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Zehn Jahre Kanzlerin Merkel Die Machtwandlerin

Von einer Zäsur noch weit entfernt: Im November 2015 hat Angela Merkel zehn Jahre lang das Amt der Bundeskanzlerin inne. Das Jahrzehnt Merkel – eine kritische Würdigung in fünf Punkten von Philosoph Peter Sloterdijk.
18.09.2015 - 06:53 Uhr 1 Kommentar
Der Philosoph und die Kanzlerin. Quelle: Berndt A. Skott
Peter Sloterdijk und Angela Merkel

Der Philosoph und die Kanzlerin.

(Foto: Berndt A. Skott)

1. Eine Frau ohne Alternative

Der Anlass zu den folgenden Überlegungen ergibt sich aus dem politischen Kalender unseres Landes. Im November 2015 wird Angela Merkel zehn Jahre lang das Amt der deutschen Bundeskanzlerin innegehabt haben. Dieser November wird verstreichen wie so viele Nebelmonate vor ihm, mit einem tiefhängenden Himmel und mit der Einsicht, dass es zum Weitermachen keine Alternative gibt.

Man wird das Datum bestaunen, man wird es aufbauschen und schließlich darüber hinweggehen. Immerhin bietet es Gelegenheit, den Unterschied zwischen einem Jubiläum und einem Einschnitt zu bedenken. Beim vorhersehbaren Gang der Dinge sind wir von einer Zäsur noch weit entfernt. Frau Merkel wird, wenn alles im Rahmen des Erwartbaren verläuft, ihr Amt bis 2017 ausüben, wobei mit zunehmenden Widerständen ebenso zu rechnen ist wie mit gleichbleibender Undurchdringlichkeit. Entwickeln sich die deutschen Dinge im eingespielten Modus fort, dürfte die Kanzlerin, wenn es nach den Wählern ginge, auf eine vierte Amtsperiode zählen, den irreparablen Fehlern zum Trotz, die sie soeben mit ihren Weisungen zur Flüchtlingspolitik begangen hat. Warum nicht auch auf eine fünfte?

„Wer hat, dem wird gegeben werden“

Merkwürdig, wie es klingen mag, die Kanzlerin hat sich dank einer unscheinbaren Magie in die Position einer Frau ohne Alternative gezaubert. Ihre Wiederwahl auf dem CDU-Parteitag von Hannover 2012 mit einer Zustimmungsquote von 97,9 Prozent deutet den Hang an, auf dem sie gleitet. Wer könnte angesichts einer solchen Zahl bezweifeln, dass sie es im Gleiten auf den Steilhängen der Gelegenheit zur Virtuosität gebracht hat?

1947 wird Sloterdijk in Karlsruhe geboren. Nach der Promotion und einem Aufenthalt im Ashram wird er freier Autor. Immer wieder stößt er gesellschaftspolitische Debatten an. 2001 bis 2015 ist er Rektor der Staatlichen Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe. Bekannt wird er mit dem „Philosophischen Quartett“ im ZDF. Sloterdijk ist Bestsellerautor und Vielschreiber. Die „Kritik der zynischen Vernunft“ von 1983 ist eines der meistverkauften philosophischen Bücher. Zu seinen Werken zählen „Du mußt dein Leben ändern“ und „Die schrecklichen Kinder der Neuzeit“. Im Oktober erscheint bei Suhrkamp sein neues Buch „Was geschah im 20. Jahrhundert?“. Quelle: dpa
Der Autor: Peter Sloterdijk

1947 wird Sloterdijk in Karlsruhe geboren. Nach der Promotion und einem Aufenthalt im Ashram wird er freier Autor. Immer wieder stößt er gesellschaftspolitische Debatten an. 2001 bis 2015 ist er Rektor der Staatlichen Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe. Bekannt wird er mit dem „Philosophischen Quartett“ im ZDF. Sloterdijk ist Bestsellerautor und Vielschreiber. Die „Kritik der zynischen Vernunft“ von 1983 ist eines der meistverkauften philosophischen Bücher. Zu seinen Werken zählen „Du mußt dein Leben ändern“ und „Die schrecklichen Kinder der Neuzeit“. Im Oktober erscheint bei Suhrkamp sein neues Buch „Was geschah im 20. Jahrhundert?“.

(Foto: dpa)

Zehn Jahre Merkel-Kanzlerschaft, das bedeutet, wie gesagt, keine Zäsur. Bestenfalls gibt es den Anlass zu einer Zwischenbetrachtung auf offener Strecke. Dass Angela Merkel eine konkrete Chance hat, im Jahr 2021 mit ihrem politischen Protektor Helmut Kohl gleichzuziehen, der es auf 16 Jahre brachte, wird kaum jemand mit ausreichenden Gründen bestreiten. Da nämlich Erfolg Erfolg erzeugt – dieses Geheimnis hat Matthäus, der Evangelist, niemand Geringerem als Jesus in den Mund gelegt, als er ihn sagen ließ: „Wer hat, dem wird gegeben werden“ –, ist nicht auszuschließen, die Ära Merkel könnte bis 2021 zu datieren sein, vielleicht sogar bis 2025. Die Pfarrerstochter wäre die Letzte, zu leugnen, dass Jesus recht hat, wo er recht hat. Mit einer fünften Amtsperiode würde sie ein in Demokratien praktisch unmögliches Zeitmaß erfüllen. Sie würde wahr gemacht haben, was Oppositionen zur Verzweiflung treibt und wovon Despoten träumen. Aus heutiger Sicht liegt diese Performance in ihrer Reichweite. Das Ende einer solchen Spanne würde man als Zäsur empfinden.

Politik: die Zeit, um auszuführen, was an der Zeit ist

Es lohnt sich, bei den Liaisonen von Politik und Dauer für einen Augenblick zu verweilen. Man möge bedenken, die unruhige Weimarer Republik, 1919 gegründet, hielt sich knapp 14 Jahre über Wasser; das aufgeputschte „Dritte Reich“ erreichte eine Brenndauer von zwölf Jahren; die sedative Ära Adenauer, 1949 beginnend, brachte es wieder auf 14 Jahre. Die übrigen Kanzlerschaften waren, wenn nicht ereignis- und folgenarm, so doch kurzatmiger. Seit dem Amtsantritt von Angela Merkel scheint der Strom deutscher politischer Geschichte erneut in ein Bett gefunden zu haben, in dem er sich mit einer unerwarteten Gleichmäßigkeit dahinwälzt, aller Strudel ungeachtet. Unwillkürlich denkt man hierbei an das Bonmot von Karl Marx, wonach es nicht darauf ankomme, die Widersprüche des gesellschaftlichen Lebens aufzulösen, sondern darauf, ihnen eine Form zu geben, in der sie sich bewegen können.

Wenn Politik die Kunst ist, die Zeit zu nutzen, um auszuführen, was an der Zeit ist (eine Definition, der unter den deutschen Kanzlern nach Adenauer nur Willy Brandt und Gerhard Schröder genügt haben), was hat sich dann im Merkel-Jahrzehnt getan?

Punkt 2: Die Lethargokratie lebt
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1 Kommentar zu "Zehn Jahre Kanzlerin Merkel: Die Machtwandlerin"

Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.

  • Nun hier irrt der Meister und das gewaltig. Die Persönlichkeit der Frau Merkel ist nicht geeignet wirkliche Probleme zu bewältigen. Strukturen einreißen ja, das sehr gut. Aber etwas funktionierendes Neues zu gestalten auf gar keinen Fall. Teure Beispiele gibt es nun wirklich genug. Bisher haben die "nur" Geld (Billionen langfristig gesehen) gekostet. Jetzt aber kommen Menschenmassen ins Spiel und da wird das Versagen viel schneller und unangenehmer deutlich.
    Menschen wie Merkel hinterlassen Chaos und verbrannte Erde. Mit politischen Deutungen wird man das Phänomen Merkel nie ergründen. Da muss man in ganz anderen Kategorien denken und vor allem das Offensichtliche auch sehen wollen, so unangenehm bzw. erschreckend das auch ist.
    Nein es wird keine weitere Amtszeit Merkel mehr geben. Der umgekehrte Fall, die vorzeitige Abdankung ist wesentlich realistischer und vor allem unumgänglich.

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