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Steuermoral Unverständliche Steuersysteme führen nicht nur zu hohem Bürokratieaufwand – sondern auch zu Steuerhinterziehung

Jahr für Jahr entgehen dem Staat hohe Einnahmen durch Steuerhinterziehung. Die Schuldigen sind jedoch meist nicht diejenigen, die es ohnehin darauf anlegen.
07.05.2021 - 04:00 Uhr Kommentieren
Steuern werden auch von denen hinterzogen, die von anderen hören, wie unübersichtlich das Steuersystem doch sei. Quelle: dpa
Deutlich weniger Steuer-Selbstanzeigen

Steuern werden auch von denen hinterzogen, die von anderen hören, wie unübersichtlich das Steuersystem doch sei.

(Foto: dpa)

Berlin Es ist Frühling. Das Wetter wird sonniger, aber es steht auch eine unschöne Aufgabe vor der Tür: die alljährliche Steuererklärung. Viele Steuerzahler treibt allein schon der Gedanken daran Schweißperlen auf die Stirn.

Weil das Steuersystem und damit die Vorschriften so komplex sind, versteht kaum jemand komplett, was er da ausfüllt und unterschreibt. Und in diesem Jahr gilt das durch die vielen steuerlichen Veränderungen in der Coronakrise noch einmal ganz besonders.

Komplexe Steuersysteme verursachen aber nicht nur viel Arbeit für Steuerzahler und einen hohen Bürokratieaufwand in den Finanzämtern, sondern führen auch zu Steuerhinterziehung. Und das sogar selbst unter politisch eher links gesinnten Steuerzahlern, denen eine gute Finanzierung des Staates am Herzen liegt. Dies geht aus einer Studie des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) hervor, die dem Handelsblatt vorliegt.

Mittels einer experimentellen Befragung untersuchte ZEW-Forscher Sebastian Blesse die Wirkung sozialer Einflüsse auf über 4000 deutsche Steuerzahler. Das Ergebnis: Werden Steuerzahler mit einer ähnlichen Gruppe konfrontiert, die nicht weiß, wie sie ihr zu versteuerndes Einkommen richtig bei der Steuererklärung angibt, lässt das die individuelle Steuermoral sinken, schreibt Blesse.

In der Studie heißt es, „die intrinsische Motivation“, Steuern zu zahlen werde untergraben, „wenn Menschen über vorherrschende Unsicherheit anderer Steuerzahler informiert werden“. Steuerzahler werden demnach nachsichtiger gegenüber Steuerhinterziehung, da sie die Steuerprobleme anderer gut nachvollziehen können.

Das heißt: Steuern werden wohl nicht von jenen hinterzogen, die es ohnehin darauf anlegen. Sondern auch von denen, die von den Klagen anderer hören, wie unübersichtlich das Steuersystem doch sei – und dann selbst Steuern hinterziehen.

Für wen die Effekte stärker ausfallen

Ein weiterer Befund: Diese Effekte fallen für sehr ehrliche, ältere und eher politisch links eingestellte Steuerzahler noch stärker aus als für andere. Und: „Diese Erosion der Steuermoral ist lang anhaltend“, schreibt Blesse.

Wie viel Einnahmen dem Staat durch Steuerhinterziehung im Jahr entgehen, ist schwer zu sagen. In den USA wird der Verlust auf mehrere Hundert Milliarden Dollar geschätzt, etwa auf die Größe des gesamten Bundeshaushalts. In Griechenland kam im Zuge der Staatsschuldenkrise ebenfalls heraus, dass in großem Umfang Steuern hinterzogen wurden.

Einiges spricht dafür, dass auch in Deutschland eine ordentliche Summe im Jahr zusammenkommt. Zwar sagen laut einer Kantar-Umfrage im Auftrag des Bundesfinanzministeriums 76 Prozent der Bürger, persönlich gern Steuern zu zahlen, weil sie damit einen Beitrag zum Gemeinwesen leisten. Zugleich ist aber etwa der Anteil der Schwarzarbeit beträchtlich.

Laut einer Prognose des Linzer Wirtschaftsprofessors Friedrich Schneider und des Instituts für Angewandte Wirtschaftsforschung (IAW) stieg während der Corona-Pandemie im Jahr 2020 der Umfang der Schattenwirtschaft um 16 Milliarden auf 339 Milliarden Euro. Der Anteil der Schattenwirtschaft am Bruttoinlandsprodukt erhöhte sich damit gegenüber 2019 von 9,4 auf 10,2 Prozent.

Der traditionelle Ansatz besteht meist darin, die Verfolgung von Steuerflüchtlingen zu verstärken und Strafen zu erhöhen. Genau diesen Weg hat auch Deutschland eingeschlagen, insbesondere nach der Flut an Selbstanzeigen in der ersten Hälfte der 2010er-Jahre. In den vergangenen Jahren versuchten Wissenschaftler aber, besser zu verstehen, ob auch sanftere Maßnahmen die Steuermoral erhöhen.

Bereits Gesetz im Blick haben

In einer großangelegten Feldstudie mit 15000 Steuerzahlern in Norwegen kam etwa heraus, dass ein Brief des Fiskus an Steuerzahler mit einem einfachen Appell an das Gewissen einen positiven Effekt hat – aber nur dann, wenn der Steuerzahler gerade im Begriff ist, seine Steuererklärung zu erstellen. Langfristig hatten solche Appelle keinen Erfolg.

ZEW-Forscher Blesse empfiehlt in seiner Studie, das Problem schon am besten im Blick zu haben, wenn ein Steuergesetz beschlossen wird. Eine Regierung dürfe dann nicht nur im Blick haben, welche klassischen Ausweichreaktionen oder Verzerrungen eine Maßnahme hat, sondern sie müsse auch „damit verbundene negative Auswirkungen auf die freiwillige Einhaltung von Steuervorschriften“ berücksichtigen.

Mehr: Die Schwarzarbeit in Deutschland nimmt zu.

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