Sozialdemokraten Die SPD-Spitze muss auf ihrer Vorstandssitzung schwierige Fragen klären

Die Parteispitze will sich an den mehr als 23.000 eingegangenen Vorschlägen zur Wahl eines neuen Vorsitzenden orientieren.
Berlin Für ihre Vorstandssitzung hat die SPD diesmal besonders viel Zeit eingeplant. Mindestens vier Stunden werden die Genossen am Montag zusammensitzen. Aber es steht auch viel auf der Agenda. Die Partei will die Weichen für die Zukunft stellen. Der Vorstand muss schwierige Fragen klären: Wie soll die neue SPD-Führung gewählt werden? Und soll der Parteitag im Dezember vorgezogen werden?
Um dem Eindruck vorzubeugen, die Parteispitze entscheide über die Basis hinweg, will sich die Parteispitze an den mehr als 23.000 Vorschlägen zur Wahl eines neuen Vorsitzenden orientieren, die online in der Parteizentrale eingegangen sind.
Danach haben die Mitglieder vor allem zwei Wünsche: Sie wollen ein Mitspracherecht bei der Vorsitzenden-Wahl bekommen. Außerdem plädieren viele für eine Doppelspitze. Ähnliche Ideen haben Parteiflügel und -organisationen vor der Vorstandssitzung am Montag an die Parteispitze geschickt.
Beide Vorschläge sind aber nicht ohne Risiko. „Eine Doppelspitze hat in anderen Parteien bislang in den seltensten Fällen funktioniert“, sagt der Politikwissenschaftler Oskar Niedermayer. Die Grünen sammelten mit Ausnahme des aktuellen Führungsduos genau wie die Linkspartei eher schlechte Erfahrungen.
Dass eine Doppelspitze nun ausgerechnet in der SPD funktionieren soll, die sich intern so bekriegt wie kaum eine andere Partei, daran zweifeln viele Genossen. Allerdings glauben sie auch, dass man den Wunsch vieler Mitglieder nicht ignorieren kann.
Dagegen gilt eine Urwahl des neuen Parteichefs als sicher. Wie in der CDU sollen dabei mehrere Kandidaten auf Regional- oder Landeskonferenzen gegeneinander antreten. Dies soll zerstörtes Vertrauen zwischen Parteiführung und Basis wiederherstellen.
Gleichzeitig könnte die SPD die Konferenzen nutzen, um ihre Mitglieder im Osten für die Landtagswahlen im Herbst zu mobilisieren, wo ihr in Brandenburg, Sachsen und Thüringen neue Niederlagen drohen. Und, so die Hoffnung, vielleicht findet sich in einer Urwahl auch ein neues Gesicht, das bislang niemand auf dem Zettel hatte.
Anders als bei der CDU sollen bei der SPD am Ende tatsächlich die Parteimitglieder den oder die neuen Vorsitzenden küren. Laut Parteiengesetz muss ein Vorsitzender zwar offiziell von einem Parteitag gewählt werden.
Dies sollte aber keine Hürde darstellen. Ein Mitgliedervotum würde für einen Parteitag zwar nicht formell, aber doch politisch bindend sein. 1993 wurde so bereits Rudolf Scharping zum Parteivorsitzenden gewählt.
Auch wenn Scharpings Wahl nicht gerade als Paradebeispiel taugt – er blieb glücklos und wurde bald gestürzt –, halten Experten ein Mitgliedervotum angesichts des dramatischen Verfalls der SPD für richtig: „Die neue Führung braucht die Legitimation der Basis“, sagt Niedermayer.
Schwieriger als das Prozedere könnte es sein, den richtigen Parteichef zu finden. Spitzengenossen wie Olaf Scholz, Hubertus Heil oder Manuela Schwesig haben bereits abgewinkt. Nur zwei haben bislang ihren Hut in den Ring geworfen, über deren Bewerbung in der Partei aber nur geschmunzelt wird: NRW-Landtagsfraktionschef Thomas Kutschaty und die 76-jährige Gesine Schwan, die Leiterin der SPD-Grundwertekommission.
„Jeder, der sich bewirbt, bevor die drei Parteichefs überhaupt einen Verfahrensvorschlag gemacht haben, zeigt, dass er es nicht ernst meint“, sagt Johannes Kahrs, Chef des wirtschaftsfreundlichen Seeheimer Kreises.
Er hat klare Vorstellungen, welches Profil ein neuer Parteichef haben muss: „Er oder sie sollte eine gewisse Erfahrung in verantwortlicher Position auf kommunaler oder Landes- oder Bundesebene haben.“ Das Amt des SPD-Vorsitzenden sei „nicht geeignet für Experimente“.
Nach diesem Anforderungsprofil würde Juso-Chef Kevin Kühnert durchs Raster fallen. Er hätte bei einer Urwahl aber ohnehin schlechte Karten, so Niedermayer. „Die SPD-Basis wird wohl keinen deutlichen politischen Richtungsschwenk nach links machen. Deswegen räume ich in einer Urwahl Kevin Kühnert geringe Chancen ein, eine Doppelspitze etwa aus Franziska Giffey und Heiko Maas ist deutlich wahrscheinlicher.“
Giffey gilt im Falle eines Führungsduos für viele als gesetzt – sollte ihr nicht der Doktortitel aberkannt werden. Giffeys Promotion wird derzeit von der FU Berlin wegen Plagiatsvorwürfen untersucht.
Bei den männlichen Kandidaten werden Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil gute Chancen eingeräumt – so dieser sich in die Verantwortung nehmen lässt. „Giffey und Weil stünden für Aufbruch und Kontinuität“, sagt ein Spitzengenosse. Neben Weil werden auch Generalsekretär Lars Klingbeil und Außenminister Heiko Maas genannt.
„Wahrscheinlichkeit hoch, dass die SPD die Koalition platzen lässt“
Eine personelle Erneuerung allein wird die SPD aber nicht retten, sagt Niedermayer. „Die SPD hat überhaupt keinen klaren Kurs in den gesellschaftlichen und ökonomischen Kernkonfliktlinien. Fast drei Viertel der Bürger sagen, dass man bei der SPD nicht weiß, wofür sie eigentlich steht.“
Eine Neupositionierung ließe sich aus Sicht vieler SPD-Mitglieder in der Opposition wohl inzwischen leichter bestimmen. „Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass die SPD die Koalition platzen lässt“, sagt Niedermayer. „Auf dem Parteitag wird die Stimmung eindeutig sein.“
Dieser ist für Dezember angesetzt. Kleinere SPD-Landesverbände wollen ihn nach Handelsblatt-Informationen vorziehen, um eine schnellere Entscheidung herbeizuführen, ob die Koalition fortgesetzt werden soll. Doch das scheint unrealistisch. Bis Bewerber ihre Kandidatur erklären, sie die Regionalkonferenzen durchlaufen und die Mitglieder abgestimmt haben, werden Monate ins Land ziehen. Und zwischendurch sind Ferien.
Mehr: Die Umfragewerte von CDU-Parteichefin Kramp-Karrenbauer fallen. Auch wenn die Kontrahenten sie verteidigen – es herrscht ein Zustand der Grundnervosität.
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