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Zukunftstechnologie Die Quantenoffensive: Wie Deutschland den Vorsprung der USA aufholen will

Im Schulterschluss mit der Wirtschaft will Berlin die Quantenforschung fördern. Bis 2025 soll es die Technologie für einen Quantencomputer made in Germany geben.
24.08.2020 - 04:00 Uhr Kommentieren
Das Wirtschaftsministerium bezeichnet Quantentechnologien als „den nächsten grundlegenden digitalen Technologiesprung“. Quelle: MISHA FRIEDMAN/The New York Time
Quantencomputer von IBM

Das Wirtschaftsministerium bezeichnet Quantentechnologien als „den nächsten grundlegenden digitalen Technologiesprung“.

(Foto: MISHA FRIEDMAN/The New York Time)

Berlin Die Quantencomputer haben in den vergangenen Jahren rasante Fortschritte gemacht. Im Unterschied zum herkömmlichen Computer arbeiten sie nicht auf Basis der klassischen Physik, sondern nutzen die Gesetze der Quantenmechanik.

Und auch wenn es bislang keine kommerziellen Anwendungen der Technik gibt – aus der Vision entsteht allmählich ein Markt. US-Konzerne wie IBM, Microsoft und Google treiben die Entwicklung voran. Auch Amazon ist eingestiegen

Die Bundesregierung will den Aufbruch in das neue Computerzeitalter nicht verpassen. Im Konjunkturpaket sind deshalb zwei Milliarden Euro zur Förderung der Quantentechnologie vorgesehen. Nicht um der Wirtschaft einen kurzfristigen Wachstumsimpuls zu geben, sondern um die Zukunftsfähigkeit der Industrie zu sichern und neue Abhängigkeiten zu vermeiden.

Im Bundeswirtschaftsministerium legt man sich auf das Ziel fest, dass bis 2025 die Technologie für einen deutschen Quantencomputer bereitsteht. „Was wir jetzt machen, wird darüber entscheiden, ob wir die industrielle Kompetenz der deutschen Wirtschaft erhalten können“, sagt Thomas Jarzombek, Beauftragter des Wirtschaftsministeriums für digitale Wirtschaft, dem Handelsblatt.

Das Wirtschaftsministerium erwartet, dass Quantencomputer zum „Treiber für Innovation und Wachstum“ werden können. Neben Forschungsinstituten sollen Unternehmen wie Bosch, Trumpf und NXP in die Offensive eingespannt werden. Das Interesse ist enorm: „Das disruptive Potenzial der Quantentechnologien wird Sensoren, Computer und Sicherheit, wie wir sie kennen, verändern“, erklärt Bosch.

Markt dürfte sich bis 2025 verdoppeln

Zwischen verschlungenen Kabeln sind gläserne Röhrchen zu erkennen, vier goldene Platten stechen hervor. Sie separieren das Gebilde, das oben an die Decke montiert ist und unten auf einen Zylinder zuläuft: Was aussieht wie ein extravaganter Kronleuchter, könnte eines nicht mehr fernen Tages das Wirtschaftsleben revolutionieren. Das seltsame Konstrukt ist ein Quantencomputer, ein Model aus der Reihe Q System One, gefertigt von IBM.

Vom kommenden Jahr an sollen Experten der Fraunhofer Gesellschaft in einem IBM-Rechenzentrum nahe Stuttgart an einem solchen Rechner forschen können. Doch Deutschland soll nicht dauerhaft auf Technologie-Importe aus den USA angewiesen bleiben. Daher fördert die Bundesregierung die Entwicklung eines Quantencomputers made in Germany.

Der Nutzwert der bisherigen Geräte ist gering, aber das dürfte sich bald ändern. Analysten von Morgan Stanley prognostizieren, dass sich der Markt für Quantencomputer bis 2025 auf zehn Milliarden Dollar pro Jahr verdoppelt. Und das wird wohl erst der Anfang sein.

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Quantencomputer können Probleme lösen, die heute unlösbar erscheinen. Aufgaben, für die herkömmliche Computer Jahrtausende benötigten, wären innerhalb weniger Augenblicke zu bewältigen. Effizientere Batterien und dringend benötigte Impfstoffe könnten so entstehen.

Entsprechend groß sind die Erwartungen der deutschen Wirtschaft. Der Autobauer BMW beispielsweise will die Technologie nutzen, um neue Materialzusammensetzungen zu simulieren oder die Arbeit von Robotern zu optimieren. Im Zusammenspiel mit Künstlicher Intelligenz erhofft sich BMW deutliche Fortschritte beim autonomen Fahren. „Quantum Computing ist für die BMW Group ein hochrelevantes Thema“, bestätigt das Unternehmen. 

Jenseits von Computern könnte die Quantentechnologie auch für besonders präzise Sensoren genutzt werden oder um satellitenbasierte Kommunikationssysteme aufzubauen, die vollkommen abhörsicher sind. 

Deutsche Fördermittel ähnlich hoch wie in den USA und China

Solange sich der kommerzielle Einsatz aber noch nicht lohnt, sind staatliche Investitionshilfen erforderlich. Mit den zwei Milliarden Euro aus dem Konjunkturpaket steht Berlin im internationalen Vergleich gut da. Die US-Regierung gibt etwas weniger, die chinesische Regierung Berichten zufolge etwas mehr aus.

Die Abstimmungen in der Bundesregierung laufen noch. Vorgesehen ist aber, dass die neuen Fördermittel zwischen Wirtschaftsministerium und Forschungsministerium aufgeteilt werden. Das Wirtschaftsministerium setzt stärker auf Industriepolitik, das Forschungsministerium eher auf Grundlagenforschung.

Beide Häuser wollen sich mit Partnern aus Wissenschaft und Wirtschaft zusammenschließen. So sollen zwei Konsortien entstehen, die bei Forschung und Entwicklung im Wettbewerb zueinander, zugleich aber auch im Austausch stehen.

Aus einen Papier des Wirtschaftsministeriums geht hervor, wie die deutsche Quantenoffensive ablaufen soll. „Kernanliegen des Bundeswirtschaftsministeriums ist es, die Wirtschaft bei der Entwicklung von Anwendungen von Quantencomputern gezielt zu unterstützen, Anwendungen am Bedarf von kleinen und mittleren Unternehmen zu orientieren und Anwendungspotenziale der Quantentechnologien möglichst rasch zu erschließen“, heißt es darin.

Neben Forschungsinstituten sollen Unternehmen wie Trumpf in die Quantenoffensive eingespannt werden. Quelle: AFP via Getty Images
Trumpf-Mitarbeiterin

Neben Forschungsinstituten sollen Unternehmen wie Trumpf in die Quantenoffensive eingespannt werden.

(Foto: AFP via Getty Images)

Das Wirtschaftsministerium arbeitet für das Quantenprojekt mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) zusammen, das wiederum mit Unternehmen im Gespräch ist, um ein Konsortium zu bilden und industrienahe Entwicklungen voranzutreiben. Nach Informationen des Handelsblatts zählen dazu der Autozulieferer Bosch, der Maschinenbauer Trumpf und der Hamburger Chiphersteller NXP

Um Deutschland als Spieler auf dem Markt für Quantentechnologie zu etablieren, sollen auch Mittelständler und Start-ups in die Quantenoffensive eingebunden werden. Speziell dafür will das Wirtschaftsministerium ein Kompetenzzentrum für Quantentechnologien an der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt einrichten, das unter anderem „den Technologietransfer durch Ausbildung, Gründerzentren, Aufklärungs- und Öffentlichkeitsarbeit“ unterstützt. Neben Hardware soll auch Software in Deutschland entwickelt werden, ohnehin ist beides bei Quantencomputern untrennbar verbunden. 

Noch haben die USA die Nase vorn

Zunächst jedoch muss Deutschland den Vorsprung der Amerikaner einholen: Alle bisher verfügbaren Quantencomputer stammen aus den USA. Grundsätzlich ist die Aufholjagd möglich, da ist sich Hansjörg Dittus, zuständiges Vorstandsmitglied des DLR, sicher: „Deutschland gehört in der Erforschung der Quantentechnik zur Weltspitze“, sagt er.

Schon vor der Krise war das DLR mit Vorschlägen zur Forschungsförderung an die Bundesregierung herangetreten. Das Konjunkturpaket hat Fahrt in die Verhandlungen gebracht. Die staatliche Förderung sei auch deshalb wichtig, da die Quantentechnologie ein „sicherheitsrelevantes Problem“ sei, sagt Dittus.

Denn Quantencomputer könnten schon bald in der Lage sein, jede bisher gebräuchliche Verschlüsselung zu knacken. „Alles, was wir uns in diesem Bereich mühsam aufgebaut haben, könnte schlagartig hinfällig werden“, warnt Dittus.

Auch deshalb sei es erforderlich, dass Deutschland und Europa eigene Kompetenzen entwickelten. „Das grundsätzliche Konzept eines Quantencomputers kennen wir seit 20 Jahren“, erläutert Dittus. „Die Frage ist, wie man es umsetzt. Da gibt es verschiedenste Wege, die man gehen kann.“

Dittus schwebt eine hybride Rechenanlage vor, bei der herkömmliche Hochleistungscomputer um Quantenelemente ergänzt werden. Das Ergebnis könnte ein Gerät sein, das nicht nur um ein Vielfaches leistungsfähiger, sondern auch wesentlich energiesparsamer ist als bisherige Supercomputer.

Auch die Fraunhofer Gesellschaft wirkt an der Quantenoffensive mit. Sie arbeitet dabei mit dem Forschungsministerium und dem Kanzleramt zusammen. „Wichtig ist, dass es eine nationale Kraftanstrengung von Wissenschaft und Wirtschaft wird“, betont Manfred Hauswirth, Leiter des Fraunhofer Instituts für offene Kommunikationssysteme (Fokus).

Er vergleicht die Entwicklung von Quantencomputern mit der Erforschung eines Corona-Impfstoffs und dämpft damit die Erwartungen: „Wir wissen, dass wir es schaffen werden. Aber wir können uns nicht glaubwürdig auf einen Zeitpunkt festlegen, an dem wir praxistaugliche Quantencomputer haben.“ Auch der Wirtschaft sei klar, dass hier ein „sehr dickes Brett“ gebohrt werden müsse. 

Der Chiphersteller Infineon bestätigt das: Trotz beeindruckender Erfolge seien die aktuell zugänglichen Quantencomputer aber noch nicht für eine allgemeine Anwendung geeignet, sagt ein Sprecher. „Die meisten Experten rechnen mit einer Verfügbarkeit von universell einsetzbaren Quantencomputern in voraussichtlich zehn bis 15 Jahren.“

Deutschland, der schlafende Riese

Die Bundesregierung will der deutschen Wirtschaft nicht nur einen Zukunftsmarkt öffnen. Sie will auch verhindern, dass die Quantentechnologie ein weiteres Feld wird, auf dem Deutschland auf fremdes Know-how angewiesen ist. „Quantencomputer gehören zu den Top drei Technologien, die wir beherrschen müssen. Sonst kommen die Rechner als Black Box – als Geräte, die wir nicht verstehen“, mahnt Jarzombek, der Digitalbeauftragte des Wirtschaftsministeriums.

Es gehe darum, die Fehler zu vermeiden, die etwa in der Netzwerktechnologie gemacht worden seien. Dort hätte Deutschland Kompetenzen verloren und sei „jetzt auf Lieferungen aus China angewiesen“, beklagt der CDU-Politiker. „Das darf uns nicht noch mal passieren.“

Der Zeitpunkt erscheint angesichts des wachsenden Tech-Nationalismus sinnvoll. „Die USA sehen Quantentechnologie als sicherheitsrelevant an“, sagt Frank Wilhelm-Mauch, Institutsleiter am Forschungszentrum Jülich und Initiator des Projekts „Open Super Q“, das selbst einen Quantencomputer entwickelt. 

Daher komme es zu Exportbeschränkungen – so sei eine Komponente, die ein amerikanisches Labor fertige, nicht mehr so einfach zu bekommen. „Es ist wichtig, dass die EU in ihre Souveränität investiert“, betont der Wissenschaftler.

Quantencomputer beschäftigen Wilhelm-Mauch seit 20 Jahren. Die Europäer hätten hervorragende Grundlagenarbeit geleistet, sagt er. „Die Amerikaner haben aber als erste fokussiert daran gearbeitet, kommerzielle Anwendungen zu entwickeln.“ Das Geld stammte zu einem guten Teil von der US-Regierung. „Die öffentliche Förderung hat private Investitionen nach sich gezogen.“

Das Rennen habe jedoch gerade erst begonnen. Angesichts der hervorragenden Forschung habe Europa eine gute Chance, es entwickle sich bereits ein Ökosystem. „Deutschland war bislang ein schlafender Riese, ist jetzt aber aufgewacht“, lautet das Fazit des Wissenschaftlers.  

Der Spielraum der EU ist begrenzt

Mit ihrem Vorhaben bringt die Bundesregierung neuen Schwung in die europäischen Bemühungen. Die EU-Kommission hatte bereits 2018 ihre „Quantum Flagship Initiative“ angestoßen, die die Arbeit der Forscher an den Grundlagen und Anwendungen etwa in der Kommunikation fördern und koordinieren soll. Rund eine Milliarde Euro über zehn Jahre sind dafür vorgesehen. 

Der Spielraum der EU ist begrenzt: Beim jüngsten Haushaltsgipfel haben die Staats- und Regierungschefs das Budget für die kommenden sieben Jahre kräftig zusammengestrichen. Dabei schwärmt besonders Industriekommissar Thierry Breton von den Möglichkeiten der Quantentechnologie.

Die Fähigkeit, im großen Stil parallele Berechnungen anzustellen, erlaube es den Rechnern, schon in naher Zukunft Probleme zu lösen, „die herkömmliche Supercomputer in tausend Jahren nicht knacken können“, sagt der frühere IT-Manager. Die möglichen Einsatzgebiete reichten von der Medizin über die Meteorologie bis zur Raumfahrt.

Doch auch Breton weist darauf hin, dass die gewaltige Rechenkraft Risiken berge: Mit Quantencomputern könnten Angreifer Zugriff auf hochsensible Informationen erhalten. Um sich gegen diese Gefahr frühzeitig zu wappnen, haben sich 24 EU-Staaten mit der Europäischen Weltraumagentur zusammengetan, um eine sichere Kommunikationsstruktur aufzubauen. Breton mahnt: „Für Europa ist das eine Frage der Souveränität.“

Mehr: Die Gesetze der Quantenmechanik: Eine bizarre Materie

Mitarbeit: Martin Buchenau, Markus Fasse, Siegfried Hofmann

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