Schulen Berater der Kultusminister fordern stärkere Digitalisierung des Unterrichts

Die größte Lücke klafft bei den Lernprogrammen für digitalen Unterricht.
Berlin Die neue Wissenschaftskommission der Kultusministerkonferenz hat den Schulministern eine detaillierte Aufgabenliste vorgelegt, wie sie die Digitalisierung der Schulen voranbringen können. Die Bildungsexperten fordern einen flächendeckenden, obligatorischen Einsatz digitaler Medien sowie ein koordiniertes Vorgehen der Länder – vor allem bei der Entwicklung und Bereitstellung digitaler Lernprogramme.
Die „Ständige wissenschaftliche Kommission der Kultusministerkonferenz“ (StäwiKo) hat in diesem Jahr als Berater der Kultusminister ihre Arbeit aufgenommen. In ihren Empfehlungen erinnert sie daran, dass die deutschen Schulen auch schon vor der Coronapandemie weit zurücklagen: Digitale Geräte wurden kaum eingesetzt, ein Drittel der Achtklässler hatte nur „rudimentäre computer- und informationsbezogene Kompetenzen“.
Trotz großer Anstrengungen gebe es auch jetzt noch „erheblichen Nachholbedarf“: Nicht nur bei der Infrastruktur, sondern auch bei der Entwicklung pädagogisch wertvoller digitaler Lehrprogramme und der Aus- und Fortbildung der Lehrer für deren Einsatz.
Von insgesamt 6,5 Milliarden Euro des 2019 angelaufenen Digitalpakts ist bisher erst ein Achtel abgeflossen. Nach einer Studie der GEW hat jede zweite Schule noch immer kein WLAN für Schüler und noch weniger technische Unterstützung für die Lehrkräfte. An mehr als 40 Prozent der Schulen gibt es nicht genug Endgeräte.
Die Kommission fordert nicht nur schnelle technische Anbindung. Der Einsatz müsse auch flächendeckend obligatorisch werden – bis zu Klassen- und Abschlussarbeiten. Zwar sei die Nutzung digitaler Medien „kein Selbstzweck“, und diese sollen „analoges Lernen in Präsenz nicht ersetzen“, stellen die Forscher unter Führung der Bildungsexperten Olaf Köller und Felicitas Thiel klar, sondern nur dort, wo sie das Lernen „unterstützen und vertiefen“.
Das gelte gerade auch für Schüler, die besondere Hilfe benötigen. Nach den Pisa-Studien beherrschen rund 20 Prozent der 15-Jährigen nicht einmal Grundkenntnisse im Lesen, Schreiben und Rechnen.
Zudem sollten Schulen künftig auch mit Eltern regelmäßig digital kommunizieren, empfiehlt die StäwiKo, denn so könnten sie auch die erreichen, die nicht zum Elternabend kommen. Berufsschulen sollten ebenso den Austausch mit den Lehrbetrieben professionalisieren – und sich bei der Nutzung digitaler Hilfsmittel absprechen.
Zudem müssten die Länder endlich klären, wie viele Stunden der Informatikunterricht haben solle. Bisher gibt es nur wenige Länder und Klassenstufen, in denen dies ein Pflichtfach ist.
Die größte Lücke klafft allerdings bei den Lernprogrammen für digitalen Unterricht. „Das Potenzial ist riesig“, sagt Olaf Köller. „Learning Analytics kann die Qualität des Unterrichts enorm steigern – und Lehrern eine Menge Arbeit abnehmen.“ Die Berater der KMK fordern die breite, forschungsbasierte Entwicklung solcher Programme.
Praktisch gibt es bisher in Deutschland kaum Programme, die pädagogischen Standards genügen, und selbst diese werden kaum eingesetzt, weil es an Zertifizierungen fehlt. So nutzen etwa in Baden-Württemberg nur eine Handvoll Gymnasien das interaktive Englisch-Programm „Feedbook“ der Uni Tübingen, das es bisher auch nur für die 7. Klasse gibt. NRW lehnt KI-gesteuerte Programme noch völlig ab. Immerhin: Seit Herbst 2020 beschäftigt sich die „Lenkungsgruppe Digitalpakt“ der KMK auch mit dem Thema „Intelligente tutorielle Systeme“.
Um diese zu nutzen, müssten aber die enormen Defizite in der Aus- und Fortbildung der Lehrer geschlossen werden, mahnt die Kommission. Die rein technischen Fortbildungen, die in der Pandemie deutlich verstärkt wurden, seien viel zu wenig – dazu brauche es fachdidaktische Schulungen. Selbst in der Lehrkräfteausbildung an den Hochschulen „fehlt bislang eine flächendeckende, kohärente Verankerung des Themas“, schreibt die StäwiKo.
Auch die Telekom-Stiftung fordert „technischen Support für die Schulen“. Der sei umso dringlicher, als bei den Schulplattformen heute „Kraut und Rüben“ herrsche, sagte Vorstand und ehemaliger Bundesinnenminister Thomas de Maizière bei der Vorstellung einer Studie dazu.
Die Unterschiedlichkeit sei aber „nicht schlimm, wenn dafür gesorgt wird, dass die Schnittstellen und Standards funktionieren“ – einerseits beim Wechsel auf eine andere Schule, andererseits für den Zugang zu Lernmaterialien. Zudem müssten die Schulen von Bürokratie entlastet werden.
Insgesamt liege Deutschland bei den Plattformen oder Schul-Clouds im internationalen Vergleich ungefähr zehn Jahre zurück, so die Studienautoren von der Uni Bremen. Ein einheitliches System gebe es nur in Bremen – das Angebot in Bayern, Sachsen und Brandenburg sei aber auch schon sehr gut.
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