Gemäß Satzung ist ein Mitgliederentscheid auf drei Wegen möglich. Der Parteivorstand beschließt ihn mit einer Dreiviertelmehrheit - wie geschehen. Formal kann ein Basisvotum noch über ein Mitgliederbegehren - binnen drei Monaten müsste es von zehn Prozent der Mitglieder (etwa 47.000) unterstützt werden – oder auf Antrag von zwei Fünfteln der Bezirksvorstände durchgesetzt werden. Wahlberechtigt sind alle 474 820 SPD-Mitglieder. Stichtag war der Eintritt bis 13. November. Allein von Ende Oktober bis zum 13. Dezember gab es mit einem Sprung um 1800 Mitglieder einen recht hohen Zuwachs.
Vorreiter waren eines Basisvotums waren etwa Landesverbände in Bayern, Sachsen, Berlin, Bremen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Thüringen. In einem Beschluss der NRW-SPD hieß es etwa: „Die SPD ist nicht dafür angetreten, um als Mehrheitsbeschafferin die CDU an der Regierung zu halten.“ Die Länder fürchten Kompromisse in der großen Koalition zu ihren Lasten. Und: Am 25. Mai 2014 stehen in zehn Ländern Kommunalwahlen an - die SPD fürchtet, vom Wähler wie nach der letzten großen Koalition (2005 bis 2009) abgestraft zu werden.
Ein solches Vorgehen ist Neuland. 1993 wurde nach einer bundesweiten Mitgliederbefragung Rudolf Scharping zum Kanzlerkandidaten auserkoren. 2003 scheiterte ein Begehren gegen die „Agenda 2010“, weil das Quorum von damals 67.000 Stimmen aller SPD-Mitglieder für einen Mitgliederentscheid verpasst wurde. Eine Koalitionsentscheidung gab es 1995 in Bremen: Die SPD-Mitglieder stimmten damals mit knapper Mehrheit für Rot-Schwarz. Die Befürworter argumentieren, so ein Vorgehen könne befriedende Wirkung haben. Als positiv erwiesen sich Mitgliederentscheide über die Spitzenkandidaten in Niedersachsen und Schleswig-Holstein: Stephan Weil und Torsten Albig wurden am Ende auch Ministerpräsidenten.
Das Mitgliedervotum dürfte von der SPD in den Gesprächen mit der Union immer wieder angeführt worden sein, um die eigene Position zu stärken. Entsprechend harsch war bei der Union die Kritik an der Basisbeteiligung ausgefallen. Die stellvertretende CDU-Vorsitzende Julia Klöckner warf den Sozialdemokraten vor den Koalitionsverhandlungen vor, mit dem Mitgliedervotum eine „Trickserei“ zu planen. Sie könne „die SPD-Parteispitze nur warnen, wenn sie sich nicht gänzlich demontieren und überflüssig machen will“, sagte Klöckner der „Welt am Sonntag“. Seehofer hatte mit Blick auf das geplante SPD-Basisvotum gesagt: „Die Vorsitzenden der beteiligten Parteien haben alle ein Mandat und die Verantwortung, für stabile Verhältnisse zu sorgen. Wir sind doch keine Hasen, die aus Schreck vor einer Regierungsbildung kreuz und quer durchs Feld laufen, bis der Jäger sie erwischt.“
Die SPD-Spitze will den Mitgliederentscheid Mitte Dezember abgeschlossen sehen. Auf dutzenden Regionalkonferenzen wird die Führung um Zustimmung werben. Vom 6. bis 12. Dezember kann per Briefwahl abgestimmt werden. Ab Samstag will die Partei die Briefwahlunterlagen an die Mitglieder verschicken.
Weit über eine Million Euro. Vor allem für Porto und Logistik. Per Sonderausgabe der SPD-Zeitung „Vorwärts“ wird der Koalitionsvertrag an alle wahlberechtigten Mitglieder verschickt.
Am 13. Dezember werden alle zurückgesandten Abstimmungsbriefe in den angemieteten, denkmalgeschützten ehemaligen Postbahnhof in Berlin-Kreuzberg gebraucht. Zur Öffnung wurden „Hochleistungsschlitzmaschinen“ angeschafft, die 20.000 Briefumschläge pro Stunde öffnen können. Dort werden dann mehrere hundert freiwillige SPD-Helfer am Samstag, 14. Dezember, in der Veranstaltungshalle „Station Berlin“ in der Nähe des Verkehrsmuseums unter Aufsicht eines Notars die Stimmzettel auszählen. Mindestens 20 Prozent und damit rund 93.000 Genossen müssen sich beteiligen, damit das Ergebnis bindend wird. Noch am selben Abend will die SPD das Ergebnis bekannt geben.
Sofern die Mehrheit der SPD-Mitglieder für die Große Koalition votiert könnte Angela Merkel dann am Dienstag, 17. Dezember, zum dritten Mal zur Kanzlerin gewählt werden.
Auch die SPD-Minister gingen gestärkt in ein Bündnis mit der Union. Sie hätten in den Verhandlungen wegen des im Anschluss folgenden Entscheids viel durchsetzen können, etwa einen gesetzlichen Mindestlohn. Die Partei ist befriedet - aber sie pocht darauf, dass auch parallel die Kontakte zu anderen Parteien wie der Linken gestärkt werden. Die Große Koalition soll laut SPD weiterhin die Ausnahme bleiben.
Chaos, ausgerechnet im Jubiläumsjahr des 150-jährigen Bestehens. Sigmar Gabriel und die gesamte SPD-Führung sowie die Ministerpräsidenten hatten eindringlich für die Große Koalition geworben. Lehnte die Basis das Vorhaben ab, wäre die Parteispitze massiv beschädigt. Die Union stünde ohne Partner da, das Ausland spräche vom unregierbaren Deutschland. Die Börsen wären in Aufruhr. Da auch die Grünen nach ihren personellen Umwälzungen kaum für eine Koalition mit CDU/CSU bereit sein dürften, blieben nur noch Neuwahlen Anfang 2014. Die FDP könnte wieder in den Bundestag einziehen und mit der Union eine Koalition bilden. Die SPD würde dann unter Umständen mit unter 20 Prozent brutal abgestraft werden.
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