Schutzschirmverfahren Die zweite Chance im Insolvenzrecht funktioniert

Der Warenhauskonzern schlüpfte wie viele andere Unternehmen auch unter den Schutzschirm, um sich in Eigenregie zu sanieren.
Lange fand das „Schutzschirmverfahren“ wenig Zuspruch. Wer diese spezielle Form der Insolvenz in Eigenverwaltung beantragen wollte, durfte noch nicht zahlungsunfähig sein. Das stellte für viele Unternehmen in Schieflage eine hohe Hürde dar.
Dann kam die Coronapandemie. Und das Verfahren war gefragt wie nie: Der Warenhauskonzern Galeria Karstadt Kaufhof, der Modekonzern Esprit, die Steakhauskette Maredo – viele Unternehmen schlüpften unter den Schutzschirm, um sich in Eigenregie zu sanieren.
Dass dies überhaupt möglich war, liegt am „Gesetz zur Erleichterung der Sanierung von Unternehmen“ (ESUG), das genau vor zehn Jahren in Kraft getreten ist. Das Ansinnen der damaligen Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) war es, aus einem „Stigma des Scheiterns“ eine „Kultur der zweiten Chance“ zu machen. Wie in den USA sollten Anreize für eine frühzeitige Sanierung von Unternehmen her.
Mit dem ESUG wurden Eigenverwaltungs- und Schutzschirmverfahren geschaffen – neben dem herkömmlichen Insolvenzverfahren unter Führung eines Insolvenzverwalters.
Die Besonderheit: Der Schuldner kann unter Aufsicht eines Sachwalters das Unternehmen weiterleiten und selbst über die Insolvenzmasse verfügen. Beim Schutzschirmverfahren ist das betroffene Unternehmen sogar für drei Monate vor dem Zugriff von Gläubigern geschützt. In dieser Zeit soll die Geschäftsleitung ihre Finanzen ordnen können und dem Gericht einen Insolvenzplan vorlegen.
„Die Reform hat klargemacht, dass eine Insolvenz nicht gleichzusetzen ist mit Liquidation und Stilllegung, sondern dass es für das Unternehmen weitergeht“, sagt der Vorsitzende des Berufsverbands der deutschen Insolvenzverwalter und Sachwalter (VID), Christoph Niering. „Es bleibt eine Insolvenz, aber nach außen hat das Verfahren einen ganz anderen Anklang.“
Das „böse I-Wort“ lasse sich ausklammern, meint auch Lucas Flöther, Sprecher des Gravenbrucher Kreises, in dem Vertreter überregional tätiger Insolvenz- und Sanierungskanzleien zusammengeschlossen sind. Dadurch bekämen Mitarbeiter, Kunden und Lieferanten ein positives Signal, was für eine Unternehmenssanierung „existenziell wichtig“ sei.
Kein Insolvenztourismus in andere Länder mehr
Das Bundesjustizministerium sieht durch das Gesetz einen Insolvenztourismus in andere Länder gebannt: „Der früher beklagte Wettbewerbsnachteil gegenüber ausländischen Sanierungsstandorten wird kaum mehr thematisiert.“
Seit dem Start des Gesetzes vor zehn Jahren wurden nach Daten des Statistischen Bundesamts rund 3000 Unternehmensinsolvenzen als Eigenverwaltungs- oder Schutzschirmverfahren eröffnet. Das ist nur ein Anteil von unter drei Prozent aller Firmenpleiten.
„Der überwiegende Anteil sind Kleinst-Insolvenzverfahren ohne Eigenverwaltung, etwa von Handwerksbetrieben oder Einzelhändlern“, erklärt VID-Chef Niering. „Bei großen Unternehmen ist die Eigenverwaltung allerdings fast zum Standard-Tool geworden.“ Eine Sanierung funktioniere aber nur, wenn das Geschäftsmodell tragfähig und das Vertrauen der Gläubiger vorhanden sei.
Laut Forum 270, einem Zusammenschluss von Restrukturierungsberatern, wurden im vergangenen Jahr von den 50 größten Unternehmensinsolvenzen rund die Hälfte in Eigenverwaltung beantragt und stattgegeben. Das Verfahren habe sich als „effektive, planbare und erfolgreiche Möglichkeit zur Sanierung notleidender Unternehmen erwiesen“.
Zu Beginn, so berichtet VID-Chef Niering, sei das ein oder andere Unternehmen unter die Eigenverwaltung oder den Schutzschirm gekommen, das dort gar nicht hingehört hätte: „Da saßen Geschäftsführer in Untersuchungshaft und trotzdem wurde die Eigenverwaltung angeordnet, weil den Gerichten die Hände gebunden waren.“ Heute seien die Anforderungen höher. Das Unternehmen müsse zum Beispiel nachweisen, dass es keine Rückstände gegenüber Arbeitnehmern, Sozialversicherungen und Finanzbehörden gebe.
Anpassung an die Coronasituation gefordert
Die Entschuldung stehe auch nur dem „ordentlichen Kaufmann“ offen, erklärt Niering: „Es muss also eine ordnungsgemäße Buchhaltung vorliegen.“ Zudem dürfe die Eigenverwaltung zulasten der Gläubiger nicht teurer sein als ein Regelverfahren.
Allerdings ist nicht jede Eigenverwaltung eine Erfolgsgeschichte. So landete etwa Maredo schließlich doch im Regelinsolvenzverfahren. Fast allen Mitarbeitern wurde gekündigt.
Insolvenzverwalter Flöther hält das ESUG dennoch für eine Erfolgsgeschichte: Es sei bezeichnend, dass das Wort „Schutzschirm“ unter angelsächsischen Sanierungsexperten mittlerweile so bekannt sei wie das Wort „Kindergarten“.
Mit Blick auf Corona fordert der Gravenbrucher Kreis allerdings vorübergehende Anpassungen. So solle für pandemiegeschädigte Unternehmen der Zugang zum Schutzschirmverfahren vereinfacht werden. Da Investoren und Kreditgeber durch Corona zögerlicher geworden seien, müsse auch die Frist für die Vorlage eines Sanierungsplans beim Insolvenzgericht von drei auf bis zu sechs Monate verlängert werden.
Der Gesetzgeber solle einen vereinfachten „Corona-Schutzschirm“ aufspannen, fordert Flöther. Unternehmen mit positiver wirtschaftlicher Prognose könnten damit gerettet werden. „Zombie-Unternehmen“, die nur durch staatliche Kredite am Leben seien, würden die Sanierung nicht schaffen.
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