Sozialpolitik Breites Bündnis fordert Reform der Pflegefinanzierung: „Müssen jetzt Weichen stellen“

Wie die Pflege künftig finanziert werden soll, bleibt weiterhin offen.
Berlin Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte sich ein Großthema vorgenommen: Bis zum Sommer, so lautete der Plan, werde er ein Reformkonzept für die Finanzierung der Pflege vorlegen. Doch Corona veränderte die Prioritäten, die Pandemie erforderte die Aufmerksamkeit des Gesundheitsministers und der ganzen Bundesregierung.
In der Krise erhielten Pflegekräfte für ihren Einsatz viel Lob. Wie die Pflege künftig finanziert werden soll, ist aber weiter offen. Ein Bündnis, dem unter anderem die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), der Verband der privaten Krankenversicherung (PKV) und die Gewerkschaft dbb Beamtenbund und Tarifunion angehören, ruft die Regierung nun zum Handeln auf.
„Um die Herausforderungen der alternden Gesellschaft zu meistern, muss Deutschland jetzt die richtigen Weichen stellen“, heißt es in einem Positionspapier des Bündnisses, das dem Handelsblatt vorliegt. „Das gilt insbesondere für die Sicherung einer menschenwürdigen pflegerischen Versorgung.“
Die Unterzeichner fordern, nicht nur auf das Umlageverfahren zu setzen, bei dem die arbeitende Bevölkerung die Leistungsausgaben finanziert. Auch kapitalgedeckte Formen wie betriebliche Angebote zu Absicherung des Pflegerisikos und Pflegezusatzversicherungen müssten eine Rolle spielen.
„Wenn zukünftig immer mehr Leistungsempfängern immer weniger erwerbstätige Beitragszahler gegenüberstehen, stößt der alte Generationenvertrag mit seiner Umlage von jung zu alt an Grenzen“, heißt es in dem Papier. „Die nächste Pflegefinanzreform muss daher die Auswirkungen auf die Generationengerechtigkeit, die Belastung der Erwerbstätigen und Arbeitgeber mit Sozialabgaben und die Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes berücksichtigen.“
Offene Debatte nötig
Allein zwischen 2015 und 2019 stiegen die Ausgaben in der Pflegeversicherung von 29 auf 44 Milliarden Euro. Mittelfristig wird die Alterung der Gesellschaft die umlagefinanzierte Pflegeversicherung massiv unter Druck setzen. Einer im November veröffentlichten Bertelsmann-Studie zufolge könnte sich der Finanzbedarf bis 2030 auf 74 Milliarden Euro und bis 2050 auf 181 Milliarden Euro erhöhen.
Mit einer Beitragserhöhung hatte Spahn Anfang 2019 die Pflegefinanzen vorerst stabilisiert. Der zur Hälfte von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gezahlte Beitragssatz liegt aktuell bei 3,05 Prozent des Bruttolohns, Kinderlose zahlen 3,3 Prozent. Ob das bis zum Ende dieser Legislaturperiode reicht, war aber schon vor Corona fraglich.
Im Nachtragshaushalt der Bundesregierung ist nun erstmals ein Steuerzuschuss in Höhe von 1,8 Milliarden Euro für die Pflegekasse vorgesehen. Aus dem Bundesgesundheitsministerium verlautete, Spahn wolle im Herbst einen Kassensturz bei der Pflege vornehmen und auf der Grundlage das weitere Vorgehen entscheiden.
BDA-Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter sagte dem Handelsblatt: „Wir brauchen eine wirklich offene Debatte zur Finanzierung der pflegerischen Versorgung. Es werden stetig neue teure Versprechen gemacht, ohne dass klar ist, wie das auf Dauer bezahlt werden soll. Das ist weder nachhaltig noch generationengerecht.“
Kein anderer Sozialversicherungszweig sei so demografieanfällig, sagte Kampeter. „Wer den dringenden Handlungsbedarf nicht erkennt, verschließt offenkundig die Augen vor den Tatsachen.“
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