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Medizinische Schutzgüter werden dringend benötigt, um die Verbreitung des Coronavirus’ einzudämmen.

(Foto: imago images/MiS)

Stunde der Industriepolitik Wirtschaftsministerium soll Herstellung von Medizingütern koordinieren

Schutzkleidung und Beatmungsgeräte – Auf Druck der Kanzlerin soll das Haus von Peter Altmaier die Produktion solcher Güter koordinieren. Der BDI mahnt zur Eile.
07.04.2020 - 19:29 Uhr Kommentieren

Brüssel, Berlin, Düsseldorf Immer wieder kam die Frage in den vergangenen Wochen auf – und immer wieder wich Wirtschaftsminister Peter Altmaier ihr aus.

Warum schaltet sich die Bundesregierung nicht mit Unternehmen zusammen, die ihre Fabriken nutzen wollen, um Schutzkleidung, Beatmungsgeräte und andere dringend benötigte medizinische Güter herzustellen? Warum mobilisiert die Bundesregierung nicht die Produktionskraft der deutschen Industrie, um die Engpässe im Gesundheitswesen zu mindern?

Von Abgeordneten des Wirtschaftsausschusses bedrängt, verwies Altmaier auf die Zuständigkeit des Bundesgesundheitsministeriums. Ausgerechnet der CDU-Politiker, der sich seit seinem Amtsantritt als Industriestratege inszeniert, wollte lange keine coronaspezifische Industriepolitik machen.

Wirtschaftsstaatssekretär Thomas Bareiß (CDU) plädierte noch vor einer Woche im Handelsblatt für einen dezentralen, marktgesteuerten Ansatz. Er baue auf „Subsidiarität und unsere föderale Struktur“, sagte der Altmaier-Vertraute. Lokal kämen Angebot und Nachfrage besser zusammen, „als wenn es zentral von Berlin aus gesteuert würde“.

Jetzt ändert das Ministerium seinen Kurs: An diesem Mittwoch soll es im Bundeskabinett eine gemeinsam mit dem Gesundheitsministerium verfasste Beschlussvorlage präsentieren. Wichtigstes Element ist die Schaffung einer Stabsstelle, die die Produktion des Pandemiebedarfs koordinieren soll.

In Koalitionskreisen ist zu hören, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) Druck auf das Wirtschaftsministerium ausgeübt haben soll. Merkel strebt nach eigenen Worten eine „Säule der Eigenproduktion“ in Deutschland und Europa an. Dafür sei es höchste Zeit, findet der Koalitionspartner.

„Ich sehe eine hohe Bereitschaft bei vielen Unternehmen, sich umzustellen“, sagte Ute Vogt, innenpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, dem Handelsblatt. „Aber es braucht eine rasche und gut funktionierende Vermittlung – da sehe ich den Wirtschaftsminister in der Pflicht.“

BDI fordert schnelle politische Lenkung

Tatsächlich zeigt die Wirtschaft Eigeninitiative. Etliche Firmen sind schon in die Pandemieproduktion eingestiegen. Volkswagen stellt mit 3D-Druckern Bauteile für medizinische Geräte her. Mast-Jägermeister lässt statt Kräuterlikör Alkohol zur Desinfektion brennen. Textilfirmen wie Trigema fertigen Schutzmasken.

Doch um den gewaltigen Bedarf an Corona-Schutzgütern zu decken, reicht das allein nicht. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) fordert daher die Bundesregierung auf, schnell mit der politischen Lenkung zu beginnen.

„Die wichtige Hilfe der Industrie darf keinesfalls im unstrukturierten Aktionismus verpuffen“, sagte Iris Plöger, Mitglied der BDI-Hauptgeschäftsführung, dem Handelsblatt. In der Beschaffung von Corona-Schutzgütern und -Medikamenten könne die Industrie nur helfen, sofern Bedarf, genaue Anforderungen an die Produkte und Rechtssicherheit für eine schnelle Marktzulassung klar seien. „Das muss auf Bundesebene zentral koordiniert werden“, forderte Plöger.

Trigema-Chef Grupp: „Ich nutze die Situation nicht, um reich zu werden“

In einer Stellungnahme zur Coronakrise, die dem Handelsblatt vorliegt, fordert der BDI staatliche Investitionen in den „Aufbau einer Testinfrastruktur“ und Zahlungen an Unternehmen, damit die „Investitionskosten zum Wohle der Allgemeinheit aufgefangen“ werden können.

Um „durch Pandemien hervorgerufene Kapazitätsengpässe zu vermeiden“, sei staatliches Handeln erforderlich, da es sich kein Unternehmen im freien Wettbewerb leisten könne, „für den Fall einmaliger Überproduktion die notwendige Struktur vorzuhalten“.

Regierung will „Säule der Eigenfertigung“ aufbauen

Das BDI-Papier liest sich wie eine Blaupause für die neue Stabsstelle, die im Bundeswirtschaftsministerium angesiedelt werden soll. Dem Gesundheitsministerium wird Altmaier dabei nicht in die Quere kommen: Während Spahn dafür zuständig ist, auf dem bestehenden Markt für Schutzgüter im In- und Ausland einzukaufen, soll das Wirtschaftsministerium die Schaffung zusätzlicher Produktionskapazitäten anstoßen, sprich: das Angebot vergrößern.

Ziel der Bundesregierung ist es, „neben der kurzfristigen Versorgung mit Schutzausrüstung auch mittel- und langfristig eine Säule der Eigenfertigung in Deutschland und Europa aufzubauen, um Abhängigkeiten in diesem sensiblen Bereich zu verringern“, erläutert das Wirtschaftsministerium.

Wenn in den kommenden Wochen erste Schritte zur Normalisierung des Alltags unternommen werden, wird sich die Nachfrage nach Schutzgütern weiter erhöhen. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sagte schon, dass er eine allgemeine Maskenpflicht erwarte.

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Die Politik müsse auch den Bedarf der Unternehmen berücksichtigen, „um schon jetzt für die Phase des Wiederanfahrens der Wirtschaft einen geordneten Betrieb sicherzustellen“, fordert der BDI. Viele Betriebe arbeiteten „unter Einhaltung höchster Hygienestandards und sind dringend auf persönliche Schutzausrüstung angewiesen“.

Engpässe fürchtet der BDI nicht nur bei Atemmasken und Schutzkitteln, sondern auch bei Rohstoffen und Reagenzien, die für die Herstellung medizinischer Güter und Arzneien erforderlich seien. Dies gelte vor allem für die Virustests, die nach den Plänen der Bundesregierung stark ausgeweitet werden sollen.

„Während Geräte und Testverfahren größtenteils bereitstehen, stellen die notwendigen Reagenzien und Hilfsstoffe, die für die Testung notwendig sind, ein Problem dar“, warnt der BDI.

Um den „massiven Mangel an Atemschutzmasken“ zu beheben, schlägt der BDI „die Vereinfachung der Lizenzierung von Schutzgütern“ vor. Außerdem macht sich der Verband für „die Aufhebung der EU-Exportbeschränkungen auf Corona-Schutzgüter“ stark. Diese gefährdeten die Lieferung von Medikamenten und Medizinprodukten.

Ich kann nur feststellen: Sinnvoller können Fördermittel kaum eingesetzt werden. Thomas Jarzombek, Bundeswirtschaftsministerium

Das Wirtschaftsministerium schließt beides nicht aus, will zunächst aber andere industriepolitische Instrumente nutzen. Beispielsweise soll die Förderung der Entwicklung eines Corona-Impfstoffs aufgestockt werden.

Wie das Handelsblatt erfuhr, stellt das Wirtschaftsministerium weitere 1,3 Millionen Euro für ein Tübinger Gründerteam bereit, das einen besonders vielversprechenden Ansatz verfolgt. „Die Suche nach einem Impfstoff gegen die neuartigen Coronaviren ist ein Wettlauf gegen die Zeit“, sagte Altmaiers Start-up-Beauftragter Thomas Jarzombek. „Ich kann nur feststellen: Sinnvoller können Fördermittel kaum eingesetzt werden.“

Die Opposition kritisiert, der industriepolitische Sinneswandel komme zu spät: „Viele Wochen nach der Krise gründet die Bundesregierung einen Planungsstab. Das hätte viele früher geschehen können“, sagte Katharina Dröge, wirtschaftspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion. „So ist wertvolle Zeit verloren gegangen.“

EU-Kommission hat Sammelbestellungen aufgegeben

Der Wirtschaftrat der CDU richtet den Blick nach vorn: „Deutschland braucht eine offizielle Liste strategischer Bereiche, systemrelevanter Unternehmen und Produkte auf europäischer sowie Bundesebene, um für zukünftige Krisen und Pandemien die Lieferkettensicherheit für diese wichtigen Bereiche zu gewährleisten“, heißt es in einem Positionspapier des Wirtschaftsrats, das dem Handelsblatt vorliegt.

So viel ist klar: Die anderen europäischen Staaten kämpfen mit ähnlichen Problemen wie Deutschland. Es gebe „ein weltweites Gerangel“ um knappe Schutzausrüstung und andere medizinische Güter, sagte der für das Krisenmanagement verantwortliche EU-Kommissar Janez Lenarcic am Dienstag. „Das Virus hat sich schneller und weiter ausgebreitet, als irgendjemand erwartet hat.“ Der Mangel in Europa sei offensichtlich geworden, als Italien die anderen EU-Länder Anfang März vergeblich um Lieferungen gebeten habe.

Handelsblatt Morning Briefing - Corona Spezial

Die Brüsseler Behörde bemüht sich darum, die nationalen Aktivitäten zu koordinieren. Damit sich die EU-Staaten nicht gegenseitig auf dem Markt überbieten, hat die Kommission Sammelbestellungen bei den Herstellern aufgegeben.

Die ersten Verträge für die Lieferung von Schutzbrillen und Masken sind Lenarcic zufolge unterzeichnet. Zugleich versucht die Kommission mithilfe von Computermodellen, den jeweiligen Höhepunkt der Epidemie in den einzelnen Ländern vorherzusagen, um rechtzeitig die Lieferungen dort hinzuleiten.

Mehr: Herstellung von medizinischem Material: Unternehmen mobilisieren sich selbst. Lesen Sie hier mehr.

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