwenderseite möglich“.
Doch bis dahin wird es noch etwas dauern. „Wichtig ist nun eine breite Unterstützung aus der Industrie“, sagte Sennheiser-Entwickler Wilzeck und wirbt damit, dass DECT-2020 NR sich „von jedem, jederzeit und überall einsetzen“ und „Herstellern erhebliche Freiheiten für Innovationen“ lasse.
Allerdings zeigt sich etwa der Verband der Elektro- und Digitalindustrie, ZVEI, zurückhaltend. Zwar begrüßte Verbandschef Wolfgang Weber, dass es technologischen Wettbewerb gebe. „Die generelle Einsatztauglichkeit von DECT für industrielle Anwendungen ist allerdings noch zu prüfen.“ Der Verband halte daran fest, auf die 5G-Netze der Mobilfunkanbieter zu setzen, um Campusnetze aufzubauen. „Diese Standardisierung treiben wir auch mit der ZVEI-Arbeitsgemeinschaft 5G-ACIA weiter voran.“
Bleibt also die Frage: Werden Unternehmen mit DECT ihre Geräte und Maschinen vernetzen? Innerhalb der Bundesregierung weisen die Experten darauf hin, dass die Datenraten bei bis zu 100 Megabit je Sekunde liegen, in den Mobilfunknetzen indes bei bis zu 20 Gigabit; auch sei die Geschwindigkeit noch etwas geringer. Und doch resümieren sie: Politische Unterstützung für den Standard sei „sinnvoll“, um ihn weiter zu fördern.
Bereits 2022, so heißt es in der Branche, könnte der erste Chipsatz mit der DECT-2020-NR-Technologie eines europäischen Chipherstellers auf den Markt kommen. Entsprechend könnten Unternehmen dann erste Geschäftsmodelle anbieten.
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