Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan hat mit seinem Strafantrag wegen Beleidigung nun einen weiteren Rechtsweg gegen den ZDF-Satiriker Jan Böhmermann beschritten. Zuvor forderte Erdogan die Bundesregierung offiziell auf, die Strafverfolgung Böhmermanns wegen Beleidigung von Staatsoberhäuptern zu erlauben. Dies ermöglicht Paragraf 103 des Strafgesetzbuchs.
Auf den Beleidigungsparagrafen 185 kann sich jeder berufen, der sich durch herabsetzende Äußerungen in seiner Ehre verletzt fühlt. Die Staatsanwaltschaft muss solch einen Strafantrag auf jeden Fall prüfen. Demgegenüber hängt Erdogans erster Antrag wegen Beleidigung eines Staatsoberhaupts davon ab, ob die Bundesregierung ihn zulässt oder nicht. Die im Paragraf 103 geregelte Beleidigung eines Staatsoberhaupts darf laut Gesetz erst verfolgt werden, wenn die Bundesregierung die Ermächtigung dazu erteilt.
Paragraf 103 wird auch „Schah-Paragraf“ genannt, weil sich der damalige persische Schah Reza Pahlevi mehrfach auf ihn berief und 1964 eine Geldstrafe gegen Mitarbeiter des „Kölner Stadt-Anzeigers“ wegen einer karikierenden Fotomontage durchsetzte. 1977 wurde dann ein gegen die chilenische Diktatur gerichtetes Transparent wegen der Aufschrift „Mörderbande“ für rechtswidrig erklärt.
Dagegen billigte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof die Darstellung von Papst Benedikt XVI. als Schwulenfeind bei der Christopher-Street-Day-Parade 2006 in München. Dort trug eine geschminkte Papstfigur Aidsschleifen an der Soutane und hatte ein Kondom über einen Finger gestreift. Die Polizei verbot das Zeigen dieser Puppe unter Berufung auf den Paragrafen 103, weil der Papst Oberhaupt des Vatikanstaats ist. Zu Unrecht, wie das Gericht 2010 unter Verweis auf die Satire- und Meinungsfreiheit entschied.
Auf dem Prüfstand steht die Grenze zwischen Kunst und Schmähkritik. Böhmermann unterstellte in seinem Gedicht Erdogan unter anderem Sex mit Ziegen. Sein Gedicht bezeichnete er in dem Beitrag, der die Grenzen der Satire thematisiert, selbst mehrfach als unzulässige Schmähkritik - womöglich, um im Rahmen der Satire diese Grenze aufzuzeigen.
Nach den Maßstäben des Bundesverfassungsgerichts geht es bei der Unterscheidung von Kunst oder Nichtkunst nicht um die Frage, wie niveauvoll ein Beitrag ist. Kunst liegt demnach bereits vor, wenn ein Werk oder eine Darbietung „eine eigenständige Originalität und Form“ hat.
Weil Satire mit „Übertreibungen“ arbeitet, muss sie laut einem Urteil von 1997 zunächst ihres „in Wort und Bild gewählten satirischen Gewandes“ entkleidet werden, um ihren eigentlichen Inhalt zu ermitteln. Erst der so herausgearbeitete Kern der Aussage könne dann darauf überprüft werden, ob sie eine Ausdruck der „Missachtung“ gegenüber der betroffenen Person enthält.
Eine Schmähkritik ist eine Äußerung, mit der ein Mensch verächtlich gemacht werden soll. Eine herabsetzende Meinungsäußerung wird laut Karlsruhe erst dann zur Schmähung, „wenn in ihr nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht“.
In solch einem Fall wird die Menschenwürde zur absoluten Grenze: „Karrikaturen, die in den geschützten Kern menschlicher Ehre eingreifen, sind durch die Freiheit künstlerischer Betätigung nicht gedeckt“, entschied Karlsruhe 1987. Der Anlass: In der Zeitschrift „konkret“ war der frühere CSU-Vorsitzende Franz Josef Strauß als ein „sich sexuell betätigendes Schwein“ dargestellt worden.