Wahlkampf Armin Laschet bekommt ein Afghanistan-Problem

Der Wahlkampf des Kanzlerkandidaten der Union wird überschattet vom schlechten Krisenmanagement der Regierung und einer neuen Flüchtlingsproblematik.
Berlin Eigentlich wollte Armin Laschet (CDU) mit den Parteivorderen beraten, wie die CDU endlich im Wahlkampf durchstarten kann. Ein gemeinsamer Auftritt mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am kommenden Samstag sollte besprochen werden. Doch in den Sitzungen von Präsidium und Bundesvorstand am Montag dominierte nur ein Thema: der Siegeszug der militant-islamistischen Taliban in Afghanistan.
„Wir erleben bittere Stunden“, sagte die Kanzlerin laut Teilnehmern in der Präsidiumssitzung. Man müsse sich nun auf die „Rettung“ der Menschen vor Ort konzentrieren. Laschet forderte die „Luftbrücke“ der Bundeswehr so lange wie möglich aufrechtzuerhalten.
Mit dem Eroberungsfeldzug der Taliban erlebt der Bundestagswahlkampf nach der Flutkatastrophe erneut eine thematische Wende. Auch wenn alle Beteiligten betonten, aufgrund der Ereignisse in Kabul die Parteipolitik zurückzustellen: Eine solch dramatische Krise ist eineinhalb Monate vor dem Urnengang zwangsläufig ein Thema im Wahlkampf.
Union und SPD, Außen- und Verteidigungsministerium machen sich gegenseitig Vorhaltungen wegen der falschen Lageeinschätzung. Die Opposition kritisiert die Bundesregierung dafür, nicht früher mehr Menschen aus Afghanistan herausgeholt zu haben. Gleichzeitig wird die politisch heikle Frage diskutiert, wie Deutschland im Falle steigender Flüchtlingszahlen aus Afghanistan reagieren sollte.
Ob sich das auf die Stimmungslage im Land auswirkt, ist offen. Wie unberechenbar ein Bundestagswahlkampf verläuft, zeigte sich ganz ähnlich vor 19 Jahren. Im Sommer 2002 lag Gerhard Schröder als Kanzler der rot-grünen Koalition in den Umfragen hoffnungslos zurück. Die Wirtschaft und die hohe Zahl der Arbeitslosen waren das bestimmende Thema – allesamt Bereiche, bei denen die Wähler CDU und CSU traditionell für kompetent halten.
Eingeständnis eines Scheiterns?
Edmund Stoiber schien der erste Bundeskanzler der CSU werden zu können. Doch dann kamen zwei große Themen, die alles andere in den Schatten stellten: der Irak-Krieg und das Elbhochwasser. Die SPD startete mit der Absage an den Irak-Feldzug eine Aufholjagd. Am Ende reichte es noch einmal für Rot-Grün, wenn auch nur knapp.
Der Afghanistan-Krieg begleitet Merkel ihre gesamte Amtszeit. Wenn sich bei den Deutschen nun die Einschätzung durchsetzt, dass der Bundeswehreinsatz umsonst war, wäre das auch ihr politisches Erbe. Was die CDU-Vorderen von der Kanzlerin am Montag hörten, klang zumindest wie das Eingeständnis eines Scheiterns: Man habe ein Land mit demokratischen Strukturen aufbauen wollen, so Merkel, „das ist nicht gelungen“.
Es habe keine Bindung der afghanischen Streitkräfte zum Volk gegeben. Und so wurde die Armee von den Taliban einfach überrannt. Und das viel schneller, als die Bundesregierung dachte. Sie wirkte schlecht vorbereitet und muss sich nun scharfe Kritik anhören.
Die kommt unter anderem von den Grünen. Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock trat am Montag gemeinsam mit dem Grünen-Urgestein und früheren Bundesaußenminister Joschka Fischer auf. Fischer war deutscher Außenminister, als nach den Anschlägen vom 11. September 2001 westliche Truppen in Afghanistan einmarschierten und die Taliban entmachteten.
Joschka Fischer: „Eine große, große Tagödie“
Fischer sprach von einer „großen, großen Tragödie“. Im Laufe der Jahre seien viele Fehler gemacht worden. Der große finale Fehler sei aber der überraschende Abzug der Truppen aus Afghanistan gewesen. „Keine Verhandlungslösung, sondern: Wir packen ein und gehen“, sagte Fischer. Es bedrücke ihn, „wie kalt wir die Menschen zurückgelassen haben, die für unsere Soldaten, unsere Hilfsorganisationen gearbeitet haben“.

Auch im Grünen-Wahlkampf ein beherrschendes Thema: die schrecklichen Lage in Afghanistan.
Baerbock rief die Bundesregierung erneut zu schnellem Handeln auf, um Ortskräfte der EU-Mission in Sicherheit zu bringen. Sie erinnerte daran, dass die Grünen vor dem Beginn der Sommerpause im Bundestag beantragt haben, Menschen zu evakuieren. „Das ist nicht getan worden, man hat es einfach negiert.“ Jetzt gehe es um Stunden und um Tage.
Union und SPD stimmten im Juni gegen den Antrag der Grünen. „Es war ein großer und gravierender Fehler, den Antrag der Grünen – aus Prinzip – abzulehnen“, schrieb der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter nun selbstkritisch auf Twitter.
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In den vergangenen Wochen wurden rund 2000 afghanische Ortskräfte nach Deutschland geholt. Weitere sollen folgen. Merkel umriss im CDU-Bundesvorstand nach Angaben von Teilnehmern die Dimension der Evakuierungsmission der Bundeswehr. Sie sprach demnach von rund 10.000 Personen, die Deutschland aus Afghanistan evakuieren wolle. „Wir evakuieren nun in Zusammenarbeit mit den USA die Menschen. Ohne die Hilfe der Amerikaner könnten wir so einen Einsatz nicht machen“, wurde die Kanzlerin zitiert.
Der Vorwurf, zu spät und zögerlich zu agieren, haftet allerdings an der Bundesregierung. Selbst der Kanzlerkandidat der Union ließ Kritik durchblicken. Laschet sagte, die Hilfsaktion sei „längst überfällig“. Die dramatischen Szenen aus Kabul könnten jedenfalls auch in Deutschland die Kritik verstärken.
Streit auch in der Großen Koalition
Auch innerhalb der Großen Koalition streitet man über die Schuldfrage. Die SPD zielt auf Merkel und Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU). Die Union kritisiert vor allem Außenminister Heiko Maas (SPD).
Nach Informationen des „ARD-Hauptstadtstudios“ hat die deutsche Botschaft in Kabul schon seit längerer Zeit vor der Gefahr für ihre Mitarbeiter gewarnt. Vize-Botschafter Hendrik van Thiel hatte in seinem Lagebericht am Freitag geschrieben, dass trotz „dringender Appelle der Botschaft über längere Zeit erst in dieser Woche Abhilfe geschaffen“ worden sei, so der Bericht.
Das Auswärtige Amt habe lange Zeit nicht reagiert. „Wenn das an irgendeiner Stelle diesmal schiefgehen sollte, so wäre dies vermeidbar gewesen“, schrieb der Diplomat demnach weiter.
Laschet betonte zwar öffentlich, dass nun die Zeit der Rettung sei und nicht um über Fehler zu sprechen. In den CDU-Gremien wurde aber scharfe Kritik an Maas geäußert. Kramp-Karrenbauer machte der SPD insgesamt Vorwürfe. D
er Einsatz der Bundeswehr benötige ein Mandat, dies wolle die SPD aus Sorge um die Einigkeit in der Partei verhindern, wurde Kramp-Karrenbauer zitiert. Die Debatte über ein Mandat habe aber nichts aufgehalten, alle Vorbereitungen für die Evakuierung seien weitergelaufen. Dies habe sie Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) zweimal gesagt. Dass die SPD nun trotzdem Vorwürfe streue, zeige auch „Bösartigkeit“.
Dass sich die Große Koalition mit solch Streitereien einen Gefallen tut, kann man allerdings bezweifeln. Der Berliner Politikwissenschaftler Oskar Niedermayer rechnet damit, dass die Fehler der Bundesregierung bei der Einschätzung der Lage in Afghanistan den Regierungsparteien im Bundestagswahlkampf schaden werden. Dass jetzt sowohl Laschet als auch führende SPD-Politiker „den Kreis der Auszufliegenden noch stark erweitern wollen, obwohl die Zeit schon viel zu knapp ist, zeugt eher von Hilflosigkeit als von funktionierendem Krisenmanagement und wird beiden Regierungsparteien im Wahlkampf nicht nützen“, sagte Niedermayer.
Da die Grünen noch viel weiter gehende Forderungen stellen, erwartet Niedermayer, dass die „gesellschaftliche und politische Polarisierung zunehmen“ werde. Zudem werde ein erneutes starkes Ansteigen der Flüchtlingszahlen „der AfD das lang ersehnte Wahlkampfthema liefern“.
Laschet erinnert an das Jahr 2015
Die Union selbst weckt Erinnerungen an die Flüchtlingskrise. „2015 soll sich nicht wiederholen“, erklärte Laschet – und wurde dafür umgehend kritisiert, unter anderem von den Grünen, die das als Kritik an der damaligen Flüchtlingspolitik der Kanzlerin deuteten. Laschet betonte, dass er als Fehler im Jahr 2015 vor allem die ausbleibende Hilfe für Flüchtlinge in den syrischen Nachbarländern meinte. Das soll nun besser organisiert werden, darin sind sich Merkel und Laschet einig.
Die Kanzlerin machte im CDU-Präsidium klar, wie wichtig es sei, die Nachbarländer Afghanistans sowie die gesamte Region zu unterstützen. Inwieweit Menschen Afghanistan verlassen könnten, werde aber abhängig von den Taliban sein. Laschet forderte, die EU müsse sich auf Flüchtlingsbewegungen Richtung Europa vorbereiten. Diesmal müsse rechtzeitig in der Region und in den Herkunftsländern Hilfe geleistet werden. Laschet: „Wir brauchen einen geordneten Schutz für die, die Richtung Europa streben.“
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