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Wirecard „Kein Hinweis auf strafbares Verhalten“: Chef der Geldwäschebehörde FIU weist Kritik zurück

In der letzten Ausschusssitzung zum Fall Wirecard muss sich FIU-Chef Christof Schulte vor den Abgeordneten verantworten. Seine Behörde hatte eine brisante Meldung nicht weitergegeben.
08.06.2021 - 18:14 Uhr Kommentieren
Der Leiter der Financial Intelligence Unit (FIU) steht in der Kritik: Hat seine Behörde Warnmeldungen rund um Wirecard falsch bewertet? Quelle: dpa
Christof Schulte

Der Leiter der Financial Intelligence Unit (FIU) steht in der Kritik: Hat seine Behörde Warnmeldungen rund um Wirecard falsch bewertet?

(Foto: dpa)

Berlin Nein, die oberste Geldwäschebehörde des Bundes sei nicht für Geldwäsche im Ausland zuständig, erklärte Christof Schulte „Das mag misslich wirken, ist aber nicht exotisch“, sagte der Chef der „Financial Intelligence Unit“ (FIU) am Dienstag vor dem Wirecard-Untersuchungsausschuss. Schulte versicherte: Seiner Behörde hätten keine Hinweise auf strafbares Verhalten bei Wirecard im Inland vorgelegen.

Die letzte Sitzung des Untersuchungsausschusses entwickelte sich für den obersten Geldwäschebekämpfer zum heißen Stuhl. Grund waren Medienberichte über brisante Mails der Commerzbank, die als Korrespondenzbank Überweisungen für die Wirecard Bank abwickelte. Das Geldhaus hatte der FIU schon Anfang 2019 eine Liste mit 343 dubiosen Zahlungen geschickt.

„Mir kommen die Meldungen der Commerzbank sehr konkret vor“, sagte Matthias Hauer von der CDU/CSU-Fraktion. Das Geldhaus hätte eindeutig das Ziel verfolgt, „auf ein Problem bei Wirecard hinzuweisen, nicht nur bei Kunden“. Florian Toncar von der FDP sah einen „glasklaren“ Deutschlandbezug: „Es gibt doch ein Dutzend Empfänger in Deutschland.“ Schulte wehrte ab: „Es war kein deutscher Täter erkennbar. Wir hätten ja Hinweise auf Bilanzmanipulation haben müssen.“

Die Abgeordneten fühlten sich vom Behördenleiter in die Irre geführt, weil er bei seinem ersten Auftritt im Januar gesagt hatte, dass die FIU alle vorliegenden Erkenntnisse zum Wirecard-Konzern „unmittelbar“ weitergeleitet habe. Er sei überzeugt, dass seine Behörde ihrem gesetzlichen Auftrag „vollumfänglich“ nachgekommen sei.

Am Dienstag verteidigte er sich erneut: „Das habe ich nicht zu ergänzen, das stimmt.“ In der Öffentlichkeit sei zuletzt der Eindruck entstanden, die Informationen seien auf dem „Silbertablett“ geliefert worden, sagte Schulte. „Das war mitnichten der Fall.“ Zudem habe die FIU sieben „Spontaninformationen“ an die Länder mit dem jeweiligen Geschäftssitz der Firmen verschickt, sagte Schulte, bis heute aber keine Rückmeldung erhalten.

De Masi: „Idiotensichere Ausarbeitung“

Die FIU ist die nationale Zentralstelle für die Auswertung von Finanztransaktionen, die in Zusammenhang mit Geldwäsche oder Terrorismusfinanzierung stehen könnten. Die Spezialeinheit des Zolls soll ihre Erkenntnisse an die Ermittlungsbehörden weiterleiten – doch im Fall Wirecard zögerte sie.

Linken-Politiker Fabio De Masi hat dafür wenig Verständnis. Er sprach von einer „idiotensicheren Ausarbeitung“ der Commerzbank. Dem „Bayerischen Rundfunk“ zufolge hat die Bank der FIU eine „Sachverhaltsdarstellung“ übermittelt, in der sie die fragwürdigen Überweisungen detailliert eingeordnet hat.

Sie ist brisant, weil sie direkt nach Singapur führt – in das Zentrum des milliardenschweren Bilanzbetrugs, der am Ende zum Kollaps von Wirecard führte. Auf der Liste stehen Firmen, die im Rückblick als wichtige Vehikel für möglicherweise kriminelle Machenschaften gelten: Senjo, Al Alam, Citadelle.

Das verursachte in Aschheim offenbar Nervosität, wie interne Nachrichten zeigen, die dem Handelsblatt vorliegen. Wirecard-Schatzmeister Thorsten Holten beschwerte sich in einer Mail an die Vorstände Markus Braun und Alexander von Knoop vom 25. Februar 2019 über „die unverschämt kurze Antwortfrist“ der Commerzbank und den Ton der Anfrage, der „eher einem Verhör“ gleiche.

Zeitgleich wies er seine Mitarbeiter an, alle Zahlungen umzustellen, die über die Commerzbank abgewickelt wurden – für den Fall, dass der Geldwäschebeauftragte des Geldhauses „zuschlägt“ und um ihm zu zeigen, „dass wir nicht abhängig von denen sind“.

Die Liste der 343 verdächtigen Transaktionen führt eine Firma namens Equinia Services aus Singapur an. Sie hatte am 18. Dezember 2018 genau 50 Millionen Euro auf ein Wirecard-Konto überwiesen, das der Citadelle Corporate Services gehörte – jenem Treuhänder, der für Wirecard 1,9 Milliarden Euro verwaltet haben soll, die bis heute nicht nachweisbar sind.

Am 19. Dezember überwies Citadelle die Summe an Wirecard. Die Zahlung ist auch deshalb pikant, weil Wirecards Wirtschaftsprüfer EY sie als Beleg für das Vorhandensein des Treuhandguthabens verbuchte.

Die Prüfer waren am Dienstag im Untersuchungsausschuss ebenfalls Thema: Die Abgeordneten beschlossen, beim Bundesgerichtshof eine weitgehend ungeschwärzte Veröffentlichung der Berichte des Bundestags-Ermittlungsbeauftragten zur Arbeit von EY zu erzwingen. „Die Öffentlichkeit, die betrogenen Anleger und Finanzinstitute haben ein Recht auf Information“, erklärte der Vize-Ausschussvorsitzende Hans Michelbach (CSU).

Auf der Liste der verdächtigen Transaktionen finden sich zudem etwa 8,3 Millionen Euro, die unter anderem aus der Senjo Payment Asia in Singapur in die Cottisford Holdings auf den Britischen Jungferninseln flossen. Die Cottisford, die auch ein Büro auf der Isle of Man unterhält, erhielt auch Darlehen der Wirecard-Bank. Hinter ihr steht Henry O'Sullivan, ein enger Vertrauter des ehemaligen Wirecard-Vorstands Jan Marsalek.

Der britische Geschäftsmann gilt als Strippenzieher hinter Wirecard-Vorstand Jan Marsalek. Quelle: unbekannt
Henry O'Sullivan

Der britische Geschäftsmann gilt als Strippenzieher hinter Wirecard-Vorstand Jan Marsalek.

(Foto: unbekannt)

Trotz der Hinweise der Commerzbank: Die FIU leitete die Informationen erst im Juli 2020, nach der Pleite von Wirecard, an die Ermittlungsbehörden in Bayern weiter. Die Staatsanwaltschafts München, die selbst wegen ihrer Rolle im Fall Wirecard in der Kritik steht, teilte mit, dass die Meldung der Commerzbank als „sehr werthaltig“ eingeschätzt werde.

Die FIU steht schon länger unter Druck. Seit sie im Jahr 2017 aus dem Verantwortungsbereich von Bundeskriminalamt und Innenministerium weiter zum Zoll und damit unter die Aufsicht des Finanzministeriums gewechselt war, riss die Kritik an der Behörde nicht ab. Softwareprobleme, Personalmangel – die FIU kam bei der Bearbeitung der vielen Verdachtsfälle lange nicht hinterher.

Schulte war im August 2018 angetreten, um dieses Chaos zu beseitigen. Doch die Behörde kam aus den Schlagzeilen nicht heraus. Alles spricht dafür, dass hinter den Kulissen ein Machtkampf zwischen Innenministerium und Finanzministerium um die Fachaufsicht tobt.

Ende Mai regte laut „Spiegel“ Bayerns Innenminister Joachim Herrmann in einem internen Papier für die nächste Innenministerkonferenz an, die FIU aufzulösen und ihre Aufgaben wieder dem BKA zu übertragen. Damit käme die Aufsicht über die Geldwäschebekämpfung letztlich zurück zum Bundesinnenministerium, das von Horst Seehofer (CSU) geführt wird.

Nicht nur aus Bayern droht Schulte Ungemach. Im Juli 2020 durchsuchten die Behörden im Auftrag der Staatsanwaltschaft Osnabrück die FIU. Sie ermittelt wegen des Verdachts der Strafvereitelung im Amt, weil Mitarbeiter Verdachtsmeldungen nicht ordnungsgemäß an die Polizei und die Justiz weitergegeben haben könnten.

Damals berichteten mehrere Medien, Schulte würde seinen Posten räumen und bald als Abteilungsleiter beim Datenschutzbeauftragten anfangen. Ein Nachfolger sei nicht bekannt. Dann wurde es wieder ruhig. Ein Jahr später, zur Ausschusssitzung am Dienstag, war Schulte noch im Amt.

Mehr: „Es ist ein Wahnsinn...“ – Die letzten 48 Stunden von Wirecard

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