Veronika Grimm im Interview Wirtschaftsweise: „Vermögensteuer ist mit viel Aufwand, aber wenig Ertrag verbunden“

„Wir müssen jetzt alle Register ziehen, um das Impfgeschehen zu beschleunigen.“
Berlin Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm ist überzeugt, dass aus den deutschen und europäischen Konjunkturpaketen genügend öffentliche Mittel bereitstehen, um nach der Pandemie die Wirtschaft klimafreundlich und digital umzubauen. „Jetzt kommt es darauf, die öffentlichen Mittel zielgerichtet und möglichst effektiv einzusetzen“, sagte sie im Interview mit dem Handelsblatt.
Gleichzeitig gelte es aber, wichtige Reformen voranzutreiben: „Etwa eine Energiepreisreform, die eine umfassende Entlastung des Strompreises von Abgaben und Umlagen bringt und direkte und indirekte Subventionen fossiler Energieträger konsequent abbaut.“
Das Leitinstrument der Klimapolitik müsse die CO2-Bepreisung werden. „Dann brauchen wir auch weniger Subventionen“, sagte sie.
Die Schuldenbremse müsse nicht gelockert werden. „Da wir die Möglichkeit haben, die Ausnahmeregel der Schuldenbremse zu ziehen, haben wir aktuell genug Luft. Wir sollten das Fass jetzt nicht aufmachen“, sagte sie.
Auch die Steuern will sie unangetastet lassen – jedenfalls solange die Krise nicht überwunden ist. Mittelfristig gebe es aber vielfältige Möglichkeiten, das Steuersystem zu verbessern. „Dazu zählt etwa die Abschaffung des Dienstwagen-Privilegs oder eine Energiepreisreform, die untere und mittlere Einkommen entlastet“, sagte sie. Im Gegenzug könnte man mehr Umverteilung über eine höhere Einkommensteuer für Spitzenverdiener erreichen.
Lesen Sie hier das ganze Interview:
Frau Professorin Grimm, einige Länder werden Prognosen zufolge gut aus der Coronakrise herauskommen, darunter Deutschland, andere nur schwer. Woran liegt das?
Da gibt es unterschiedliche Gründe. In Asien etwa gibt es kaum mehr Infektionen, in den USA oder Großbritannien schreitet das Impfen rasch voran. In Europa sind vor allem südeuropäische Staaten härter von der Krise betroffen, in denen der Tourismus eine große Rolle spielt. Deutschland mit seiner starken Industrie hat es da einfacher.
Die SPD zieht mit der Forderung nach Steuererhöhungen in den Wahlkampf. Drohen höhere Steuern den Aufschwung abzuwürgen?
Ich würde unmittelbar nach der Krise von Steuererhöhungen absehen, um die Erholung nicht zu gefährden. Im günstigsten Fall können wir aus der Krise herauswachsen. Eine Vermögensteuer ist zudem mit viel Aufwand, aber wenig Ertrag verbunden. Mittelfristig gibt es aber vielfältige Möglichkeiten, das Steuersystem besser auszurichten. Dazu zählt etwa die Abschaffung des Dienstwagen-Privilegs oder eine Energiepreisreform, die untere und mittlere Einkommen entlastet. Im Gegenzug könnte man mehr Umverteilung über eine höhere Einkommensteuer für Spitzenverdiener erreichen.
Auch wenn die deutsche Wirtschaft halbwegs läuft, herrscht in der zweiten Corona-Welle der Eindruck vor, der deutsche Staat funktioniert überhaupt nicht so gut, wie sich das alle vorgestellt haben. Welche Lehren muss der Staat ziehen, um Krisen künftig besser zu handhaben?
Die Diagnose ist noch einigermaßen einfach. Der Föderalismus hat das Potenzial, im Wettbewerb beste Lösungen zu entwickeln. Aber in der Pandemie ist die Unsicherheit sehr hoch, mal etwas auszuprobieren – vor allem im Wahljahr. Gleichzeitig gibt es in Europa keine Blaupause für diese besondere Situation. In Asien hat man hingegen schon Erfahrung mit Pandemien. Auch das Schwarz-Weiß-Denken ist sehr ausgeprägt. Bei Schulen geht es dauernd um Öffnen oder Schließen und nicht darum, wie wir für Kinder bestmöglich Bildungserfolge erreichen. Durch die vielen Ebenen im Föderalismus ist es auch schwierig, klare Verantwortlichkeiten zu definieren. Das ist aber gerade mit Blick auf die Schulen dringend notwendig. Die Schulen vor Ort können es allein nicht stemmen.
Was muss die Politik besser machen?
Wir müssen jetzt alle Register ziehen, um das Impfgeschehen zu beschleunigen. Es geht dabei viel um ökonomische Fragen, um Beschaffung, um die optimale Ausnutzung von Kapazitäten. Es wäre beispielsweise ratsam, den Logistikprozess zu simulieren und Fälle durchzuspielen. Dann hätte man Pläne in der Tasche, um auf verschiedene Entwicklungen schnell zu reagieren. Wir brauchen auch mehr Pragmatismus, um möglichst viele Leben zu retten.
Es gibt zwar viele schöne Beschlüsse zur Digitalisierung, Deutschland bekommt sie nur nicht umgesetzt. Was muss die Politik tun, damit sich das endlich ändert?
Gute Frage. In der Pandemie dürfte die Akzeptanz für die Digitalisierung gestiegen sein, viele Menschen sind ja im Homeoffice und machen auch sonst vieles digital. Allerdings gibt es da gerade bei älteren Bürgern noch Hemmnisse, digital mit der Verwaltung zu kommunizieren. Das ist ein Knoten, den man lösen muss. Denn für die Akzeptanz einer digitalen Verwaltung ist es ja zentral, dass alle Menschen auch Zugang haben.
Könnte ein Digitalministerium die Digitalisierung vorantreiben?
Es wäre jedenfalls ein starker Impuls.
Was muss die nächste Bundesregierung sonst noch tun, damit der Wiederaufschwung auch langfristig gelingt?
In der Coronakrise wurden umfangreiche öffentliche Mittel für Zukunftsinvestitionen bereitgestellt. Sie sollen etwa die Transformation hin zur Klimaneutralität beschleunigen. Der damit verbundene Strukturwandel stellt die deutsche Industrie vor große Herausforderungen, die wir schon 2019, also vor der Coronakrise gespürt haben. Es entstehen aber auch industriepolitische Chancen in zahlreichen Sektoren. Jetzt kommt es darauf, die öffentlichen Mittel zielgerichtet und möglichst effektiv einzusetzen. Gleichzeitig gilt es aber, wichtige Reformen voranzutreiben. Etwa eine Energiepreisreform, die eine umfassende Entlastung des Strompreises von Abgaben und Umlagen bringt und direkte und indirekte Subventionen fossiler Energieträger konsequent abbaut. Dies ist zentral, um private Investitionen in klimaneutrale Technologien in großem Umfang auszulösen, ohne die wir die Klimaneutralität 2050 nicht erreichen werden.
Und darüber hinaus?
Das Leitinstrument der Klimapolitik muss die CO2-Bepreisung werden. Dann brauchen wir auch weniger Subventionen. Es kommt darauf an, diesen Pfad konsequent und abgestimmt in Europa zu beschreiten, und möglichst auch mit wichtigen Handelspartnern globale Kooperationen im Klimaschutz auf der Basis von CO2-Preisen zu erreichen. Wichtig ist auch, komplementär neue Infrastrukturen aufzubauen, zum Beispiel Ladesäulen für E-Autos und Wasserstofftankstellen. Aber das muss nicht allein mit öffentlichen Mitteln geschehen. Da winken hochattraktive Märkte. Schon heute tragen Unternehmen Betriebskostendefizite, um sich künftige Marktanteile zu sichern – etwa bei der Tankstelleninfrastruktur der Zukunft.
Für diese Transformation brauchen wir aber erst mal die entsprechenden Fachkräfte.
Absolut. Das sollten wir heute schon in den Blick nehmen. Bei Ausbildung und bei Fachkräften müssen wir mit Blick auf die Demografie außerdem fragen: Wie sind Beschäftigungsverläufe in Zukunft? Die Menschen müssen einerseits spezifische Fähigkeiten für die neuen Technologiefelder erwerben, aber auch befähigt werden, im Laufe ihres Berufslebens mal zu wechseln. Denn wir werden perspektivisch das Rentenalter anheben müssen, und nicht jeder wird in der Lage sein, in dem einmal erlernten Beruf sein ganzes Erwerbsleben zu arbeiten. Darauf müssen Bildung, Ausbildung und Weiterbildung ausgerichtet werden.
Das alles kostet viel Geld. Muss die Schuldenbremse gelockert werden, um die ganzen neuen Herausforderungen stemmen zu können?
Ich bin da vorsichtig. Wir sind in einer absoluten Ausnahmesituation und wissen noch nicht, wie sich die Wirtschaft nach der Pandemie entwickelt. Da wir die Möglichkeit haben, die Ausnahmeregel der Schuldenbremse zu ziehen, haben wir aktuell genug Luft. Wir sollten das Fass jetzt nicht aufmachen.
Aber später könnte die Schuldenbremse gelockert werden?
In vielen Bereichen – zum Beispiel Digitalisierung und Klimaschutz – sind umfangreiche Investitionen nötig. Aber es ist eine Illusion zu glauben, über eine massive Verschuldung diese Herausforderungen meistern zu können. Entscheidend ist es, über die richtigen Rahmenbedingungen private Investitionen auszulösen. Dafür braucht es auch öffentliche Mittel, wofür der Spielraum der Schuldenbremse aber ausreicht. Und Deutschland hat in Europa immer eine Vorreiterrolle. Wollen wir signalisieren, wir lösen Probleme mit Geld oder mit Reformen?
Angesichts der schweren Krise einiger EU-Staaten mehren sich bereits Stimmen, Europa müsse mehr Geld in die Hand nehmen, um die Krise zu bekämpfen. Zu Recht?
Wir haben die 750 Milliarden Euro aus dem EU-Wiederaufbaufonds ja noch nicht einmal ausgegeben. Schon jetzt Konjunkturmaßnahmen auszuweiten macht da wenig Sinn.
Auch wegen deutlich höherer Staatsausgaben warnen Ökonomen vor einem Comeback der Inflation. Sehen Sie diese Gefahr auch?
Unmittelbar ist das Risiko nicht sehr hoch. Es wird in diesem Jahr wegen einmaliger Faktoren – die Einführung der CO2-Preise, das Ende der Mehrwertsteuersenkung – einen leichten Preisanstieg geben, der sich wieder abflachen dürfte. Mittelfristig kann es durch den Abbau von Ersparnissen zu einem Preisdruck kommen. Dass die Inflation stark ansteigt, glaube ich aber nicht.
Zum Schluss noch eine Frage zum Sachverständigenrat: Nach dem Ausscheiden von Lars Feld brauchen die Wirtschaftsweisen einen neuen Vorsitzenden, bislang konnten sie sich aber nicht auf eine Person einigen. Warum?
Es stimmt, es kam nicht unmittelbar zu einer Einigung – und nun waren die Sachthemen bis zum Konjunkturupdate erst mal wichtiger. Aber wir werden sicherlich eine gute Lösung finden.
Aber die ins Spiel gebrachte Doppelspitze sähe bei nur vier Wirtschaftsweisen ziemlich schräg aus, oder?
Ich habe dazu eine klare Meinung, aber die behalte ich lieber für mich.
Frau Grimm, vielen Dank für das Interview.
Mehr: Wirtschaftsweise senken Prognose – doch ab Sommer ist kräftige Erholung möglich
Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.