Wirecard-Untersuchungsausschuss CSU-Finanzpolitiker Michelbach: „Der Wirecard-Skandal hat mich die Freundschaft zu Guttenberg gekostet“

Der CSU-Politiker und stellvertretende Vorsitzende des Wirecard-Ausschusses, Hans Michelbach: "Der Untersuchungsausschuss hat aufgedeckt, wie so ein unvergleichlicher Anschlag auf die marktwirtschaftliche Wirtschaftsordnung möglich war."
Berlin Vor der Befragung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im Wirecard-Untersuchungsausschuss hat der CSU-Finanzpolitiker Hans Michelbach seinen Parteifreund Karl-Theodor zu Guttenberg wegen dessen Lobbying im Kanzleramt scharf kritisiert. „Man kann nicht eine Bundeskanzlerin für Geschäfte einspannen. Vor allem dann nicht, wenn man das Geschäftsmodell selbst nicht geprüft und dafür auch noch 900.000 Euro eingestrichen hat“, sagte Michelbach dem Handelsblatt.
„Der Wirecard-Skandal hat mich die Freundschaft zu Guttenberg gekostet“, sagte der CSU-Politiker, der auch stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses ist. „Er hat mich beschimpft, dass ich ihn nicht unterstützt hätte.“ Guttenberg hatte bei Merkel vor einer China-Reise für Wirecard lobbyiert, damit die Kanzlerin sich in Peking für den Konzern einsetzt. „Bei Wirecard haben zu viele Lobbyisten Geld gerochen, die Selbstverantwortung der Wirtschaft hat nicht funktioniert“, sagte Michelbach.
Der CSU-Finanzpolitiker zog eine positive Bilanz der Arbeit des Ausschusses. „Der Untersuchungsausschuss hat aufgedeckt, wie so ein unvergleichlicher Anschlag auf die marktwirtschaftliche Wirtschaftsordnung möglich war“, sagte Michelbach. Wenn man alles zusammenrechne – die Verluste der Anleger, den Schaden für die Gläubiger –, dann seien bisher insgesamt mindestens 22 Milliarden Euro verloren gegangen. Und die Summe wachse mit dem Insolvenzverfahren wohl noch weiter. „Dass so etwas möglich war, da muss man schon sagen: Auf breiter Ebene hat nichts funktioniert, Politik und Finanzaufsicht haben es den Betrügern zu einfach gemacht.“
Es habe viele Verfehlungen gegeben, die Politik habe „immer zugewartet“, obwohl das Finanzministerium von der Aufsicht Bafin informiert worden sei. Insbesondere kritisierte Michelbach Finanzstaatssekretär Jörg Kukies. „Kukies war ein ganz aktiver Teil des Versagens, aber auch Finanzminister Olaf Scholz, Justizministerin Christine Lambrecht und Wirtschaftsminister Peter Altmaier müssen sich nach ihrer Verantwortung für das Desaster fragen lassen“, sagte der CSU-Politiker.
Einen Hauptfehler sieht Michelbach in dem Leerverkaufsverbot, das die Finanzaufsicht Bafin erlassen hatte. „Dieses Verbot wurde im Markt als eine Art staatliches Gütesiegel für die vermeintliche Vertrauenswürdigkeit von Wirecard verstanden.“ Dieses Signal habe viele Anleger dazu verführt, noch einmal viel Geld in den Wirecard-Konzern zu investieren. Noch einmal gingen Anlegern Milliarden verloren. So habe das Wirecard-Management sein betrügerisches Spiel noch fast eineinhalb Jahr weiter betreiben und die Konten leer räumen können.
Lesen Sie hier das gesamte Interview:
Herr Michelbach, seit einem halben Jahr versucht der Untersuchungsausschuss, die Wirecard-Affäre aufzuklären, nun neigt sich die Arbeit dem Ende zu. Wie fällt Ihr Fazit aus?
Die Dimensionen der Aufklärungsarbeit sind so gigantisch wie der Betrugsfall. Wir haben in bislang mehr als 40 Sitzungen über 80 Zeugen befragt, oft bis tief in die Nacht. Es liegen 850 Gigabyte Daten auf dem Laufwerk, es befinden sich mehrere Hundert Ordner in der Geheimschutzstelle des Bundestages. Alles durchzuarbeiten war mühsam, aber es hat sich gelohnt.
Inwiefern?
Der Untersuchungsausschuss hat aufgedeckt, wie so ein unvergleichlicher Anschlag auf die marktwirtschaftliche Wirtschaftsordnung möglich war. Wenn man alles zusammenrechnet – die Verluste der Anleger, den Schaden für die Gläubiger –, dann sind bisher insgesamt mindestens 22 Milliarden Euro verloren gegangen. Und die Summe wächst mit dem Insolvenzverfahren wohl noch weiter. Dass so etwas möglich war, da muss man schon sagen: Auf breiter Ebene hat nichts funktioniert, Politik und Finanzaufsicht haben es den Betrügern zu einfach gemacht.
Bei wem sehen Sie die Hauptverantwortung?
Es gab eine ganze Latte an Verfehlungen. Der erste große Fehler war, die Wirecard AG nicht als Finanzholding, sondern als Technologieunternehmen einzustufen, obwohl das Geschäftsmodell von Wirecard Finanzdienstleistungen war. Die Bafin hat ganz offensichtlich das Geschäftsmodell der Wirecard AG nicht durchschaut. So konnte sich Wirecard einer Gesamtaufsicht entziehen.
Und dadurch blieb der gigantische Betrug unentdeckt.
Dem großen Täuschungs- und Betrugsmanöver der Wirecard-Führung um Braun und Marsalek wurde so Vorschub geleistet. Denn tatsächlich bildeten die Wirecard Bank und die weiteren 57 Tochtergesellschaften unter dem Konzerndach eine Einheit. Die weltweit angesiedelten Täuschungs- und Betrugsmanöver der Wirecard-Führung waren nur möglich, weil man sich mit einer eigenen Bank quasi eine Art Aufsichts-Brandmauer einziehen konnte. Aber es gab auch in der Folge viele schwerwiegende Fehler auf Fachebene.
Welche?
Insbesondere in den Jahren 2018 bis 2020 wurde klar, dass bei Wirecard etwas nicht stimmen kann. Die Politik hat aber immer zugewartet, obwohl die Finanzaufsicht Bafin das Bundesfinanzministerium eng informiert hat. So waren Finanzstaatssekretär Jörg Kukies und Bundesfinanzminister Olaf Scholz über das historisch einmalige Leerverkaufsverbot der Bafin für Wirecard-Aktien im Februar 2019 vorab informiert.
Warum hat das Leerverkaufsverbot aus Ihrer Sicht so eine wichtige Bedeutung?
Dieses Verbot wurde im Markt als eine Art staatliches Gütesiegel für die vermeintliche Vertrauenswürdigkeit von Wirecard verstanden. Dieses Signal verführte viele Anleger dazu, noch einmal viel Geld in den Wirecard-Konzern zu investieren. Noch einmal gingen Anlegern Milliarden verloren. Das hätte man mit konsequentem Handeln zum richtigen Zeitpunkt verhindern können. So aber konnte das Wirecard-Management sein betrügerisches Spiel noch fast eineinhalb Jahr weiter betreiben und die Konten leer räumen.
Kukies sagt, die Bafin sei unabhängig, das Bundesfinanzministerium könne nicht in solche Entscheidungen eingreifen.
Bei dem Leerverkaufsverbot haben die Bafin wie die Politik ideologisch gehandelt, wie interne Mails zeigen. Man wollte den Shortsellern, die auf fallende Aktienkurse spekulierten, mal so richtig eins auswischen. Gleichzeitig hatte sich in den Köpfen offenbar der Gedanke von Wirecard als deutschem Vorzeige-Technologiekonzern verfestigt, den es vor kapitalistischen Bösewichten zu schützen galt. Das ging bis hin etwa zu rassistischen und ausländerfeindlichen Bezügen in einer bekannt gewordenen Mail aus der Bafin.
Wie erklären Sie sich diese Vorgänge?
Die Politik wollte an den Konzern glauben und hat kritische Informationen von Journalisten und Analysten nicht nur nicht geprüft, sondern die Überbringer der schlechten Nachricht auch noch verfolgt. Kukies hat sogar kurz vor der Wirecard-Insolvenz versucht, Wirecard mit Geld der staatlichen KfW zu retten – zu einem Zeitpunkt, als ein massiver Bilanzbetrug offenkundig war. Ein Rettungsversuch für Kriminelle; es ist unglaublich. Gleichzeitig hat er sich 18-mal aktiv bei der Commerzbank eingemischt, die zusammen mit anderen Banken bei Wirecard Kredite im Umfang von 1,75 Milliarden Euro im Feuer stehen hatte. Man muss sich doch stark wundern, dass Kukies den Skandal nicht erkannt hat, bei all den Warnhinweisen und Alarmglocken, die schrillten.
Muss Kukies aus Ihrer Sicht zurücktreten?
Kukies war ein ganz aktiver Teil des Versagens, aber auch Finanzminister Olaf Scholz, Justizministerin Christine Lambrecht und Wirtschaftsminister Peter Altmaier müssen sich nach ihrer Verantwortung für das Desaster fragen lassen.
Die Verantwortung wird am Ende also auf so vielen Schultern verteilt, dass niemand Konsequenzen fürchten muss?
Diese Konsequenz nach dem Motto „Geteilte Schuld ist halbe Schuld" wäre in der Tat fatal. Es darf nicht nur Bauernopfer in der Finanzaufsicht geben. Und ich finde es symptomatisch für die ganze Aufarbeitung, dass niemand aus der Politik oder der Aufsicht mal sagt: „Ich entschuldige mich, ich habe eine Gesamtverantwortung für den großen Schaden, der entstanden ist." Ich finde aber, wir müssen vor allem den Vertrauensverlust für die marktwirtschaftliche Ordnung aufarbeiten und die Erkenntnisse aus diesem Skandal in eine neue gesetzliche Aufsichtsstruktur einfließen lassen. Die Wiederholung eines solchen Anschlags auf unseren Finanzplatz muss für alle Zukunft verhindert werden.
Ausgespart haben Sie in Ihrer Aufzählung die bayerischen Behörden. Tragen diese nicht auch eine Verantwortung für den Skandal?
Die für Wirecard zuständige Münchener Staatsanwaltschaft hat eine nicht glückliche Rolle gespielt, weil sie Angaben eines Wirecard-Anwalts einfach eins zu eins als Vermerk an die Bafin weitergegeben hat. Aus allen Unterlagen geht aber nicht hervor, dass der Staatsanwaltschaft München eine Verantwortung für den Skandal zufällt. Wenn es anders wäre, würde ich es sagen. Die Bafin hat sich daraus nur im Nachhinein ein Alibi für ihr Handeln konstruiert. Sie hat, statt zu prüfen, den abstrusen Inhalt des Vermerks einfach als Tatsache übernommen und zur Grundlage ihres Handelns beim Leerverkaufsverbot gemacht. Wir konnten auch ermitteln, dass der Vermerk im Bundesfinanzministerium nicht selbst geprüft wurde.
Eine unrühmliche Rolle im Wirecard-Skandal spielte auch Ihr Parteifreund Karl-Theodor zu Guttenberg, der für den Konzern bei Kanzlerin Angela Merkel lobbyierte.
Der Wirecard-Skandal hat mich die Freundschaft zu Guttenberg gekostet. Er hat mich beschimpft, dass ich ihn nicht unterstützt hätte. Aber man kann nicht eine Bundeskanzlerin für Geschäfte einspannen. Vor allem dann nicht, wenn man das Geschäftsmodell selbst nicht geprüft und dafür auch noch 900.000 Euro eingestrichen hat. Bei Wirecard haben zu viele Lobbyisten Geld gerochen, die Selbstverantwortung der Wirtschaft hat nicht funktioniert. Der Konzern hat zwischen 2016 und der Insolvenz 62,4 Millionen Euro für Lobbyismus und Beratungen ausgegeben. Unglaublich! Die Wirtschaft darf sich wahrlich nicht beklagen, wenn es jetzt gesetzliche Verschärfungen für Lobbyismus gibt.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat 2019 auf einer China-Reise für Wirecard lobbyiert. Hat sie sich von Guttenberg zu sehr einspannen lassen?
Der Untersuchungsausschuss hat schön herausgefiltert, dass sich das Finanzministerium schon Anfang 2019 für Wirecard in China einsetzte. Da ist im Vorfeld der Reise der Kanzlerin also schon viel gelaufen, und das Bundesfinanzministerium hat das Bundeskanzleramt darüber nicht vollumfänglich informiert.
Scholz will „die beste” Finanzaufsicht für Deutschland
Ist der Wirecard-Skandal mit dem Ende des Untersuchungsausschusses abgehakt, oder wird uns das Thema im Bundestagswahlkampf weiter beschäftigen?
Wir wollten die Arbeit vor dem Wahlkampf abschließen, und das werden wir schaffen. Jedoch sollte der Skandal in der neuen Wahlperiode noch einmal aufgerollt werden. Gerade wenn es noch mehr Informationen aus strafrechtlicher und zivilrechtlicher Sicht gibt. Die Anleger und Gläubiger wollen wissen, ob die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY, die jahrelang die Wirecard-Bilanzen durchwinkte, wegen grober Fahrlässigkeit umfassend für den Schaden haften muss.
Wie sehen Sie das?
Das muss zwar letztlich ein Gericht entscheiden. Der Untersuchungsausschuss hat von einem Ermittlungsbeauftragten das Vorgehen von EY bei Wirecard untersuchen lassen. Der sogenannte Wambach-Bericht, der noch als geheim eingestuft ist, liest sich zum Teil desaströs. Die nicht nachvollziehbare Buchungspraxis hätte erkannt werden müssen. Dadurch wurde Wirecard zum Scheinriesen aufgeblasen. Der Bericht sollte möglichst bald auch öffentlich zugänglich sein. Einen zweiten Wirecard-Untersuchungsausschuss in der nächsten Legislaturperiode halte ich nicht für ausgeschlossen.
Herr Michelbach, vielen Dank für das Interview.
Mehr: Showdown im Bundestag: Altmaier, Scholz und Merkel vor dem Wirecard-Ausschuss
Hinweis: Hans Michelbach hat die Antwort in Bezug auf die Kontakte des Bundesfinanzministeriums zur chinesischen Regierung nach Autorisierung und Veröffentlichung des Interviews geändert.
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