Steuerschätzung Staat nimmt 2021 fast 20 Milliarden Euro weniger Steuern ein als geplant

Olaf Scholz muss 2021 mit weniger Geld auskommen.
Berlin Die Stimmung von Olaf Scholz (SPD) und die Zahlen, die er verkündete, schienen nicht zusammenzupassen. „Das Schlimmste liegt wohl hinter uns“, sagte der Bundesfinanzminister bei der Präsentation der neuesten Steuerschätzung. Die Einnahmen entwickelten sich „besser, als wir befürchten mussten“.
Dabei wirkte die Prognose auf den ersten Blick alles andere als gut. Bund, Länder und Kommunen werden bis einschließlich 2024 rund 30 Milliarden Euro weniger einnehmen als noch in der Mai-Schätzung vorhergesagt. Ein Großteil davon – rund 19 Milliarden Euro – entfällt auf den Bund. Allein im nächsten Jahr stehen Scholz 10,6 Milliarden Euro weniger zur Verfügung als bislang geplant. Beim Gesamtstaat beträgt das Minus 19,6 Milliarden Euro.
Dass sich Scholz trotzdem gelassen gibt, hat einen Grund: Das Minus ist vor allem auf Steuerentlastungen zurückzuführen, die die Bundesregierung in der Coronakrise auf den Weg gebracht hat. Insofern sind sie für den Kassenwart keine böse Überraschung. Lässt man diese Krisenmaßnahmen außer Acht, laufen die Steuereinnahmen trotz des harten Wirtschaftseinbruchs zum Teil sogar wieder leicht besser als erwartet.
Ohne die Effekte durch die Corona-Hilfen nimmt der Staat in diesem Jahr 25,5 Milliarden Euro mehr ein als bislang kalkuliert. Viele Unternehmen können Corona-bedingte Steuerstundungen schon 2020 tilgen – und nicht wie noch im Mai angenommen erst im nächsten Jahr.
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Grund dafür ist die sich aufhellende Wirtschaftslage. Vieles deutet darauf hin, dass sich die Wirtschaft recht schnell vom tiefen Einbruch in der Phase des Corona-Lockdowns erholen könnte. Dadurch können die Unternehmen schneller Steuern nachzahlen als gedacht. Diese Mehreinnahmen werden durch Entlastungen wie die Mehrwertsteuersenkung aber wieder aufgezehrt.

10.09.2020, Berlin: Olaf Scholz (SPD), Bundesminister der Finanzen, gibt eine Pressekonferenz zur außerordentlichen Steuerschätzung. Foto: Kay Nietfeld/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Minus von 16,6 Milliarden Euro bei gesetzlichen Krankenkassen
Der Rückgang der Einnahmen im nächsten Jahr wiederum erklärt sich daraus, dass die Steuernachzahlungen im nächsten Jahr dann geringer ausfallen. Insgesamt steigen ab 2022 die Einnahmen aufgrund der sich aufhellenden Wirtschaftslage wieder ganz leicht.
Die Steuerschätzung im Mai hatte aufgrund der Coronakrise noch hohe Ausfälle bis 2024 vorhergesagt. Allein für den Bund lagen diese bei rund 30 bis 35 Milliarden Euro, für den Gesamtstaat bei 50 bis 60 Milliarden Euro.
Auch wenn es besser läuft als befürchtet, so macht sich die Wirtschaftskrise doch über Jahre vor allem beim Bund bemerkbar. „Selbst wenn die Krise dann überwunden ist, werden es keine gewöhnlichen Zeiten“, sagte Scholz. Erst im Jahr 2023 werden die Steuereinnahmen des Bundes wieder das Vorkrisen-Niveau aus 2019 erreichen.
Die Große Koalition kämpft nicht nur mit geringeren Einnahmen. So werden viele Ausgaben im Rahmen des Konjunkturprogramms den Etat erst in 2021 und den folgenden Jahren belasten. Gleichzeitig dürften die Zuschüsse an die Sozialkassen steigen.
Die gesetzlichen Krankenkassen werden nach einer internen Finanzprognose des Spitzenverbandes im nächsten Jahr ein Minus von 16,6 Milliarden Euro einfahren. Dieses Loch müsste mit Mitteln aus dem Bundeshaushalt gestopft werden. Auch die Bundesanstalt für Arbeit (BA) und die Pflegeversicherung dürften Zuschüsse benötigen.
Scholz plant deshalb auch im kommenden Jahr mit einem hohen Defizit. Nach einer Rekordneuverschuldung von 218 Milliarden Euro in diesem Jahr dürfte im Haushalt 2021 ein hoher zweistelliger Milliardenbetrag notwendig werden. Auch im kommenden Jahr werde man die Schuldenbremse nicht einhalten können, stellte Scholz in Aussicht.
„Wir müssen auch im nächsten Jahr eine hohe Neuverschuldung verkraften“, sagte der Chefhaushälter der Unionsfraktion, Eckhardt Rehberg (CDU). „Steuererhöhungen und Sparprogramme verbieten sich in dieser unsicheren wirtschaftlichen Lage.“
Scholz sagte, er hoffe, „dass wir ab 2022 zu etwas zurückkommen, was der Normalität ähnelt“. Er legt sich damit nicht fest, wann die Neuverschuldung wieder unter jene 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gedrückt werden kann, die die Schuldenbremse vorschreibt.
Uneinigkeit über schwarze Null
Viele Unionspolitiker fordern indes, die in der Verfassung verankerte Schuldenregel möglichst schnell wieder einzuhalten. „Die Ausnahme von der Schuldenbremse darf nicht zum Dauerzustand werden“, sagt Chefhaushälter Rehberg.
„Wir müssen für die Folgejahre Maß halten und auf immer neue Ausgabewünsche verzichten.“ Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus (CDU) geht sogar noch einen Schritt weiter, wenn er sagt: „Den Bundeshaushalt für das Jahr 2022 müssen wir wieder ohne signifikante Neuverschuldung hinbekommen.“
Andere Unionspolitiker wollen einen ausgeglichenen Bundesetat nicht als Ziel ausgeben. „Es ist ein Gebot der Ehrlichkeit zu sagen, dass die Zukunftsaufgaben der Anreize und Investitionen bedürfen“, sagte Norbert Röttgen, Kandidat für den CDU-Parteivorsitz. „Wir sollten die Spielräume nutzen, die uns die Schuldenbremse in der Verfassung bietet.“
Für CDU und CSU war die schwarze Null lange Zeit ein Wahlkampfschlager. Der Abschied vom ausgeglichenen Etat fiel der Union schwerer als den Sozialdemokraten, die ohnehin damit fremdelten. In der Opposition wird das koalitionäre Gerangel um das Geld aufmerksam registriert. Die Haushaltspolitik in der Zeit nach der Coronakrise dürfte ein Thema für den Bundestagswahlkampf im kommenden Jahr werden. „
Dass Herr Scholz die Notfalloption der Schuldenbremse auch 2021 ziehen will, ist rein politisch motiviert“, kritisiert FDP-Fraktionsvize Christian Dürr. Mit guter Haushaltspolitik sei dieser Schritt nicht nötig. „Es ist ein Armutszeugnis, dass die Union stillschweigend dabei zusieht.“
Die prognostizierten Steuermindereinnahmen seien bitter, aber keine Überraschung. „Die Große Koalition muss ihre Ausgabenpolitik in den Griff bekommen und im kommenden Jahr auf teure Lieblingsprojekte wie die Grundrente verzichten“, forderte der FDP-Finanzpolitiker.
500 Milliarden Euro für Investitionen
Die Grünen warnen hingegen vor zu viel Sparanstrengungen. „Wichtig ist, dass die Bundesregierung jetzt deutlich macht, dass auf die kreditfinanzierten Rettungsprogramme im nächsten Jahr keine harten Sparprogramme folgen“, forderte der haushaltspolitische Sprecher der Grünen, Sven-Christian Kindler.
„Ein ideologisches Klammern an der schwarzen Null ist angesichts der dramatischen Pandemie, aber auch angesichts des enormen Investitionsbedarfs nach Corona fehl am Platze.“
Die Grünen wollen in den nächsten zehn Jahren 500 Milliarden Euro für Investitionen bereitstellen. „Wir brauchen ein Jahrzehnt der Zukunftsinvestitionen und kein neues Kaputtsparen nach der akuten Coronakrise“, sagte Kindler.
Scholz wird schon bald Klarheit schaffen über die künftige Haushaltspolitik. Am 23. September will er einen Entwurf für den Bundeshaushalt 2021 und die Finanzplanung bis 2024 ins Kabinett bringen. Eine schwarze Null dürfte sich in dem Papier wohl eher nicht finden.
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