Serie: Lernen aus der Krise Die deutsche Krisenpolitik geht auf – aber es gibt einige blinde Flecken

Mit einem billionenschweren Rettungspaket wollen die Minister die deutsche Wirtschaft vor den Folgen der Pandemie schützen.
Berlin Am 13. März sitzen Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) und Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) im Saal der Bundespressekonferenz am Schifferbauerdamm im Berliner Regierungsviertel. Es ist ein historischer Moment. Denn sie verkünden Unglaubliches.
„Wir werden alles Mögliche tun, damit wir diese Krise meistern. Wir werden jedes Mittel nutzen, das uns zur Verfügung steht“, sagt Vizekanzler Scholz. Gegen Ende der Pressekonferenz reicht er einen Satz nach, der in die Geschichtsbücher eingehen dürfte: „Es ist die Bazooka, mit der wir das tun. Was wir noch an Kleinwaffen brauchen, das schauen wir später.“
Die beiden Minister präsentieren einen „Schutzschild für Beschäftigte und Unternehmen“. Unter dieser Überschrift haben sie auf sieben Seiten aufgelistet, wie sie die Wirtschaft stützen wollen. Auf den ersten Schlag werden noch viele weitere Hilfsprogramme folgen. Doch wie stark helfen die riesigen Hilfsprogramme tatsächlich? Brauchen die Unternehmen noch mehr staatliche Unterstützung? Oder übertreibt der Staat es mit seinen Hilfsprogrammen?
Das erste Rettungspaket umfasst steuerliche Liquiditätshilfen für Unternehmen, die Flexibilisierung des Kurzarbeitergeldes, eine deutliche Ausweitung der Kreditprogramme der staatlichen Förderbank KfW und Sonderprogramme für Unternehmen in „ernsthafteren Finanzierungsschwierigkeiten“. Man gebe „unbegrenzte Hilfszusagen für eine lückenlose Liquiditätsabdeckung“. So viel Großzügigkeit gab es nie zuvor.
Das erste Echo fällt positiv aus. Wirtschaftsverbände und Ökonomen loben die Tatkraft der Bundesregierung. Dass die Maßnahmen auch Schwächen aufweisen, stellt sich erst später heraus. Wenige Tage darauf, am 23. März, legt die Bundesregierung nach: Das Bundeskabinett beschließt das Gesetz über die Errichtung des „Wirtschaftsstabilisierungsfonds“ (WSF). Der Fonds umfasst ein Volumen von bis zu 600 Milliarden Euro.
Insgesamt haben die Hilfen und Bürgschaften mittlerweile ein Volumen von fast 1,2 Billionen Euro. Kein Land auf der Welt spannt gemessen an der Größe der Volkswirtschaft einen größeren Schutzschirm auf. Doch nur zwei Monate später folgt schon der nächste Schlag. Auf die Sofortmaßnahmen von Mitte März folgt Anfang Juni ein 130 Milliarden Euro schweres Konjunkturprogramm.
Ende August schließlich werden viele Hilfsmaßnahmen wie das Überbrückungsgeld für Firmen oder die Lockerung des Insolvenzrechts bis Ende des Jahres verlängert, die Kurzarbeit sogar bis Ende 2021.
Was lief gut?
Im Vorfeld war über Umfang und Inhalt des Konjunkturpakets viel spekuliert worden. Würde es der Autolobby gelingen, die Bundesregierung zu einer Abwrackprämie zu überreden, die auch den Verkauf von Autos mit Verbrennungsmotoren fördert? Die Bundesregierung widersteht dem Druck der Branche. Die Autobosse und auch die Gewerkschaften, allen voran die IG Metall, fühlen sich abgestraft.
Dabei dürfte sich die Entscheidung, statt Verbrenner zu fördern, die Elektromobilität voranzubringen, rückblickend als goldrichtig herausstellen. Fast alle Ökonomen und viele Politiker begrüßen die Konsequenz der Großen Koalition.
Das Paket enthält weitere Überraschungen. Die größte ist die Mehrwertsteuersenkung von 19 auf 16 Prozent. Sie gilt von Juli bis Ende Dezember und soll die Konjunktur beleben. Außerdem gibt es ein Familiengeld in Höhe von 300 Euro pro Kind und ein paar steuerliche Erleichterungen für Unternehmen.
Ebenso positiv wie überraschend ist die Entscheidung der Koalition, eine Senkung der Umlage zur Förderung erneuerbarer Energien zum Bestandteil des Konjunkturpakets zu machen: 2021 wird die Umlage auf 6,5 Cent je Kilowattstunde gedeckelt, 2022 auf sechs Cent. Die Bundesregierung lässt sich das elf Milliarden Euro kosten.
Jeder Privathaushalt kann sich darüber freuen, dass die Stromrechnung nun voraussichtlich nicht weiter ansteigen wird. Viel wichtiger noch: Unternehmen des industriellen Mittelstandes, die nicht von der Besonderen Ausgleichsregelung profitieren, haben für zwei Jahre Planungssicherheit. Und hoffen, dass die Deckelung der EEG-Umlage auch über die Jahre 2021 und 2022 hinaus fortgesetzt wird.
Die Besondere Ausgleichsregelung befreit Unternehmen von einem erheblichen Teil der EEG-Umlage. Sie gilt aber nur für rund 2000 Unternehmen mit besonders hoher Stromkostenintensität. Alle anderen zahlen die volle Umlage.
Noch kurz vor der Entscheidung der Koalition, die Umlage zu deckeln, hatte es Prognosen gegeben, die Umlage werde zum Jahreswechsel auf acht oder neun Cent ansteigen – eine Horrorvorstellung für viele Unternehmen mit hohem Stromverbrauch. So ringt sich die Koalition in der Krise ohne lange Debatte zu einem längst überfälligen Schritt durch. Schulnote: sehr gut.
Auch beim Thema Wasserstoff wartet das Konjunkturpaket mit einer positiven Nachricht auf. Unter dem Druck der wirtschaftlichen Krise erkennt die Bundesregierung, dass sie den Aufbau einer Wasserstoffinfrastruktur als Chance für den wirtschaftlichen Wiederaufbau begreifen muss.
Die Nationale Wasserstoffstrategie, bis dahin eher eine Sammlung frommer Wünsche und hehrer Ziele, wird mit insgesamt neun Milliarden Euro unterlegt. Davon sind zwei Milliarden Euro dafür vorgesehen, internationale Wasserstoff-Partnerschaften zu entwickeln.
Die Reaktionen sind in der Tendenz positiv. Viele Ökonomen loben, das Konjunkturpaket verzichte auf unnötige Subventionen, stärke die Kaufkraft und habe auch eine langfristige Perspektive.
Martin Wansleben, Hauptgeschäftsführer des DIHK, sagt: „Die Politik hat insgesamt entschlossen auf die großen Herausforderungen der Corona-Pandemie reagiert und für viele Unternehmen in Deutschland unbürokratisch überlebenswichtige Hilfen ermöglicht. Dabei wurden viele konkrete Impulse und Empfehlungen aus der Wirtschaft aufgenommen.“
Reinhold von Eben-Worlée, Präsident des Familienunternehmer-Verbandes, sagt: „Das kurzfristig Wichtigste ist gelungen: die Liquiditätssicherung. In vielen Punkten hat die Bundesregierung dafür schnell und gut reagiert. Daneben zeigte sie sich lernfähig und hat überlebenswichtige Anregungen aufgegriffen.“
Was lief schlecht?
Bei so viel kurzfristiger Rettungspolitik kann nicht alles perfekt laufen. Tatsächlich knirschte es anfangs. Beklagt wurde etwa die „Mittelstandslücke“, die aber, das räumt auch Familienunternehmer-Präsident von Eben-Worleé unumwunden ein, „zum Glück schnell geschlossen“ worden sei. Tatsächlich waren die Kriterien des Rettungspakets aus dem Monat März so entworfen, dass sie an vielen mittelgroßen Unternehmen exakt vorbeigingen.
Kritik hagelt es noch immer von Soloselbstständigen. Sie fühlen sich behandelt wie „Erwerbstätige dritter Klasse“. Tatsächlich enthält das Konjunkturprogramm keine Regelungen für Ein-Frau- und Ein-Mann-Betriebe. Die kürzlich präsentierten Überbrückungshilfen, die mit dem Konjunkturprogramm beschlossen wurden, erstatten Unternehmen bei Umsatzeinbußen ab einer bestimmten Höhe zwar einen Teil der Fixkosten.
Nicht abgedeckt sind allerdings die Kosten für den Lebensunterhalt, die Miete oder die Krankenversicherung. Gerade diese Kosten sind aber bei vielen Soloselbstständigen die einzig relevanten. Die Betroffenen werden daher auf die Grundsicherung zurückgeworfen. Aus Sicht der Soloselbstständigen eine Diskriminierung.
Rasch wurde auch klar, dass die Soforthilfen des ersten Rettungspakets zum Missbrauch einladen. Die schnelle, unbürokratische Hilfe hat eben eine Kehrseite: Sie zieht Betrüger an. Die Bundesregierung hat reagiert.
Wer die Überbrückungshilfen des Konjunkturpakets beantragen will, kann das nicht selbst tun, sondern muss einen Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer damit beauftragen. Diese Regelung soll Missbrauch erschweren – allerdings macht es auch das Verfahren komplexer. Die Anträge für die Hilfen laufen bislang eher schleppend.
Mit der Zeit wurde auch das anfangs bejubelte Konjunkturpaket kritisch gesehen. Die Mehrwertsteuersenkung werde nur eine geringfügige Wirkung haben, kritisierte Ifo-Chef Clemens Fuest. Und das Geld für Künstliche Intelligenz oder die Förderung von Wasserstoff ist zwar sinnvoll angelegt.
Allerdings wird dies erst in vielen Jahren einen Nutzen bringen oder überhaupt abgerufen. In der akuten Krise helfen diese Maßnahmen demnach wenig. Insgesamt sei die Stärkung der Kaufkraft damit überschaubar.
Auch sind sich nahezu alle Ökonomen einig: Für die Unternehmen hätte mehr getan werden müssen. So habe die Bundesregierung das Instrument der steuerlichen Verlustrückrechnung, bei der Firmen aktuelle Verluste mit Gewinnen aus der Vergangenheit steuerlich verrechnen können, viel zu wenig genutzt.
Und umstritten ist außerdem die großzügige Regelung zur Kurzarbeit. Manche Ökonomen, wie der Wirtschaftsweisen-Chef Lars Feld, halten die Maßnahmen für zu früh, die Regierung hätte erst die weitere Wirtschaftsentwicklung abwarten sollen. Denn die staatlichen Hilfen hielten möglicherweise einen notwendigen Strukturwandel auf und sicherten Firmen und Jobs ab, die es eigentlich gar nicht mehr geben dürfte.
Was können wir lernen?
Aus Sicht der Familienunternehmer ist klar: „Damit der ,Wumms‘ bei den Unternehmen richtig ankommt, reichen finanzielle Hilfen allein nicht aus“, sagt von Eben-Worlée. „Ohne grundsätzliche Reformen wirkt das beflügelndste Finanzierungsprogramm allenfalls kurzfristig, wenn uns zeitgleich die Folgen jahrelang verpasster Bürokratie- und Finanzreformen zentnerschwer auf die Füße fallen.“
Der Kampf gegen den wirtschaftlichen Absturz erfordere eine Verschiebung der Prioritäten. Daher hätte es „nicht passieren dürfen, dass die Regierung ausgerechnet mitten in der Krise die teure Grundrente ohne ausreichende Gegenfinanzierung verabschiedet“, kritisiert der Verbandspräsident.
Außerdem sei verschlafen worden, die deutsche Wirtschaft durch eine wirksame Steuerreform in ihrer Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern und so fit für die Zukunft mit und nach Corona zu machen.
Überdies seien einige Hilfskriterien weiterhin weit weg von der wirtschaftlichen Realität, sagt von Eben-Worlée. Gerade größere Familienunternehmen, die zum Teil ganze Regionen über Wasser hielten, hätten es besonders schwer. Denn ihnen drohe über die staatlich indizierten Hilfskredite die Überschuldung. „Hier muss die Bundesregierung aufpassen, einstmals gesunde Unternehmen nicht durch das Insolvenzrecht zu verlieren. Anpassungen beim Überschuldungstatbestand sind hier zwingend erforderlich und müssen schnellstens umgesetzt werden“, fordert er.
Auch DIHK-Hauptgeschäftsführer Wansleben warnt, viele Betriebe befänden sich noch immer in einer kritischen Lage. Die Krise dauere länger und sei einschneidender als viele zunächst angenommen hätten. „Deshalb muss auch jetzt weiter nachjustiert werden. Besonders wichtig sind Maßnahmen, die das Eigenkapital der Unternehmen effektiv stärken, denn im Herbst droht eine Welle von Unternehmensinsolvenzen“, warnt Wansleben.
„Es ist daher unter anderem wichtig, den Wirtschaftsstabilisierungsfonds auch für die besonders stark betroffenen mittelständischen Unternehmen nutzbar zu machen. Auch bei der Verlustverrechnung sind aus unserer Sicht weitere Verbesserungen sehr sinn- und wirkungsvoll“, sagt Wansleben.
Was die Betriebe sich aus Sicht Wanslebens aber am meisten wünschen, sei mehr Bewusstsein für ihre historisch einmalige Lage, die mindestens bis weit ins nächste Jahr hinein angespannt bleiben dürfte: „Die Politik sollte deshalb gerade in dieser Phase alles unterlassen, was Betrieben zusätzliche Lasten und Pflichten aufbürdet.“
Mehr: Finanzminister Scholz über das historische Konjunkturpaket: „Alle werden zufrieden sein“.
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Wenn ich das Gejammer des Mittelstandes lese könnte ich wütend werden. Die haben in den letzten 6/ 7Jahren sich dumm und dusselig verdient. Reserven aufgebaut ? Sicher nicht. Geqinne weitgehend eingesteckt
Das typische Prinzip des Gewinne privatisieren, Verluste sozialisieren.Das gilt ebenso für die Selbstständigen.Und wenn ich schon etwas aus der Ecke Wirtschaftsweise höre, könnt ich zornig werden.
Zum Bsp. Zu den Exportüberschüssen --NULL. Es heißt doch " ausgeglichene Handels Bilanz. Weltmeister zu sein widerspricht dem total.
Economists are the most useless people in the world Das ist meine Ansicht.