Sondierungen Strengere Klimaziele? Experten raten ab – potenzielle Ampel-Partner streiten

Große inhaltliche Differenzen bei der künftigen klimapolitischen Ausrichtung.
Berlin Wenn sich die Sondierer von SPD, Grünen und Liberalen an diesem Montag erneut treffen, dann wird eines der Themen mit dem größten Konfliktpotenzial die künftige Energie- und Klimapolitik sein. Branchenvertreter, Fachleute und Wissenschaftler fordern ein Umsteuern und warnen eindringlich davor, die Klimaschutzziele noch weiter anzuheben.
„Wir sollten der nächsten Regierung jetzt keine weiteren Knüppel zwischen die Beine werfen, indem wir noch schärfere Ziele für 2030 fordern“, sagte Andreas Kuhlmann, Chef der bundeseigenen Deutschen Energie-Agentur (Dena), im Handelsblatt-Interview. Entsprechende Forderungen hätten ihn „sehr gewundert“.
Aus Sicht der Wirtschaftsweisen Veronika Grimm hat sich das kürzlich verschärfte Klimaschutzgesetz als unbrauchbar erwiesen. „Ich hoffe, dass in der Politik ein Umdenken einsetzt.“ Das „starre Korsett“ des Gesetzes mache Klimaschutz „besonders teuer und ineffizient“.
Das Thema lastet als Hypothek auf den Gesprächen für eine Ampelkoalition. Das Gesetz schreibt für die verschiedenen Sektoren wie Verkehr oder Industrie scharfe Reduktionsziele vor. Während SPD und Grüne das begrüßen, fürchtet die FDP „planwirtschaftliches Chaos“.
Neben der Klimapolitik ist auch die Steuerpolitik umstritten. Generalsekretär Volker Wissing bekräftigte die Absage der FDP an Steuererhöhungen. Dabei zeigt eine Ifo-Studie, die dem Handelsblatt exklusiv vorliegt, dass die Belastung der Erwerbseinkommen mit Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag seit 35 Jahren sinkt.

Die Liberalen lehnen Steuererhöhungen konsequent ab.
Mit ihrer Kritik am Klimaschutzgesetz stehen Grimm und Kuhlmann nicht allein. Hubertus Bardt, Geschäftsführer des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), meldet ebenfalls Bedenken an. Die jahresscharfen Sektorziele des Klimaschutzgesetzes könnten „zu erheblichen Ineffizienzen führen“, sagte er dem Handelsblatt. „Wenn eine teure Maßnahme in einem Sektor durchgeführt wird, weil das Ziel noch nicht erreicht ist, eine günstigere in einem anderen Sektor aber nicht angepackt wird, dann machen wir Klimaschutz unnötig teuer und erschweren die Dekarbonisierung.“
Diese Entwicklung drohe, wenn das zuständige Ressort auf eine drohende Zielverfehlung mit neuen Maßnahmenprogrammen reagieren müsse. „Wir suchen dann nicht nach dem besten Weg des Klimaschutzes, sondern nach dem, der in ein eng gefasstes Korsett aus Einzelzielen passt. Das kann nicht effizient sein“, sagte er.
Klimaschutzgesetz ist kaum praktikabel
Das Klimaschutzgesetz schreibt vor, dass die CO2-Emissionen in Deutschland bis 2030 um 65 Prozent unter das Niveau von 1990 sinken müssen. Dabei gibt es für jedes Jahr konkrete Minderungsziele für die einzelnen Sektoren vor. So müssen etwa die Emissionen im Bereich Verkehr innerhalb von zehn Jahren von 150 Millionen auf 85 Millionen Tonnen sinken, im Gebäudesektor wird eine Reduzierung um 43 Prozent erwartet.
Dass das Gesetz kaum praktikabel ist, bekamen das Wirtschafts- und das Innenministerium im Sommer zu spüren. Nachdem der zuständige Expertenrat für Klimafragen festgestellt hatte, dass der Gebäudesektor 2020 seine Reduktionsziele verfehlt hat, mussten die beiden verantwortlichen Ressorts mit einem sechs Milliarden Euro schweren Sofortprogramm gegensteuern.
Dieses wurde vom Expertenrat anschließend als unzureichend bewertet. Es sei keine „methodisch konsistente, isolierte Quantifizierung der Wirkung des von den Ministerien übermittelten Sofortprogramms“ möglich, teilte der Rat mit.
Die Bewertung offenbart ein grundsätzliches Problem: In manchen Sektoren lassen sich auch mit viel Geld die Reduktionsziele nicht kurzfristig erreichen. Viele Fördermilliarden entfalten erst in den Folgejahren eine messbare Wirkung. Die Gefahr, dass Jahr für Jahr mit Milliardenbeträgen gegengesteuert wird, ohne den Reduktionszielen deutlich näher zu kommen, ist groß.
Kohleausstieg schon 2030?
Auch an einer anderen Stelle ergibt sich für die Ampelsondierer Diskussionsbedarf: Die Grünen setzen sich vehement dafür ein, den Kohleausstieg von 2038 auf 2030 vorzuziehen. SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz hatte sich im Wahlkampf gegen ein Vorziehen ausgesprochen.
Auch in der FDP gibt es Vorbehalte. Dena-Chef Kuhlmann knüpft ein Vorziehen des Ausstiegs an Bedingungen: „Es muss klar sein, dass ausreichend gesicherte Leistung im System ist, die immer dann zur Verfügung steht, wenn die Erneuerbaren keinen nennenswerten Beitrag zur Stromerzeugung erbringen können.“ Die Planungen für Ersatzkapazitäten in Form von Gaskraftwerken müssten von einer neuen Regierung „sofort angestoßen werden“. Wer die entsprechende Kraftwerksleistung vorhalte, müsse dafür honoriert werden.
Die Energiebranche pocht ebenfalls auf schnelle Lösungen. Der Zubau von Gaskraftwerken mit einer Leistung von 15 Gigawatt (GW) sei „unabdingbar“, sagte Kerstin Andreae, Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), dem Handelsblatt. „Ohne einen Zubau dieser Kapazitäten geht es nicht. Die Politik muss deshalb schnellstmöglich die richtigen Rahmenbedingungen schaffen.“ Dafür sei es erforderlich, die Genehmigungsverfahren für Kraftwerke zu beschleunigen.
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Siehe:
https://www.ottogroup.com/de/newsroom/meldungen/69-deutsche-Unternehmen-fordern-Umsetzungsoffensive-fuer-Klimaneutralitaet.php