Studium Corona treibt Nachfrage nach Studienkrediten in die Höhe – Bafög-Mittel werden nicht ausgeschöpft

Auch wenn die Hörsäle weitestgehend leer bleiben, geht das Studium für die Studierenden weiter.
Berlin Die Nachfrage nach dem Studienkredit der staatseigenen KfW-Bankengruppe ist im Corona-Jahr 2020 stark angestiegen. Die Zahl der Anträge stieg von 20.300 im Jahr 2019 um satte 140 Prozent auf 48.560 im vergangenen Jahr. Das zeigt die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Grünen-Fraktion, die dem Handelsblatt vorliegt. In den ersten drei Monaten dieses Jahres gab es bereits 8337 Anträge.
Der KfW-Kredit ist mit einem Marktanteil von rund 80 Prozent absoluter Marktführer – obwohl er mit einer Verzinsung von zuletzt effektiv 4,36 Prozent zugleich das teuerste Angebot darstellt. Weil viele Studierende in der Pandemie ihre Jobs, etwa in der Gastronomie, verloren haben und wegen Wirtschaftskrise und grassierender Kurzarbeit weniger von ihren Eltern unterstützt werden konnten, nutzte die Bundesregierung ihn im Frühjahr 2020 als Teil einer „Überbrückungshilfe“ für Studierende: Zwischen dem 1. Mai 2020 und dem 31. Dezember 2021 übernimmt der Staat die Zinslast.
Das entspricht jedoch unterm Strich nur einem sehr kleinen Betrag von weniger als 200 Euro, wie die Regierung selbst vorrechnet: Hat jemand während der Pandemie ein Jahr lang den maximalen Kreditbetrag von 650 Euro monatlich erhalten, ergibt sich eine Kapitalschuld von 7800 Euro und über einen Rückzahlungszeitraum von 20 Jahren eine Zinslast von 4663,95 Euro. „Davon werden während der Auszahlungsphase 180,41 Euro vom Bundesministerium für Bildung und Forschung getragen. 4483,54 Euro sind durch den Studierenden selbst zu tragen“, schreibt das Bildungsministerium.
Parallel dazu sind nach Regierungsangaben beim Bafög – dem noch immer mit Abstand größten Fördertopf für die Studienfinanzierung – in den letzten Jahren gegenüber den Planzahlen regelmäßig dreistellige Millionenbeträge übrig geblieben. 2017 bis 2019 waren es insgesamt 1,34 Milliarden Euro.
Das erklärt die Regierung mit der guten Konjunktur: Wegen der steigenden Elterneinkommen hätten zunehmend weniger Studierende ein Anrecht auf Bafög. Doch auch für das Krisenjahr 2020 ergab sich ein Restbetrag von 360 Millionen Euro.
Regierung spart beim Bafög mehr als eine Milliarde Euro
„Die unterlassene Hilfeleistung von Bundesbildungsministerin Karliczek kommt die Studierenden immer teurer zu stehen“, kritisiert der Hochschulexperte der Grünen, Kai Gehring. „Zuerst gibt sie über eine Milliarde Euro an Finanzminister Scholz zurück, die als Bafög-Unterstützung für bedürftige Studierende eingeplant waren. Nun deklariert sie teure KfW-Studienkredite mit immensen Verschuldungsrisiken als Corona-Unterstützung.“
Aufgabe einer Bildungsministerin sei aber „nicht, für die KfW florierende Geschäfte anzubahnen, sondern unverschuldet in Not geratenen Studierenden zu helfen, ohne sie in die Schuldenfalle zu locken“.
Damit niemand das Studium wegen der Pandemie abbrechen muss, fordern die Grünen erneut, das Bafög für alle Studierenden in finanzieller Not zu öffnen. Das hatten 2020 auch die SPD und die Wissenschaftsminister der Länder gefordert. Der Anteil der Bafög-Empfänger an den Studierenden geht seit Jahren zurück und lag zuletzt bei 18 Prozent. Diese erhielten durchschnittlich 435 Euro im Monat.
Der Chef-Analyst des Centrums für Hochschulentwicklung CHE, Ulrich Müller, sieht die aktuelle Finanzierungskrise vieler Studierender als „unmittelbare Folge mangelnder Flexibilität der staatlichen Studienförderung: Die ist eben nicht so variabel angelegt, dass sie individuell leicht an veränderte Rahmenbedingungen angepasst werden kann“.
Nur 18 Prozent der Studierenden erhalten Bafög
Das eigentliche Problem sei das Bafög, meint auch Müller. „Es stellt eigentlich das Herz der Studienfinanzierung dar, schlägt aber nicht mehr stabil, hat Aussetzer, wird schwächer.“ Karliczek müsste eigentlich hochgradig besorgt sein über die niedrigen Förderquoten.
„Eine Herz-OP wäre nötig, und die zuständige Ministerin verteilt Placebos mit der wenig entscheidenden Zinsfreiheit in der Auszahlungsphase des KfW-Studienkredits und mit der bürokratischen Überbrückungshilfe.“
Diese Überbrückungshilfe von bis zu 500 Euro pro Monat wurde nach Angaben der Studentenwerke seit Juni 2020 rund 460.000-mal beantragt und 300.000-mal zugesagt. Ausgezahlt wurden insgesamt rund 135 Millionen Euro. Sie gilt allerdings als sehr bürokratisch, muss monatlich neu beantragt werden. Zudem müssen Studierende per Kontoauszug nachweisen, dass eine Pandemie-bedingte Notlage besteht.
Vor der kurzzeitigen Zinsbefreiung beim Studienkredit hatte CHE-Analyst Müller schon Mitte 2020 gewarnt: Der Null-Prozent-Zins erscheine „auf den ersten Blick großzügig, aber bei näherem Hinsehen ähnelt das eher einem Lockvogelangebot“, sagte er damals. Denn nach der Pandemie gelte dann wieder der übliche, teure Zinssatz.
Viele ausländische Studenten nutzen den KfW-Kredit
Genutzt haben den KfW-Kredit in der Krise überproportional viele ausländische Studierende. Von Mai 2020 bis März 2021 erhielten sie gut 19.000 aller Kredite. Der Staat fördert auch Ausländer, weil das Studium als die ideale Möglichkeit gilt, Fachkräfte nach Deutschland zu holen.
Weil aber in der Pandemie weniger ausländische Studenten nach Deutschland kamen, hatte unlängst das Institut der deutschen Wirtschaft gewarnt, dass damit, zeitversetzt, „der Fachkräfteengpass durch die Pandemie noch größer zu werden droht“. Nach den Angaben der Statistiker haben 2020 nur noch 99.000 Ausländer ein Studium in Deutschland begonnen – ein Fünftel weniger als 2019.
Der 2006 eingeführte KfW-Studienkredit, den man unabhängig vom Einkommen der Eltern und sonstigen Sicherheiten beantragen kann, wird nach Regierungsangaben überdurchschnittlich oft von „nicht-traditionellen“ Studierenden in Anspruch genommen, also etwa älteren, mit Kind, vorangegangener Berufsausbildung oder aus nicht-akademischen Elternhäusern.
Ihnen gelinge anschließend der Arbeitsmarkteinstieg besonders gut: Sie hätten eine überdurchschnittliche Erwerbstätigkeitsquote und erzielten höhere Einkommen als der Durchschnitt der Absolventen. Seit Start des KfW-Studienkredits wurden 377.489 Studierende gefördert. Aktuell befinden sich 139.634 in der Rückzahlungsphase.
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