Streit in der Koalition Union zweifelt an Finanzierbarkeit der Grundrente – und bremst das Vorhaben

Der Arbeitsminister muss um sein Prestigeprojekt fürchten: die Grundrente.
Berlin Das Grundrenten-Gesetz von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) sollte ursprünglich diese Woche in den Bundestag eingebracht werden. Doch stattdessen könnte das Gesetz am Mittwoch erneut im Koalitionsausschuss auf die Tagesordnung kommen. Denn die Kritiker in der Unionsfraktion geben nicht auf, der Start des parlamentarischen Verfahrens steht auf der Kippe.
Die fiskalischen Herausforderungen durch die Corona-Pandemie nähren die Zweifel bei CDU und CSU, dass sich das Projekt finanzieren lässt. Außerdem kritisieren Unionspolitiker eine geringe Zielgenauigkeit der neuen Sozialleistung und den hohen Verwaltungsaufwand. Den prangerte auch die Deutsche Rentenversicherung an, die Länder forderten Ende März in der Stellungnahme des Bundesrates zu dem Gesetzentwurf ebenfalls Korrekturen.
Dem Vernehmen nach bremst Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus (CDU) derzeit den Beginn der Beratungen im Bundestag aus. Für Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ist das ein Problem, da sie sich schon vor dem Kabinettsbeschluss im Februar voll hinter den umstrittenen Grundrenten-Kompromiss mit der SPD gestellt hatte. Ende vergangener Woche beriet Merkel nach Informationen des Handelsblattes mit Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) über den erneuten Widerstand in ihrem Lager.
Die Sozialdemokraten sind verstimmt. Heil sagte am Wochenende in den ARD-Tagesthemen: „Die Grundrente muss kommen. Das ist eine gemeinsame Auffassung der Bundesregierung.“ Die finanziellen Dimensionen in der Coronakrise seien zwar riesig, „aber die Grundrente ist finanzierbar, und das haben wir miteinander in der Koalition auch besprochen“.
Mit der Grundrente sollen die Altersbezüge von langjährigen Geringverdienern aufgebessert werden. Das Projekt steht im Koalitionsvertrag, die konkrete Ausgestaltung führte im vergangenen Jahr aber zu einem heftigen Streit zwischen Union und SPD. Am Ende setzten sich die Sozialdemokraten weitgehend durch: Ihre Variante stellt mehr Rentner besser, ist aber teurer und mit einigen Problemen bei der Umsetzung behaftet.
Streit über Bedürftigkeitsprüfung
Von der Leistung würden zudem gerade die Menschen profitieren, die in der Krise als Alltagshelden bezeichnet würden, so Heil. „Es geht um Kassiererinnen, es geht um Lagerarbeiter, es geht um Altenpflegehelferinnen, die trotz eines Lebens voll Arbeit am Ende bisher nicht mehr haben als die Grundsicherung.“
Ab 2021 sollen die Rentenansprüche von rund 1,3 Millionen Menschen automatisch hochgestuft werden. Langjährige Geringverdiener, die mindestens 33 Jahre an Beitragszeiten für Beschäftigung, Erziehung oder Pflege vorweisen können, sollen die Grundrente erhalten können. Im Startjahr soll sie 1,4 Milliarden Euro kosten, finanziert aus Steuergeld.
Für Alleinstehende und Paare wurden Einkommensgrenzen festgelegt, bis wann die Grundrente gezahlt wird. Ob die Grenzen überschritten werden, soll die Rentenversicherung mit einer Einkommensprüfung feststellen. Die Union hatte dagegen eine umfassendere Bedürftigkeitsprüfung gefordert, bei der die kompletten Vermögensverhältnisse durchleuchtet werden.
Außerdem schwebte CDU/CSU ursprünglich ein Modell vor, bei dem Sozialhilfeempfänger im Alter einen Teil ihrer Rentenansprüche zusätzlich ausgezahlt bekommen sollten. Heil pochte dagegen auf eine Grundrente, „die den Namen auch verdient“ - und siedelte die Leistung nicht in der Sozialhilfe, sondern bei der Rentenversicherung an.
Knapper Zeitplan
Die Rentenversicherung allerdings fürchtet überbordende Bürokratie. Die Fachbehörde beschwerte sich noch vor dem Kabinettsbeschluss, dass die Verwaltungskosten im Einführungsjahr „voraussichtlich mehrere hundert Millionen Euro und damit mehr als 25 Prozent der Leistungsausgaben für die Grundrente betragen“ würden. Außerdem würden Tausende neue Mitarbeiter benötigt.
Für unrealistisch hält die Rentenversicherung auch den Auftrag, binnen weniger Monate einen Datenaustausch mit den Finanzämtern für die Einkommensprüfung von Grundrenten-Empfängern aufzubauen. Die Behörde äußerte zudem Bedenken, dass unverheiratete Paare mit gemeinsamer Haushaltsführung bei der Grundrente einen verfassungswidrigen Vorteil haben könnten. Anders als bei Ehepartnern sei eine gemeinsame Einkommensprüfung in diesen Fällen selbst mithilfe der Finanzämter nicht möglich.
Sollte sich das Verfahren im Bundestag nun verzögern, gerät der ohnehin schon knappe Zeitplan für das Gesetz ins Wanken. Heil räumte bereits ein: „Es kann sein, wenn wir das technisch zum 1. Januar nicht hinbekommen sollten, dass man ein paar Monate später rückwirkend zum 1. Januar auszahlt“. Die Umsetzung werde „nicht ganz einfach“, da die Rentenversicherung wegen der Coronakrise personell und finanziell Lasten zu tragen habe. Aus diesem Grund müsse man hinsichtlich der technischen Umsetzung mit „einem Plan B“ rechnen.
Auch in einem Schreiben an den Bundesrat erklärte der Sozialminister, dass eine „gestaffelte Umsetzung mit rückwirkender Zahlung der Grundrentenzuschläge für Bestandsrentner grundsätzlich in Betracht zu ziehen“ sei. Zumindest bei neuen Rentnern solle aber wie geplant ab dem 1. Januar 2021 ein Anspruch auf Grundrente geprüft und beschieden werden.
Mehr: Wer die Grundrente bekommen soll, wie sie berechnet wird und was sie kostet.
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