Solidaritätszuschlag Steuerzahler klagen gegen Soli-Gesetz – und haben dabei unerwartete Unterstützung

Die Kläger wollen bis zur höchsten Instanz gehen.
Berlin Während das Kabinett an diesem Mittwoch das von Finanzminister Olaf Scholz (SPD) eingebrachte Gesetz zur teilweisen Abschaffung des Solidaritätszuschlags beschlossen hat, formierte sich Widerstand. Eine schlagkräftige Allianz von Soli-Gegnern schickte diesen Mittwoch per Post eine Klage an das Finanzgericht Nürnberg, mit der sie die Sonderabgabe zu Fall bringen will.
Es klagt ein Ehepaar aus Bayern, das vom Steuerzahlerbund unterstützt und vom Rechtsanwalt Michael Sell vertreten wird. Dass Sell Prozessbevollmächtigter ist, gibt dem Verfahren eine besondere Bedeutung: Er führte bis zum vergangenen Herbst die Steuerabteilung im Bundesfinanzministerium.
Der Zeitpunkt der Klage parallel zum Kabinettsbeschluss dürfte kein Zufall sein. Sell kennt das Politikgeschäft, er war sechseinhalb Jahre Leiter der Steuerabteilung, die meiste Zeit unter Wolfgang Schäuble (CDU). Auch unter Scholz blieb er zunächst, bevor dieser ihn im September in den einstweiligen Ruhestand schickte. Sell zeigte Verständnis, schrieb in einer Abschiedsmail, es beginne die Arbeit an „Gesetzgebungsvorlagen, die die politische Handschrift der neuen Hausleitung tragen“.
Schon damals war absehbar, dass der konservative Steuerfachmann und der SPD-Minister beim Soli andere Vorstellungen haben. Das bestätigt sich nun mit der Klage. Sell, der mittlerweile als Anwalt und Steuerberater bei der Kanzlei Seitz arbeitet, hat dabei die Unterstützung eines weiteren Soli-Kritikers – Reiner Holznagel. „Für uns ist klar: Der Soli ist nicht mehr verfassungsfest“, sagte Holznagel dem Handelsblatt. „Mit unserer Musterklage engagieren wir uns gegen den zu späten Soli-Ausstieg.“
Das Gesetz von Scholz sieht vor, dass der Soli ab 2021 für 90 Prozent der Steuerzahler wegfällt, weitere 6,5 Prozent werden teilweise entlastet, 3,5 Prozent müssen ihn vorerst komplett weiter zahlen. Die Einnahmeausfälle 2021 würden 9,8 Milliarden Euro betragen – etwas mehr als die Hälfte des Gesamtaufkommens.
Die Klage von Sell und Co. richtet sich nicht direkt gegen Scholz’ Gesetz, sondern gegen den Umstand, dass der Soli im kommenden Jahr überhaupt noch erhoben werden soll. Daran gibt es juristische Zweifel, weil der Solidarpakt II Ende 2019 ausläuft.
„Die Politik hat den Soli immer mit den Finanzhilfen für die neuen Länder verknüpft. Weil diese zum Jahresende auslaufen, hat auch der Soli keine Legitimation mehr“, kritisiert Holznagel. „Wir wollen, dass die Politik ihr jahrzehntealtes Versprechen einlöst und den Soli schon 2020 komplett und für alle abschafft!“
Deshalb hat Holznagels Verband Steuerzahler gesucht, die gegen ihren Vorauszahlungsbescheid vorgehen, wie das Ehepaar aus Bayern, das bereits einen entsprechenden Bescheid des Finanzamts hat. Sell verweist in der Klageschrift auch auf Aussagen von Scholz, die im Handelsblatt zitiert wurden: „Wenn es um die komplette Abschaffung des Solis geht, lasse ich gern mit mir reden, solange wir im Gegenzug die Einkommensteuer für die Topverdiener entsprechend erhöhen“, hatte Scholz den teilweisen Erhalt des Zuschlags begründet.
In der Klageschrift heißt es: „Dies bedeutet, dass der Solidaritätszuschlag nach 2020 nicht mehr der Finanzierung eines ohnehin nicht begründeten Sonderbedarfs des Bundes, sondern als zweite Einkommensteuer in Form einer sogenannten weiteren Reichensteuer außerhalb des Einkommensteuertarifs dienen soll.“
Ein „Form-Missbrauch“ des Soli. Der Steuerzahlerbund sieht diese Klage als Pilotprojekt, stellvertretend für alle Steuerzahler. Er will sie bis vor das Verfassungsgericht bringen.
Gesetzentwurf noch mal erweitert
Scholz hat sich hingegen immer überzeugt gezeigt, dass die Erhebung des Solis auch nach 2020 noch verfassungskonform sei. Allerdings sieht man auch im Finanzministerium die juristischen Risiken. Der Gesetzentwurf, den das Kabinett am Mittwoch beschlossen hat, wurde gegenüber der der Fassung von vor zwei Wochen noch einmal deutlich erweitert.
„So fällt auf, dass zusätzliche Argumente aufgenommen wurden, wieso die beabsichtigte Änderung beim Solidaritätszuschlag verfassungskonform sei“, sagte der Ökonom Frank Hechtner von der TU Kaiserslautern. „Der Bund hat weiterhin einen wiedervereinigungsbedingten zusätzlichen Finanzierungsbedarf“, heißt es nun im Gesetz.
So gebe es etwa bei der Rentenversicherung oder beim Arbeitsmarkt „überproportionale Leistungen aus dem Bundeshaushalt für die ostdeutschen Bundesländer“. Zudem wird nun hervorgehoben, dass es nach dem Teil-Aus im Jahr 2021 noch „einen späteren vollständigen Abbau“ geben werde. Konkret beschrieben wird dieser aber nicht.
Dass nur eine kleine Gruppe von Topverdienern den Soli vorerst komplett weiter zahlen soll, wird mit sozialen und ökonomischen Erwägungen begründet. Von einer Abschaffung für Spitzenverdiener würde „ein deutlich geringerer konjunktureller Impuls ausgehen“ als von der Entlastung der niedrigen und mittleren Einkommen, heißt es im Gesetzestext.
Mehr: Die Große Koalition ist selbst nicht überzeugt vom eigenen Soli-Gesetz. Einige halten es sogar für verfassungswidrig. Insbesondere der Wirtschaftsminister steht schlecht da.
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Die Gutmenschen in Karlsruhe werden auch dem neuen Gesetz zustimmen. Das haben sie bei der Mietpreisbremese u.v.a. auch getan. Man denke nur an das Gekrieche im Falle EZB.
Kann man gegen ein Gesetz klagen, das es noch garnicht gibt?