Sondierungsgespräche Zum Erfolg verdammt: Warum es zur Ampel keine echten Alternativen gibt

Wer hat hier künftig das Sagen?
Berlin Bis Nikolaus soll es einen neuen Kanzler geben, und der soll Olaf Scholz heißen – so lautet das ausgegebene Ziel der drei Ampelparteien SPD, Grünen und FDP. Doch knapp sechs Wochen nach der Bundestagswahl scheint die Anfangseuphorie verflogen, vor allem die Grünen bemängeln den Stand der Verhandlungen.
„Wir sehen derzeit zu wenig Fortschritt, was die inhaltliche Substanz anbetrifft“, sagte etwa Grünen-Bundesgeschäftsführer Michael Kellner. Vor allem in Haushaltsfragen, dem Mietrecht oder dem Umgang mit dem schwierigen EU-Partner Polen scheint es zwischen den Verhandlungspartnern zu knirschen.
Der grüne Verkehrsminister Baden-Württembergs, Winfried Hermann, sprach zudem in der „Süddeutschen Zeitung" davon, dass Neuwahlen drohten, sollten sich die Parteien beim Klimaschutz nicht einigen. Doch tatsächlich sind die Verhandlerinnen und Verhandler zum Erfolg verdammt, das zeigen die drei Szenarien im Falle eines Scheiterns. Der Politikwissenschaftler Uwe Jun von der Universität Trier hat ihre Chancen und Risiken für das Handelsblatt analysiert.
1. Die Union muss noch mal ran
Sollten die Ampelverhandlungen scheitern, wäre das wahrscheinlichste Szenario, dass bei der Union das Telefon klingeln würde, um doch noch einmal über Jamaika oder eine Große Koalition zu sprechen. Doch dort gibt es ein Problem: „Die CDU ist mit sich selbst und der Wahl ihres Parteivorsitzenden beschäftigt“, sagt der Politikprofessor Jun. „Momentan könnte sie nicht mal einen klaren Ansprechpartner benennen.“ Die Partei bereite sich bereits auf die Oppositionsrolle vor.
Und doch könnte die Union noch einmal zum Regieren gebeten werden - ähnlich wie 2017 die SPD. Nach dem Scheitern der Verhandlungen zu einem Dreierbündnis zwischen Union, Grünen und FDP war damals der Bundespräsident auf den Plan getreten: „Der Auftrag zur Regierungsbildung ist ein hoher, vielleicht der höchste Auftrag des Wählers an die Parteien in einer Demokratie“, hatte Frank-Walter Steinmeier (SPD) damals gemahnt.
Union und SPD wurden somit zu weiteren vier Jahren Zwangsehe in einer Großen Koalition verdonnert. Auch dieses Mal wäre eine „GroKo“ rechnerisch möglich. Uwe Jun schätzt jedoch, dass der Widerwille gegen ein solches Bündnis noch größer sei als beim letzten Mal. „Nicht nur die beiden Parteien, auch die Öffentlichkeit steht dem sehr kritisch gegenüber“, sagt Jun. Eine weitere Legislaturperiode Große Koalition würde „sehr viel Missmut hervorrufen“, so Jun. Auch SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil hatte klargemacht, dass er eine „GroKo“ ablehne: „Da gibt es auch keinen Plan B“, so Klingbeil im ZDF.
Und doch wäre eine Koalition mit Unionsbeteiligung laut Jun wohl noch die wahrscheinlichste Alternative. „Ich gehe davon aus, dass sich die CDU noch einmal zusammenreißen würde“, so Jun. Denn übrig blieben sonst nur zwei Optionen, die parteipolitisch und verfassungsrechtlich höchst problematisch wären.
2. Es gibt eine Minderheitsregierung
Verfassungsrechtlich ist es eine denkbare Option, dass sich ein möglicher Kanzler nicht von der absoluten Mehrheit im Bundestag wählen lässt. Zwar sieht Artikel 63 des Grundgesetzes vor, dass der Bundestag den Kanzler mit „mehr als der Hälfte seiner Mitglieder wählt“. Kommt das allerdings nach zwei Wahlgängen nicht zustande, so wird der Kandidat zum Kanzler gewählt, der „die meisten Stimmen erhält“, so das Grundgesetz – es reicht also eine relative Mehrheit.
Eine Regierung, die keine eigene Mehrheit besitzt, müsste sich die Zustimmung im Parlament bei jeder Abstimmung ad hoc neu zusammensuchen. In Skandinavien sind solche Minderheitsregierungen durchaus üblich: In Dänemark waren von den 32 Regierungen seit Ende des Zweiten Weltkrieg nur vier mit einer Parlamentsmehrheit ausgestattet. In Deutschland gab es eine solche „Regierung der Wenigen“ auf Bundesebene allerdings noch nie.
Das liegt auch an den politischen Systemen: „In den skandinavischen Ländern gibt es eine größere Konsenshaltung als bei uns“, sagt Politikwissenschaftler Jun. In Deutschland hingegen stehe der Wettbewerbsgedanke im Vordergrund, was die Suche nach Mehrheiten zu jeder einzelnen Abstimmung schwierig gestalten könnte.
Außerdem ist fraglich, ob es überhaupt zu einer Minderheitsregierung kommen könnte. Der größte Unsicherheitsfaktor bei der Wahl zum Bundeskanzler wäre die AfD. Keine Partei würde Gefahr laufen wollen, dass ein Kanzler mit den Stimmen der Rechtsaußenpartei gewählt wird.
Selbst für die wahrscheinlichste Minderheitsregierung aus den beiden Parteien SPD und Grüne würde diese Gefahr gelten. „Die AfD könnte für den Fall einer möglichen rot-grünen Minderheitsregierung nicht daran gehindert werden, einen Coup zu wagen und Olaf Scholz zum Kanzler mitzuwählen“, so Uwe Jun. Dieser müsste als SPD-Kanzler mit AfD-Unterstützung die Wahl allerdings wohl ablehnen.
Abschreckendes Beispiel für ein solches Szenario ist Thüringen. Im Februar 2020 hatte die AfD den Erfurter Landtagsabgeordneten Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten gewählt – der die Wahl annahm, dann aber nach heftigen Protesten auch aus den eigenen Reihen wieder zurücktreten musste. Eine Minderheitskoalition im Bund hält Politikwissenschaftler Jun deshalb in der aktuellen Konstellation für „kaum herstellbar“.
3. Dann blieben nur noch Neuwahlen
Sollte keine Regierung zustande kommen, bliebe nur noch der Ausweg, die Bürgerinnen und Bürger noch einmal an die Wahlurnen zu bitten. Die Frage, ob dabei ein gänzlich anderes Ergebnis als im September herauskäme, wäre allerdings vollkommen offen. Zudem ist verfassungsrechtlich fragwürdig, wie Neuwahlen überhaupt herbeigeführt werden könnten.
Denn laut Grundgesetz kann der Bundespräsident das Parlament nur in zwei Situationen auflösen: entweder nach einer negativ beantworteten Vertrauensfrage der Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) oder wenn die Wahl eines neuen Kanzlers mit absoluter Mehrheit im Bundestag scheitert.
Ob die Vertrauensfrage einer Bundeskanzlerin Angela Merkel, die allerdings nur noch geschäftsführend im Amt ist, verfassungsrechtlich überhaupt zulässig wäre, ist eine weitere unbeantwortete Frage. Außerdem wäre der Preis hoch, denn Wahlen sind teuer: Die Bundestagswahl 2021 kostete laut Schätzungen des Bundesinnenministeriums um die 100 Millionen Euro.
Mehr: Krach statt Kuschelkurs: Die Ampelverhandlungen geraten ins Stocken.
Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.