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Streit über Geldpolitik Karlsruher Urteil zu EZB-Anleihekäufen: Bundesregierung hält EU-Vorwürfe für unbegründet

Das Verfassungsgericht hat die EZB-Geldpolitik infrage gestellt. Deutschland droht deshalb eine Klage der EU. In einem Schreiben setzt sich Berlin nun zu Wehr.
10.08.2021 - 11:12 Uhr Kommentieren
Das Bundesverfassungsgericht warf der Notenbank in seinem Urteil im Mai 2020 vor, die Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit ihrer umstrittenen Anleihekäufe nicht ausreichend begründet zu haben. Quelle: dpa
Europäische Zentralbank in Frankfurt

Das Bundesverfassungsgericht warf der Notenbank in seinem Urteil im Mai 2020 vor, die Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit ihrer umstrittenen Anleihekäufe nicht ausreichend begründet zu haben.

(Foto: dpa)

Berlin Es ist eine politisch äußerst heikle Angelegenheit. Anfang Juni hat die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet, und zwar wegen eines Urteils des unabhängigen Bundesverfassungsgerichts.

Aus Sicht der Brüsseler Behörde haben die Karlsruher Richter bei ihrem kritischen Urteil zu den Anleihekäufen der Europäischen Zentralbank (EZB) aus dem Vorjahr den Vorrang von EU-Recht infrage gestellt.

Da mit dem Bundesverfassungsgericht, der EU-Kommission, dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) und der EZB selbstbewusste und unabhängige Institutionen an dem Konflikt beteiligt sind, ist es für die Bundesregierung knifflig, Position zu beziehen. Doch wenn eine Klage vor dem EuGH droht, ist Berlin verpflichtet, eine Antwort nach Brüssel zu schicken. So sehen es die Formalia vor.

In der vergangenen Woche hat die Bundesregierung dies nun getan. Der Brief liegt dem Handelsblatt vor. Die vier Seiten sind entsprechend der heiklen Lage äußerst diplomatisch formuliert. Die Bundesregierung weist den Vorwurf der Vertragsverletzung nicht direkt zurück – macht aber deutlich, dass sie ihn für unbegründet hält.

Berlin betont die grundsätzliche Europafreundlichkeit der deutschen Verfassung. „Ebenso wie die Europäischen Verträge verpflichtet daher vor diesem Hintergrund das Grundgesetz alle deutschen Verfassungsorgane, ihre jeweiligen Kompetenzen europarechtsfreundlich und im Einklang mit den Unionsverträgen auszuüben“, heißt es in der Antwort. Als Beleg verweist die Bundesregierung auf frühere Urteile des Bundesverfassungsgerichts, welche den Vorrang des EU-Rechts bestätigt haben.

Machtkampf der Gerichte

Weiter betont die Bundesregierung: Deutschland erkenne den Anwendungsvorrang des Unionsrechts vor dem Recht der Mitgliedstaaten genauso an wie die dem EuGH übertragenen Rechtsprechungskompetenzen, „insbesondere die Kompetenz, im Einklang mit den Verträgen das Unionsrecht verbindlich und abschließend auszulegen sowie über seine Gültigkeit zu urteilen“.

Auf den konkreten Fall, das Anleihekaufprogramm PSPP der EZB, geht die Bundesregierung in ihrer Antwort hingegen nicht direkt ein. Das Bundesverfassungsgericht hatte der EZB in seinem Urteil im Mai 2020 vorgeworfen, die Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit ihrer umstrittenen Anleihekäufe nicht ausreichend begründet zu haben. Schon dies allein führte zu Irritationen.

Das Brisante war vor allem: Der Europäische Gerichtshof hatte zuvor entschieden, die Anleihekäufe seien rechtens. Karlsruhe entschied dagegen, dieses Urteil sei „ultra vires“ gewesen, die Angelegenheit habe also außerhalb der Kompetenz des EuGH gelegen.

Die praktischen Konsequenzen waren zwar gering, denn Karlsruhe hatte eine Hintertür in das Urteil eingebaut: Die Anleihekäufe gehen in Ordnung, wenn Bundesregierung und Bundestag zu dem Schluss kommen, dass die EZB die Notwendigkeit ausreichend geprüft habe. Genau das sahen Bundesregierung und Bundestag nach Konsultation von EZB und Bundesbank als erfüllt an.

Deutschland weist Vergleich mit Polen und Ungarn zurück

Trotzdem sorgte das Karlsruher Urteil für Aufsehen. Aus Brüsseler Sicht hat das Bundesverfassungsgericht damit die Geltung von EU-Recht und Entscheidungen des EU-Gerichtshofs infrage gestellt.

Dies hält man in der Kommission auch deshalb für gefährlich, weil man sich mit Polen und Ungarn in Konflikten zur Rechtsstaatlichkeit befindet. Die beiden Länder verwahren sich gegen Einmischungen der EU und kommentierten das deutsche Urteil freudig.

Die Bundesregierung versucht in ihrem Schreiben, deutlich zu machen, dass sie die Fälle als komplett unterschiedlich ansieht. Schließlich werde deutlich, dass das Bundesverfassungsgericht in Deutschland unabhängig ist. Im Falle Polens geht es hingegen um Einflussnahme der Regierung auf die Justiz.

Die Bundesregierung könne also gar nichts machen, selbst wenn ihr das Urteil des Verfassungsgerichts zu den Anleihekäufen nicht gefallen sollte. Deutschland bekenne sich ausdrücklich zu den im EU-Vertrag „verankerten gemeinsamen Werten – einschließlich der Rechtsstaatlichkeit mit der Unabhängigkeit der Justiz“, heißt es in dem Schreiben. „Diese Werte dürfen nicht infrage gestellt werden.“

Bundesregierung gibt „Versicherung“ ab

Zudem gibt die Bundesregierung in dem Papier eine „Versicherung“ ab. Sie werde „entsprechend ihrer vertraglichen Verpflichtung zur loyalen Zusammenarbeit alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel nutzen, um die vollständige Beachtung der Grundsätze der Autonomie, des Anwendungsvorrangs sowie der Wirksamkeit und der einheitlichen Anwendung des Unionsrechts sicherzustellen, um die dem Gerichtshof durch die Verträge übertragenen Rechtsprechungskompetenzen (…) zu gewährleisten“.

Und zur weiteren Demonstration guten Willens macht die Bundesregierung dann noch einen Vorschlag, wie das immer mal wieder angespannte Verhältnis zwischen EuGH und nationalen Gerichten verbessert werden könnte.

Bundesregierung regt Justiz-Dialog an

Deutschland rege „die Einrichtung eines strukturierten gerichtlichen Dialogs zwischen dem Europäischen Gerichtshof und den Höchst- und Verfassungsgerichten der Mitgliedstaaten“ an, „um den Austausch und ein gemeinsames Verständnis innerhalb des Europäischen Gerichtsverbundes zu fördern und zu stärken“. Neben der Intensivierung bisheriger informeller Begegnungen könnte dazu eine „Plattform europäischer Richterinnen und Richter“ geschaffen werden.

„Ein solches Forum könnte als Konsultationsgremium dazu beitragen, ein konstruktives Miteinander im europäischen Gerichtsverbund im gemeinsamen Interesse der Wahrung des Rechts zu gewährleisten“, heißt es in dem Schreiben.

Die Bundesregierung ist in dem Brief also erkennbar bemüht, den Konflikt zu entschärfen. Die EU-Kommission muss jetzt prüfen, ob mit den deutschen Erklärungen ihre Bedenken ausgeräumt wurden. Wenn nicht, bliebe letztlich eine Klage gegen Deutschland vor dem EuGH.

Opposition wundert sich über unterschwellige Kritik am Verfassungsgericht

FDP-Chefhaushälter Otto Fricke wundert sich über das Schreiben. „Der gesamte Vorgang scheint der Bundesregierung in Anbetracht der Anforderungen der Gewaltenteilung schon beinahe etwas peinlich“, sagt er.

Das fange an mit dem Zitieren alter Urteile des Bundesverfassungsgerichts, „die sie wohl für besonders EU-freundlich hält“. Und ginge weiter mit dem Hervorheben der Europafreundlichkeit des Grundgesetzes, worum es in dem konkreten Fall aber gar nicht gehe.

„Die Bundesregierung duckt sich notgedrungen weg, formuliert es aber diplomatisch“, meint Fricke. Er hätte sich „wenigstens etwas Engagement zur Verteidigung der verfassungsmäßigen Ordnung des Grundgesetzes“ gewünscht, welche Karlsruhe im EZB-Urteil als verletzt angesehen hat. „Die letztlich unterschwellig formulierte Kritik am Bundesverfassungsgericht“, so der FDP-Politiker, „ist jedenfalls unangebracht und missachtet zumindest teilweise die Rollen im Rahmen der Gewaltenteilung“.

Mehr: Rechtsstreit über EZB-Anleihekäufe bringt Bundesbank in schwierige Lage.

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