Tarifgespräche Tarifverhandlungen für den Einzelhandel: Erster Abschluss in Hessen – Arbeitgeber sehen sich erpresst

Die Gewerkschaft hat ihren Forderungen immer wieder mit Streiks Nachdruck verliehen.
Berlin In den seit Ende April laufenden Tarifverhandlungen für insgesamt rund 2,3 Millionen Beschäftigte des Einzel- und Versandhandels ist in Hessen ein erster Abschluss gelungen. Die Entgelte werden rückwirkend zum 1. August um 3,0 Prozent angehoben und steigen zum 1. April 2022 um weitere 1,7 Prozent. Der Tarifvertrag läuft bis Ende März 2022.
Bernhard Schiederig, der bei der Gewerkschaft Verdi den Fachbereich Handel in Hessen leitet, sagte: „Am Ende von zwei Nachtsitzungen konnte nach fast sechsmonatigen Tarifverhandlungen der Knoten durchschlagen und ein akzeptabler Tarifabschluss erreicht werden, der die angespannte soziale Lage der Beschäftigten in der Coronapandemie berücksichtigt.“
Der Handelsverband Deutschland (HDE) sprach dagegen davon, von der Gewerkschaft „erpresst“ worden zu sein: Der Kompromiss sei „insgesamt kein fairer und ausgewogener Tarifabschluss, der Teile der Branche finanziell äußerst schwer trifft und zudem unnötig Beschäftigung gefährdet“, teilte Hauptgeschäftsführer Stefan Genth mit.
Verdi war regional mit unterschiedlichen Forderungen in die Verhandlungen gegangen. Im Kern verlangte die Gewerkschaft aber eine Erhöhung der Löhne und Gehälter um 4,5 Prozent für ein Jahr plus 45 Euro pro Monat. Die unterste tarifliche Lohngruppe sollte 12,50 Euro nicht unterschreiten.
Die Tarifrunde stand unter schwierigen Vorzeichen. Die Beschäftigten des Lebensmitteleinzelhandels waren in der Coronakrise an vorderster Front tätig gewesen, während Mitarbeiter in anderen Handelszweigen reihenweise in Kurzarbeit geschickt worden waren. Lebensmittel- und Versandhändlern bescherte die Pandemie Rekordumsätze, während gerade der mittelständische stationäre Einzelhandel durch den Lockdown schwer getroffen wurde.

In „verantwortungsloser Art und Weise“ zu einem Tarifabschluss gezwungen.
Die Arbeitgeber hatten deshalb darauf gedrängt, im Tarifvertrag eine Differenzierung zwischen stark und weniger stark von der Krise betroffenen Unternehmen vorzunehmen – konnten sich damit aber nicht durchsetzen. So wurde etwa darüber verhandelt, eine Tariferhöhung in Firmen mit wirtschaftlichen Problemen später greifen zu lassen, den Beschäftigten dafür aber zusätzliche Urlaubstage zu gewähren.
Anhebung der Ausbildungsvergütungen
Nach vier Nullmonaten werden nun die Entgelte der Beschäftigten in Hessen, die weniger als 2704 Euro im Monat verdienen, um drei Prozent erhöht. Bei anderen Entgeltgruppen ist das Plus bei 81,12 Euro gedeckelt, sodass sich für Besserverdiener nur eine Prozentsteigerung um 1,8 Prozent ergibt. Ab April 2022 werden die Entgelte um weitere 1,7 Prozent angehoben.
Außerdem haben sich beide Seiten auf eine Anhebung der Ausbildungsvergütungen um 30 Euro pro Jahr verständigt. Für das erste Ausbildungsjahr bedeutet das, dass sie ab August von 900 auf 930 Euro und ab April nächsten Jahres auf 960 Euro steigen.
Da im Einzelhandel nur noch für rund 29 Prozent der Beschäftigten ein Tarifvertrag gilt, fordert Verdi zudem, dass der Tarifvertrag von der Politik für allgemeinverbindlich erklärt wird, sodass er auch für nicht-tarifgebundene Unternehmen wirksam wäre. Allerdings ist dafür ein gemeinsamer Antrag von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite bei den jeweils zuständigen Ministerien erforderlich, auf den sich der HDE nicht einlassen will.
Es sei völlig unverständlich, dass Verdi ständig die Allgemeinverbindlichkeit der Tarifverträge fordere, aber wenn es in der Krise darauf ankomme, nicht bereit sei, mit Differenzierungen die Verantwortung für die gesamte Branche zu übernehmen, kritisierte Genth.
HDE: Abschluss war alternativlos
Durch die starrsinnige Haltung der Gewerkschaft seien die Tarifverhandlungen so in die Länge gezogen worden, dass ein Abschluss letztlich alternativlos gewesen sei. Verdi hatte die Beschäftigten in den zurückliegenden Wochen immer wieder zu Arbeitskämpfen aufgerufen. Die Arbeitgeber seien „durch massive Streikaktivitäten in verantwortungsloser Art und Weise“ zu einem Abschluss gezwungen worden, der viele Nicht-Lebensmittelhändler überfordern werde, kritisierte Genth.
Orhan Akman, Verdi-Bundesfachgruppenleiter für den Einzelhandel, erwartet nun, dass der Entgeltkompromiss in den anderen Bundesländern übernommen wird, auch wenn es dort jeweils noch regionale Besonderheiten gibt. Der HDE habe monatelang eine Tariflösung mit längst fälligen Entgelterhöhungen für die Beschäftigten blockiert. „Während der gesamten Verhandlungen hat er sich an keiner Stelle innovativ und lösungsorientiert eingebracht. Nun kommt der gleiche Verband mit unhaltbaren Vorwürfen um die Ecke. Damit muss Schluss sein“, forderte Akman.
Anfang kommender Woche wird in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen verhandelt. Dem Tarifabschluss in Hessen müssen die zuständigen Gremien bis zum 4. Oktober noch zustimmen.
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Das übliche Gejammer, aber sehr schön breit dargestellt.