SPD-Vorsitz Neue Doppelspitze: Esken und Klingbeil sollen ein Gegengewicht zu Scholz bilden

Das Duo soll die SPD in die Zukunft führen – und die Unabhängigkeit der Partei vom Kanzleramt sicherstellen.
Die neue SPD-Parteiführung steht: Am Montag nominierte der Parteivorstand einstimmig Saskia Esken und Lars Klingbeil als neue Doppelspitze. Klingbeil folgt damit wie erwartet auf Norbert Walter-Borjans. Der 69-Jährige hatte zuvor erklärt, nach zwei Jahren an der Parteispitze auf dem Parteitag im Dezember nicht erneut als Parteichef zu kandidieren zu wollen. Dort sollen nun Esken und Klingbeil gewählt werden.
Klingbeil hatte in den letzten Tagen bereits seine Bereitschaft für eine Kandidatur signalisiert. Esken hatte vergangene Woche erklärt, erneut als Parteichefin zu kandidieren. Kanzlerkandidat Olaf Scholz würdigte das voraussichtliche künftige Führungsduo als „ein sehr gutes Team für Fortschritt und Zusammenhalt“.
Zwar können theoretisch noch weitere Bewerber ihre Kandidatur erklären, doch diese dürften keine Aussicht auf Erfolg haben. Offen ist im Moment, wie die übrige Parteispitze aussehen wird. So ist etwa die Nachfolge von Klingbeil als Generalsekretär offen. Zwar wird für den Posten immer wieder der Name von Parteivize Kevin Kühnert genannt. Zuletzt hieß es aber aus SPD-Kreisen, der Posten werde eher an eine Frau gehen. Kühnert wäre unweigerlich in der Rolle des „Antagonisten zu Scholz“ gefangen, womit er sich selbst keinen Gefallen tun würde.
Auch ist noch offen, wer die künftigen Stellvertreter von Esken und Klingbeil sein werden. Hier könnte es zu Kampfkandidaturen kommen. So soll auch NRW-Landeschef Thomas Kutschaty, der bislang nicht der Parteispitze angehörte, Interesse an einem der Stellvertreterposten haben.
Esken und Klingbeil schrieben in einem gemeinsamen Brief an die Parteimitglieder, „die Geschlossenheit, der gegenseitige Respekt und die Ernsthaftigkeit, mit der wir in den vergangenen Monaten agiert haben, hat uns stark gemacht. Diesen Politikstil wollen wir auch in neuer Zusammensetzung weiter pflegen.“ Sie wollten die SPD als „moderne Volkspartei“ positionieren, die die Diversität der Gesellschaft widerspiegele und Brücken zwischen gesellschaftlichen Gruppen baue.
Klingbeil will SPD weiter erneuern
Klingbeil sagte in einer Videobotschaft, der Reformprozess der SPD, den er seit seiner Zeit als Generalsekretär mit angestoßen habe, sei noch nicht abgeschlossen. „Wenn wir das alles richtig machen, dann liegt vor uns ein sozialdemokratisches Jahrzehnt in Deutschland, aber auch in Europa“, sagte der 43-Jährige.
In den vergangenen Jahren habe die SPD viel geschafft und schließlich die Bundestagswahl gewonnen. „Aber ich will, dass es weitergeht. Ein Wahlsieg reicht mir nicht“, so Klingbeil. Die SPD wolle auch die anstehenden Landtagswahlen im Saarland, in Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen gewinnen.
Im Gegensatz zur Parteilinken Esken zählt Klingbeil zum wirtschaftsfreundlichen Flügel der SPD. Er und Esken kennen sich aber schon seit vielen Jahren, etwa aus ihrer gemeinsamen Zeit als Digitalpolitiker im Bundestag.
Seitdem Klingbeil 2017 Generalsekretär wurde, hat er acht Vorsitzenden gedient, zuletzt auch Esken. Die Zusammenarbeit klappte überraschend reibungslos.
Klingbeil wird intern hoch angerechnet, die SPD in Zeiten dieser hohen Fluktuation an der Parteispitze zusammengehalten zu haben. Auch hat er gezeigt, dass er beim Wahlvolk ankommt. Seinen Wahlkreis im ländlichen Niedersachsen nahm er 2017 der Union ab und verteidigte ihn dieses Jahr mit 47 Prozent. Auch wegen dieses Wahlerfolgs wurde Martin Schulz auf Klingbeil aufmerksamt und machte ihn 2017 zum Generalsekretär.
Für noch höhere Ämter empfahl sich Klingbeil dann durch die Bundestagswahl. Er gilt als Architekt der erfolgreichen Wahlkampagne. Spätestens seitdem ist frühere Kritik am Generalsekretär vergessen.
Klingbeil war ein untypischer Generalsekretär
So wurde Klingbeil oft vorgeworfen, er sei zu soft und greife den politischen Gegner zu wenig an. Klingbeil selbst hielt jedoch wenig davon, als Generalsekretär den dampfplaudernden Lautsprecher zu geben.
Politik ist aus Klingbeils Sicht mehr als Sprücheklopfen, vor allem Handwerk: viel Planung, viel Absprache und ein ordentlicher Umgang miteinander. In diesem Politikstil ähnelt er durchaus Olaf Scholz, auch wenn die beiden sonst unterschiedliche Charaktere sind. Zu Klingbeil passe vom Naturell daher ohnehin besser das Amt des Vorsitzenden als das des Generalsekretärs, finden nicht wenige in der Partei.
Nach dem Wahlsieg konnte Klingbeil Anspruch auf höhere Ämter anmelden. Er selbst wurde zunächst als Verteidigungsminister gehandelt. Klingbeils Vater war Soldat, in seinem Wahlkreis in Munster liegt der größte Standort des Heeres. Gleichzeitig galt Klingbeil aber schon in den vergangenen Wochen als Reserve-Vorsitzender der SPD, nachdem sich abgezeichnet hatte, dass Walter-Borjans nicht noch einmal als Parteichef antreten könnte.
Zwar könnten Klingbeil und Esken neben dem Parteivorsitz auch ein Ministeramt übernehmen. Esken hielt sich diese Option am Montag offen. Die SPD-Parteisatzung lässt dies – anders als bei den Grünen – zu.
Allerdings gilt eine solche Ämterhäufung als unwahrscheinlich. Zuletzt hatten sich mehrere SPD-Politiker wie Fraktionschef Rolf Mützenich dafür ausgesprochen, an der bisherigen Trennung von Parteivorsitz und Ministerämtern festzuhalten.
Dies stellt nach Ansicht vieler Genossen sicher, dass die Selbstständigkeit der SPD erhalten bleibt. Anders als die Union legt die SPD traditionell in Regierungsverantwortung Wert darauf, als Partei sichtbar zu bleiben und nicht als bloßes Anhängsel der SPD-Regierungsriege wahrgenommen zu werden. Esken und Walter-Borjans waren vor zwei Jahren genau mit diesem Anspruch als Parteivorsitzende angetreten.
Auf dem linken Parteiflügel gab es die Sorge, dass von dieser Eigenständigkeit wenig übrig bleibe, wenn nach dem Rückzug von Walter-Borjans auch Esken nicht mehr antritt und stattdessen ins Bundeskabinett wechselt, wie spekuliert wurde. Nach einigem Überlegen entschied sich Esken, Parteivorsitzende zu bleiben. „Das, was beim Mitgliederentscheid erreicht wurde, bleibt bestehen", sagte Walter-Borjans. "Saskia bleibt an Bord."
Esken: „Wir müssen jetzt aus Erfolg lernen“
Die Parteichefin wird zwar auf dem wirtschaftsfreundlichen Parteiflügel weiterhin kritisch beäugt. Allerdings bescheinigen ihr auch ihre Gegner, „eine steile Lernkurve“ im Amt hingelegt zu haben.
Esken sagte am Montag, die SPD habe gezeigt, dass sie aus Fehlern lernen kann. „Jetzt müssen wir aus dem Erfolg lernen.“ Sie wolle die SPD „mit den Mitgliedern als eigenständige politische Kraft stärken“.
Lars Klingbeil soll SPD gemeinsam mit Saskia Esken führen
In der neuen Konstellation mit einem sozialdemokratischen Bundeskanzler wird das kein Selbstläufer. Esken und Klingbeil müssen die Standpunkte ihrer Partei durchsetzen, etwa im Koalitionsausschuss, in dem Koalitionskonflikte ausgeräumt werden und in dem die Parteichefs eine zentrale Rolle spielen.
Das muss ihnen gelingen, ohne dabei zu sehr den eigenen sozialdemokratischen Kanzler zu beschädigen. Schon in der Großen Koalition fanden viele Sozialdemokraten, Scholz mache zu viele Kompromisse. In einem Dreierbündnis werden diese umso mehr notwendig sein. Jede parteiinterne Kritik aus der SPD an angeblich wachsweichen Kompromissen ist dann aber immer Kritik am eigenen Kanzler.
Derzeit ist die SPD noch berauscht vom Wahlsieg und der Aussicht auf den vierten Sozialdemokraten im Kanzleramt. Und noch ist Scholz nicht Kanzler, auch das sorgt für Disziplin. Ob die neue Geschlossenheit der SPD aber tatsächlich halten wird, wird der Regierungsalltag zeigen.
Mehr: Krach statt Kuschelkurs: Die Ampelverhandlungen geraten ins Stocken
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Interessante Debatte im Deutschen Bundestag, der sicherlich hoch effizient ist.
Ein Schwurbeler spricht und über 700 weitere langweilen sich offensichtlich. Sie reden miteinander oder spielen an Ihrem Handy oder Tablet.
Was treiben und leisten eigentlich diese Abgegordnete wirklich.
Es wäre sicherlich einer guter Recherche wert für die Leser des HB.
Wo ist eigentlich Kevin?