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Testgate Mutmaßlicher Abrechnungsbetrug mit Bürgertests – Spahn prüft strengere Kontrollen

Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Unternehmer, die bewusst zu viele Tests abgerechnet haben sollen. Der Bundesgesundheitsminister erwägt die Kontrollen zu verschärfen.
29.05.2021 Update: 29.05.2021 - 13:47 Uhr Kommentieren
Allein in Nordrhein-Westfalen gab es Mitte Mai bereits 8735 Teststellen. Quelle: dpa
Testzentrum

Allein in Nordrhein-Westfalen gab es Mitte Mai bereits 8735 Teststellen.

(Foto: dpa)

Düsseldorf Angesichts des Verdachts auf Abrechnungsbetrug bei Bürgertests will Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) schärfere Kontrollregeln prüfen. Er sehe, dass die allermeisten Anbieter „das mit großen Engagement, sehr professionell und auch sehr ordentlich machen“, sagte er am Samstag in Pretoria am Rande eines Südafrika-Besuchs. „Wir werden jetzt auch schauen, ob wir die Kontrollmechanismen noch mal verschärfen.“

Spahn sagte, die „Bürgertests“ seien pragmatisch in einer Situation möglich gemacht worden, in der ein schneller Aufbau gewollt gewesen sei. Dabei entschieden die Behörden am Ort über Betreiber von Teststellen wie Ärzte, Apotheker, Rotes Kreuz oder auch private Anbieter. Es sei ausdrücklich vorgesehen, dass die Gesundheitsbehörden entscheiden, wer die Bedingungen erfülle, das auch gut zu machen.

Spahn verwies zudem darauf, dass eine nachträgliche Kontrolle bereits vorgesehen sei. Anbieter müssten damit rechnen, dass Unterlagen bis Ende 2024 überprüft werden können. Ohnehin geplant gewesen sei, die Vergütung angesichts des größeren Angebots auf dem Markt demnächst zu senken. Der Bund übernimmt seit Anfang März die Kosten für mindestens einen Schnelltest pro Bürger und Woche.

Die Schwerpunktstaatsanwaltschaft Wirtschaftskriminalität in Bochum hatte Ermittlungen wegen des Verdachts des Abrechnungsbetrugs bei Corona-Bürgertests aufgenommen. Ermittelt werde gegen zwei Verantwortliche eines in Bochum ansässigen Unternehmens, das an mehreren Standorten Teststellen betreibe. Dabei handelt es sich nach übereinstimmenden Medienberichten um das Unternehmen Medican. Anlass der Ermittlungen waren demnach Recherchen von WDR, NDR und „Süddeutscher Zeitung“ (SZ). Wie die Staatsanwaltschaft bestätigte, wurden im Ruhrgebiet bereits Geschäftsräume und Privatwohnungen durchsucht. Dabei seien auch Unterlagen beschlagnahmt worden.

Der Immobilienunternehmer Oguzhan Can ist Inhaber der Medican GmbH. Auf Anfrage der Regionalzeitung „WAZ“ sagte er am Freitag: „Alles ist ok, wir haben nichts zu verbergen und werden uns auch in schriftlicher Form dazu äußern.“ Can erklärte, sein Unternehmen habe in keinem Fall mit überhöhten Zahlen gearbeitet. In der Summe sei über alle Standorte stets korrekt gemeldet worden. Es könne durchaus sein, dass die Zahlen einzelner Standorte von den insgesamt gemeldeten Zahlen abweichen.

Journalisten führten Stichproben durch

Allein in Nordrhein-Westfalen gab es Mitte Mai bereits 8735 Teststellen, wie das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales (MAGS) auf Anfrage des investigativen Rechercheteams mitgeteilt hat. Abrechnen können die Teststellen pro Test 18 Euro, aufgeteilt in zwölf Euro für die Testung und bis zu sechs Euro für das Material.

Medican betreibt insgesamt 54 Teststellen in 36 Städten Deutschlands mit einem Schwerpunkt in Nordrhein-Westfalen. Viele der Teststellen befinden sich demnach auf den Parkplätzen von Baumärkten. In Gievenbeck, einem Stadtteil von Münster haben die Journalisten selbst die Testungen gezählt. Am Freitag, dem 14. Mai zählten sie etwas mehr als 100 Personen an den beiden Testzelten. Ans Ministerium meldete das Bochumer Unternehmen für den Tag 422 Bürgertests.

Seit März sieht die Corona-Testverordnung der Bundesregierung die Bürgertests vor. Im April hatten die Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) erstmals die Kosten beim Bundesamt für Soziale Sicherung abgerechnet. In den Monaten April und Mai wurden insgesamt 660 Millionen Euro überwiesen – aus Steuergeldern.

Nach Recherchen von WDR, NDR und SZ lädt das System zum Abrechnungsbetrug ein, da eine Kontrolle fehle. Weitere Stichproben hätten etwa an einer einzigen Teststelle in Köln ergeben, dass statt 70 wirklich genommener Proben fast 1000 abgerechnet worden seien. Ähnliches hätten Stichproben unter anderem in Essen und in Münster zutage gefördert.

Zudem geben auch die Testergebnisse Hinweise darauf, dass es sich um Betrug handeln könnte. Am Standort Münster-Gievenbeck seien innerhalb einer Woche 3600 Bürgertests gemeldet worden, aber kein einziger positiver. In Köln-Marsdorf sollen unter 9200 Tests und in Essen bei Ikea unter 12.199 Tests alle negativ gewesen sein.

Das Kölner Gesundheitsamt befürchtet, dass es sich nur um die Spitze des Eisbergs handelt. Man habe die große Sorge, dass dies nicht der einzige Fall sei, „sondern dass noch weitere Fälle uns in Zukunft beschäftigen werden“, sagte Behördenleiter Johannes Nießen in der ARD.

Laut „Tagesschau“ befürchten Gesundheitsämter zudem, dass falsche Testmeldungen die Datenlage über den Pandemieverlauf verfälschen könnten. So seien von drei Test-Standorten, an denen WDR, NDR und SZ recherchiert hätten, innerhalb von einer Woche 2. 000 Tests gemeldet worden, darunter aber kein einziger positiver Fall.

Auf Nachfrage von WDR, NDR und SZ sagte Can, dass es „seit ca. Anfang Mai sehr sehr wenige positive Tests“ gebe. Die Journalisten sollen Zugang zu einem internen Dashboard des NRW-Ministeriums haben. Dabei sei etwa jeder 350. Bürgertest positiv gewesen. Am vergangenen Mittwoch – bei sinkender Inzidenz – sogar noch ca. jeder 700. Test.

SPD attackiert Gesundheitsminister Spahn

Angesichts des Verdachts hat die SPD nun auch Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) attackiert. Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Carsten Schneider, sagte der Deutschen Presse-Agentur am Samstag: „Nach den Masken jetzt die Schnelltests. Das Managementversagen im Gesundheitsministerium hat inakzeptable Ausmaße angenommen.“ Spahn habe Warnungen und Hinweise von Abgeordneten der Koalitionsfraktionen für die Testbedingungen ignoriert. „Er trägt die Verantwortung für den verantwortungsvollen Umgang mit dem Geld der Steuerzahler und muss die Selbstbedienung unverzüglich beenden.“

Unions-Fraktionsvize Thorsten Frei erklärte am Samstag: „Es ist ein gutes Signal, dass die Staatsanwaltschaft Bochum wegen des Betrugsverdachts an Corona-Teststellen Ermittlungen aufgenommen hat. Denn wenn solcher Abrechnungsbetrug tatsächlich vorläge, wären es am Ende die Steuerzahler, die geprellt würden. Es ist deshalb richtig, dass die Strafverfolgung hier genau hinsieht und konsequent verfolgt.“

Ein Sprecher des Bundesjustizministeriums sagte am Samstag auf Anfrage: „Es bedarf genauer Kontrollen der Abrechnungen durch Corona-Teststellen, wenn es Hinweise auf Unregelmäßigkeiten gibt. Bei Betrugsverdacht bedarf es konsequenter strafrechtlicher Ermittlungen.“ Gewerbsmäßiger Betrug könne nach dem Strafgesetzbuch mit bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe geahndet werden.

Die gesundheitspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Karin Maag, sagte der dpa: „Kriminelle Energie kann man wohl nirgends ausschließen. Allerdings sind bei mir bislang noch keine belastbaren Zahlen aufgetaucht.“ Da die Zentren die Unterlagen aufbewahren müssten, gehe sie davon aus, dass die Länder zumindest stichprobenartig die Anzahl der abgerechneten Fälle und die bei den Kassenärztlichen Vereinigungen eingegangenen Abrechnungsunterlagen überprüfen. „Sollten sich daraus Unregelmäßigkeiten ergeben, muss natürlich konkreten Fällen nachgegangen werden.“

Mit Agenturmaterial der dpa.

Mehr: Schnelltest-Produktion: Noch nicht ein Förderbescheid wurde erteilt

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