Verfassungsbeschwerde 800 Gewerbetreibende drängen auf finanzielle Entschädigungen

Kommt der Gesetzgeber den Klägern zuvor, hätte sich die Verfassungsbeschwerde erledigt.
Berlin Der Lockdown hat den Kinobetreiber Hans-Joachim Flebbe frontal erwischt. „Meine zehn Theater in Deutschland müssen mit einem monatlichen Verlust von 1,5 Millionen Euro klarkommen“, so der Unternehmer. Seit Beginn der Coronakrise sind so 7,5 Millionen Euro Minus zusammengekommen.
„Wir überleben nur, weil wir sehr profitabel waren und in guten Zeiten das Geld zusammengehalten haben“, so Flebbe. KfW-Kredite nehme er in Anspruch, aber die von der öffentlichen Hand gewährten direkten Zuschüsse würden bei ihm „nicht einmal die Stromkosten“ decken.
Für ein unverschuldet in Probleme geratenes Unternehmen sei das ein Witz, findet Flebbe. Und er ist bei weitem nicht der einzige, dessen Betriebe durch die Kontaktverbote und Abstandsregeln in Not geraten sind. Für viele Gastronomen, Discobetreiber und Hoteliers ist der zeitweise wirtschaftliche Stillstand existenzbedrohend. Daran ändern auch die staatlichen Hilfsprogramme nichts. Der Berliner Verwaltungsrechtler Siegfried de Witt spricht von den schwersten Grundrechtseingriffen seit Bestehen der Bundesrepublik.
Deshalb vertritt er mit seinem Anwaltskollegen Wolfgang Schirp eine Initiative von 800 Gewerbetreibenden, die nun Verfassungsbeschwerde eingelegt haben. Dazu gehört auch Kinobetreiber Flebbe. Zwar initiierte der Staat Hilfsprogramme, doch die wirtschaftliche Situation bleibt für viele Unternehmen bedrohlich.
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Als Vertreter der Initiative von mehr als 800 Gewerbetreibenden beantragte Schirp bei den 16 Bundesländern, eine angemessene Entschädigung dem Grunde nach anzuerkennen. „Die Anträge wurden von allen Bundesländern übereinstimmend abgelehnt, weil weder das Infektionsschutzgesetz noch das Polizei- und Ordnungsrecht oder das Staatshaftungsrecht einen Anspruch auf Entschädigung einräumt“, sagte er auf einer Pressekonferenz in Berlin.
Rückendeckung gibt es auch nicht durch die Gerichte. Darauf deuten erste Urteile der Landgerichte Heilbronn und Hannover hin. Doch Schirp zeigt sich unbeirrt. „Bei den Zivilgerichten wird ‚Buchstabenjustiz‘ betrieben. Die Ansprüche werden abgelehnt, weil im Gesetz nichts davon steht.“ Aber es werde nicht die Frage gestellt, ergänzt Schirps Mitstreiter de Witt, ob fehlende Entschädigungen bei Betriebsschließungen und Berufsverboten verfassungsmäßig seien. Das liege jenseits des zivilrechtlichen Horizonts.
Finanzielle Entschädigung für Eingriffe in Grundrechte
Parallel zur Verfassungsbeschwerde haben die Initiatoren Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und zahlreiche Gesundheitspolitiker aufgefordert, das Infektionsschutzgesetz zu ändern. Dort soll ausdrücklich eine Entschädigung verankert werden, wenn Betriebsschließungen und Berufsausübungsverbote verhängt werden.
Sollte der Gesetzgeber dem Bundesverfassungsgericht zuvorkommen, wäre die Verfassungsbeschwerde obsolet. De Witt stellt die angeordneten Betriebsschließungen und Berufsverbote nicht grundsätzlich in Frage, auch wenn sie schwere Eingriffe in die Grundrechte darstellen. Auch wenn die Maßnahmen zum Schutz der Allgemeinheit gerechtfertigt seien mögen, „verlangt das Grundgesetz dann jedoch zwingend einen angemessenen Ausgleich, auch finanzieller Art“.
Zwar sieht auch das Infektionsschutzgesetz Entschädigungsregelungen vor. Doch danach werden nur Betriebsinhaber entschädigt, die infiziert sind. „Da reibt man sich die Augen“, sagt de Witt. Gut gepolsterte Unternehmen wie die Kinokette von Hans-Joachim Flebbe können die nicht selbst verschuldete Krise vielleicht aussitzen. Für viele andere Unternehmen dürfte eine Entschädigung von existentieller Bedeutung sein.
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