Staatsfinanzen Ökonom Raffelhüschen: Coronakrise verschärft die Belastungen für künftige Generationen

Künftige Generationen werden die aktuelle Schuldenaufnahme bezahlen müssen.
Berlin Wegen der Coronakrise macht die Bundesregierung so viele Schulden wie noch nie: Die Große Koalition beschloss eine Nettokreditaufnahme von rund 220 Milliarden Euro, die Staatsverschuldung dürfte damit auf etwa 80 Prozent der deutschen Wirtschaftskraft steigen.
Die Verbindlichkeiten des Staates liegen allerdings noch viel höher, wenn die Leistungsversprechen der Zukunft berücksichtigt werden, die durch das heutige Steuer- und Abgabenniveau nicht gedeckt sind. Dabei geht es vor allem um die absehbaren Ausgaben für Rente, Pflege oder die Beamtenversorgung, die in der alternden Gesellschaft der kommenden Jahrzehnte stark ansteigen werden.
Der Freiburger Ökonom Bernd Raffelhüschen untersucht für die Stiftung Marktwirtschaft jedes Jahr, wie nachhaltig die öffentlichen Finanzen der Bundesrepublik sind. Die Pandemie sei ein „echter Schock“ und verschärfe das Missverhältnis bei der Lastenverteilung zwischen den Generationen weiter, sagt Raffelhüschen.
Der Gesamtschuldenstand der öffentlichen Hand liegt demnach bei 11,9 Billionen Euro – das entspricht 345 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Der Großteil (9,8 Billionen Euro) entfalle auf die heute noch verdeckte Staatsschuld, die sich aus künftigen Leistungsansprüchen ergebe.
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Der Bund pumpt schon jetzt immer mehr Steuergeld in die beitragsfinanzierten Sozialversicherungen. Kürzlich half die Regierung erstmals auch der Pflegekasse mit einem Bundeszuschuss aus.
Kritik an mehr Rentenleistungen
Vergangenes Jahr lag die von Raffelhüschen berechnete „Nachhaltigkeitslücke“ bereits bei 7,4 Billionen Euro. Die Coronakrise verstärkt den durch die demografische Entwicklung vorgezeichneten Trend nun massiv.
Noch nie habe es gleichzeitig einen solchen Einbruch bei den Einnahmen und Anstieg bei den Ausgaben gegeben, sagt Raffelhüschen. Seine Berechnungen zeigen: Ohne den Wirtschaftseinbruch mit gravierenden Folgen für Steuer- und Beitragseinnahmen und ohne die Neuverschuldung für Nothilfe- und Konjunkturprogramme hätte sich die Nachhaltigkeitslücke nur auf 8,1 Billionen Euro vergrößert.
Raffelhüschen kritisiert, dass die Koalition vor diesem fiskalischen Hintergrund die Leistungen vor allem in der gesetzlichen Rente immer weiter ausgeweitet hat. Außerdem sei der Mechanismus außer Kraft gesetzt worden, der Rentenerhöhungen nach einer Krise dämpft und damit die schlechtere Lohnentwicklung nachvollzieht.
Dieser sogenannte Nachholfaktor in der gesetzlichen Rentenversicherung liegt bis 2025 auf Eis. „Die ökonomischen Belastungen der Beschäftigten infolge von Kurzarbeit, Arbeitslosigkeit und stagnierenden Löhnen in diesem Jahr werden die Rentner nie zu spüren bekommen“, sagt Raffelhüschen.
Der FDP-Rentenexperte Johannes Vogel brachte in der vergangenen Woche einen Antrag in den Bundestag ein, um den Nachholfaktor wieder einzuführen. „Löhne und Renten sollten sich immer im Gleichklang entwickeln“, sagte Vogel. „Auf diesen Grundsatz müssen sich die Rentnerinnen und Rentner verlassen können. Auf diesen Grundsatz muss sich aber eben auch die junge Generation verlassen können.“
Zahlen sind noch mit Unsicherheiten belastet
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat erklärt, dass sie bei dem Thema derzeit keinen Handlungsbedarf sieht. Vogel wirft ihr deshalb „Problemverschleppung“ vor. Der FDP-Politiker beziffert die Mehrausgaben für die Rentenversicherung durch den ausgesetzten Nachholfaktor auf jährlich rund zwölf Milliarden Euro.
Raffelhüschen bezeichnet seine Berechnungen als „erste ehrliche Schuldenrechnung“, bei der die Auswirkungen der Coronakrise berücksichtigt würden. Seine Zahlen sind allerdings noch mit einigen Unsicherheiten behaftet. Denn die weitere Entwicklung der staatlichen Einnahmen und Ausgaben hängt auch davon ab, wie tief die Corona-Verwerfungen in der Volkswirtschaft am Ende sein werden.
Handelt es sich nur um eine konjunkturelle Krisenphase, oder schwächt sich der deutsche Wachstumspfad dauerhaft ab? Wird aus Kurzarbeit und konjunktureller Arbeitslosigkeit ein strukturelles Beschäftigungsproblem?
Raffelhüschen hat daher neben seiner Basisprognose mehrere Szenarien untersucht. Im Negativfall mit einem starken Rückgang der Wirtschaftsleistung von 9,3 Prozent in diesem Jahr und nur allmählicher Erholung könnte die Gesamtverschuldung inklusive künftiger staatlicher Verpflichtungen nach heutigem Stand auf mehr als 17 Billionen Euro (514 Prozent des BIP) steigen. Bei einer schnellen Erholung wären es etwa 9,8 Billionen Euro (285 Prozent des BIP).
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Es ist schon bemerkenswert, dass ausgerechnet der Lobbyist Raffelhüschen seine Darbietung als "erste ehrliche Schuldenrechnung" bezeichnet. Wer sich Auftragnehmer wie Auftraggeber der Untersuchung ansieht, kann zwei und zwei zusammenzählen.