Sozialstaat FDP kritisiert, dass jobbende Pflegekinder einen Teil ihres Gehalts abführen müssen

Kostenbeteiligung von Pflegekindern abschaffen.
Berlin Der deutsche Sozialstaat hält so manche böse Überraschung für jene bereit, die sich eigentlich aus seiner Obhut lösen wollen. Hartz-IV-Empfängern, die sich etwas hinzuverdienen, nimmt er jenseits eines Freibetrags von 100 Euro von jedem zusätzlichen Euro 80 Cent und mehr gleich wieder weg. Und für so manchen Geringverdiener lohnt sich Mehrarbeit nicht, weil er dann mit einem Schlag den Anspruch auf Wohngeld, Kinderzuschlag oder andere staatliche Leistungen verliert und am Ende finanziell schlechter dasteht.
Auf ein drittes Beispiel, wie Leistungsbereitschaft bestraft wird, weist jetzt die FDP-Bundestagsfraktion hin. Bei Pflegekindern, die in einem Heim, einer Pflegefamilie oder einer Wohneinrichtung aufwachsen, kommt der Staat finanziell für die Erziehung auf. Nehmen die Jugendlichen aber eine Ausbildung auf oder einen Nebenjob an, müssen sie bis zu 75 Prozent ihres Nettoeinkommens an das Jugendamt zahlen. So sieht es Paragraf 94 des Achten Sozialgesetzbuchs (SGB VIII) vor.
„Ein Pflegekind, das 75 Prozent seiner Einkünfte an das Jugendamt abtreten muss, lernt sehr früh vor allem eines: Ausbildung und Arbeit lohnen sich nicht“, kritisiert die stellvertretende Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, Katja Suding. Nötig sei aber genau das gegenteilige Signal, dass Arbeit der Weg ist, um ein selbstbestimmteres Leben auf eigenen Füßen führen zu können.
Laut der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der FDP-Fraktion lebten im Jahr 2017 rund 91.400 Kinder und Jugendliche bis 27 Jahre in sogenannter vollstationärer Vollzeitpflege. Gut 21.000 sind 16 oder älter, kommen also für eine Ausbildung oder einen Nebenjob infrage.
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Allerdings liegen der Bundesregierung keine Erkenntnisse darüber vor, wie viele Pflegekinder tatsächlich Teile ihres Einkommens an den Staat abführen mussten. Ob es dazu kommt, liegt nämlich im Ermessen des jeweiligen Jugendamtes. Es kann von einer Kostenbeteiligung absehen, wenn die Ausbildung oder der Job „dem Zweck der Jugendhilfe“ dienen.
Einen einheitlichen Kriterienkatalog, in welchem Fall davon auszugehen ist, gibt es allerdings nicht. „Es ist in jedem Einzelfall zu prüfen, ob die konkrete Tätigkeit dem Zweck der individuellen Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe dient, heißt es in der Antwort des Bundesfamilienministeriums.
Eine Einzelfallprüfung führe aber nicht nur zu einem erheblichen Bürokratieaufwand, kritisiert Suding. Sie führe auch dazu, dass der Kostenbeitrag, den Pflegekinder leisten müssen, ganz unterschiedlich ausfalle. Dies trage nicht eben zu Chancengerechtigkeit bei.
Union und SPD hatten im Koalitionsvertrag vereinbart, das Kinder- und Jugendhilferecht weiterzuentwickeln und dabei das Kindeswohl als Richtschnur zu nehmen. Im Rahmen eines breit angelegten Dialogprozesses will die Bundesregierung dabei auch prüfen, ob die Ausnahmeregelungen zur Kostenheranziehung dem Auftrag der Kinder- und Jugendhilfe hinreichend Rechnung tragen.
Denn das Familienministerium erkennt den Wert der Eigenanstrengung von Jugendlichen durchaus an. „Mit der Aufnahme einer Ausbildung oder einer anderen Tätigkeit, wie zum Beispiel Zeitungsaustragen oder eines Ferienjobs, lernen junge Menschen, Eigenverantwortung für sich und die eigene Zukunft zu übernehmen“, heißt es in der Antwort der Bundesregierung weiter. Die Kostenheranziehung solle der Motivation, eine solche Tätigkeit zu beginnen, nicht entgegenstehen.
Für FDP-Fraktionsvize Suding ist das aber nicht glaubwürdig. Ihrer Ansicht nach kann es nur eine Lösung geben: „Die Kostenheranziehung von Pflegekindern gehört abgeschafft.“
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