Zuwanderung Fachkräfte wollen nach Deutschland – scheitern aber häufig an bürokratischen Hürden

Häufig erhalten Fachkräfte eine Aufenthaltsgenehmigung für sechs Monate, aber nur wenn ihre Qualifikation zuvor anerkannt wurde – und auch das geschieht nur selten.
Berlin Liefe alles rund im Einwanderungsland Deutschland, dann hätte Andreas Kopysov kein Geschäftsmodell mehr. Das Start-up Visaright, das der Ex-Beamte im Auswärtigen Dienst vor einem Jahr gründete, wickelt die Einreiseformalitäten für Ausländer ab, die zum Arbeiten oder zum Studieren nach Deutschland kommen wollen.
In einem aktuellen Fall war aber auch der Dienstleister mit seinem Latein am Ende. Ein Berliner Hightech-Unternehmen wollte einen Softwareentwickler aus Nigeria einstellen. Auf mehrfache Nachfrage teilte das deutsche Generalkonsulat in Lagos aber mit, dass es frühestens Anfang 2021 einen Termin frei habe.
Die Hightech-Firma winkte dankend ab – und Kopysov schrieb einen Brief an Kanzlerin Angela Merkel, in dem er sich über das schleppende Antragsverfahren beschwerte.
Es sind Nadelöhre wie diese, über die Merkel und einige ihrer Minister am Montag beim Fachkräftegipfel im Kanzleramt mit Vertretern der Länder, der Wirtschaft, der Gewerkschaften und der Bundesagentur für Arbeit (BA) diskutierten.
Denn auch wenn das neue Einwanderungsgesetz wie geplant am 1. März kommenden Jahres in Kraft tritt, ist noch lange nicht gesagt, dass begehrte Fachkräfte auch in Scharen kommen. Es gehe deshalb auch darum, „dass wir in den Drittländern als ein interessiertes, als weltoffenes Land rüberkommen“, sagte die Regierungschefin am Montagabend im Anschluss an das Spitzentreffen. Das Einwanderungsgesetz bedeute einen echten „Paradigmenwechsel“.
Allerdings halten Migrationsexperten das nach langem Ringen verabschiedete Gesetz nicht für den großen Wurf, der eigentlich nötig wäre. „Wir müssen prüfen, ob die rechtlichen Voraussetzungen nicht zu hoch sind, etwa was die Einreise zur Ausbildungsplatzsuche angeht“, sagte die Vorsitzende des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration, Petra Bendel, dem Handelsblatt. „Da hätten wir uns mehr Mut vom Gesetzgeber gewünscht.“ So sollen nur Absolventen einer deutschen Auslandsschule oder mit Hochschulzugangsberechtigung einreisen dürfen, um sich hier einen Ausbildungsplatz zu suchen.
Geschäftsrisiko Fachkräftemangel
Auch die Jobperspektiven von Fachkräften mit Berufsausbildung dürften sich kaum verbessern. Sie erhalten zwar künftig, wie bisher nur Akademiker, eine Aufenthaltserlaubnis für sechs Monate zur Arbeitsplatzsuche. Aber nur, wenn ihre Qualifikation zuvor anerkannt wurde.
Das passiere derzeit in etwa 4.000 Fällen pro Jahr, und das Gesetz werde wohl keine deutliche Steigerung bringen, erwartet Herbert Brücker, Migrationsexperte beim Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Eine Ausnahme gibt es nur für IT-Fachkräfte, die auch ohne formale Qualifikation kommen dürfen.
Bevor sie aber schon über Korrekturen am Einwanderungsgesetz nachdenkt, will die Bundesregierung es überhaupt erst mal ans Laufen bringen. „Die Sicherung des Fachkräftebedarfs ist eine der größten Herausforderungen für unseren Wirtschaftsstandort“, betonte Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU).
Denn trotz des wirtschaftlichen Abschwungs nannten in einer aktuellen DIHK-Umfrage 56 Prozent der Unternehmen den Fachkräftemangel als größtes Geschäftsrisiko. Alten- und Krankenpflegerinnen, IT-Experten, aber auch Klima- und Sanitärtechniker oder Bauelektriker werden weiter händeringend gesucht.
Die Regierung will inländische Arbeitskräftepotenziale noch stärker heben, aber Deutschland auch attraktiver für qualifizierte Einwanderer machen. Obwohl für Akademiker schon lange erleichterte Einreisebedingungen gelten, ist Deutschland für ausländische Fachkräfte mit Hochschulabschluss weiter nur mäßig interessant. Unter den 36 OECD-Ländern rangiert es bei der Beliebtheit lediglich auf Rang 12, wie aus einer aktuellen Studie der Industrieländerorganisation hervorgeht.
Das Einwanderungsgesetz soll die Attraktivität für akademisch wie beruflich gebildete Fachkräfte weiter erhöhen. „Unnötige Bürokratie wollen wir vermeiden, Anerkennungsverfahren vereinfachen, Visastellen besser ausstatten und die Antragsverfahren digitalisieren“, sagte Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD).
Um das Nadelöhr bei der Visavergabe zu vergrößern, hat das Auswärtige Amt nach eigenen Angaben bereits die personellen und räumlichen Kapazitäten stark beanspruchter Visastellen erweitert.
Im Bundeshaushalt 2020 sind Mittel für 109 zusätzliche Stellen in den Bereichen Visumsbearbeitung und Fachkräfteeinwanderungsgesetz vorgesehen. Zudem sollen Anträge auf Arbeitsvisa künftig auch verstärkt im Inland bearbeitet werden, etwa durch das neue Bundesamt für Auswärtige Angelegenheiten, das Anfang 2021 aufgebaut werden soll.
Eine Beschleunigung der Verfahren sei auf jeden Fall dringend geboten, mahnt Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer: „Warum sollte eine Fachkraft mehrere Monate oder teilweise bis zu einem Jahr auf einen Termin bei einer deutschen Botschaft warten, wenn sie schneller auch nach Holland oder in die Schweiz gehen kann? Deshalb brauchen wir eine überzeugendere Willkommenskultur.“
Auch die Wirtschaft selbst ist gefragt, denn es sind vor allem die Kammern, die über die Gleichwertigkeit beruflicher Abschlüsse entscheiden müssen. Die Bundesagentur für Arbeit soll hier eine Lotsenfunktion übernehmen.
Ab Februar 2020 werden 30 Berater in einer neuen Servicestelle bei der Zentralen Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) in Bonn ausländische Interessenten beraten und erste Dokumente der Antragsteller einsammeln. Die Anwerbung von Arbeitskräften aus Drittstaaten benötige einiges an Vorbereitung und Koordination, sagte BA-Vorstand Daniel Terzenbach. „Wir versuchen hier, einen fairen und transparenten Mobilitätsprozess zu organisieren.“
Sprachkenntnisse als hohe Hürde
Arbeitsminister Heil sieht die Wirtschaft aber auch in der Pflicht, eine „Anwerbestrategie“ zu entwickeln. „Sie muss uns sagen, in welchen Ländern sie für welche Branchen auch Fachkräfte anwerben will“, sagte er der ARD. So gibt es bereits das Programm „Triple Win“, mit dem die BA und die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) Pflegefachkräfte aus Bosnien-Herzegowina, Serbien, Tunesien und von den Philippinen anwerben.
Seit dem Projektstart 2013 bis November dieses Jahres haben laut BA aber nur 2.185 Pflegekräfte ihre Arbeit in Deutschland aufgenommen. Mehr als 1.000 weitere wurden bereits vermittelt, werden in ihrer Heimat aber noch vorbereitet oder warten auf das Visum. Im Jahresdurchschnitt 2018 waren bei der BA knapp 40.000 offene Stellen in der Alten- und Krankenpflege gemeldet.
Die Bundesregierung will auch in anderen Ländern wie Brasilien, Indien und Vietnam gezielt qualifiziertes Personal für deutsche Unternehmen anwerben, Grundlage sollen Partnerschaftsabkommen mit der Arbeitsagentur sein. Das Handwerk etwa plant Anfang kommenden Jahres gemeinsam mit der BA ein entsprechendes Pilotprojekt in Bosnien-Herzegowina.
Die Auslandshandelskammern sollen zudem verstärkt Rekrutierungsreisen für kleine und mittlere Unternehmen organisieren. Laut Merkel sollen die Partnerschaftsabkommen dazu beitragen, die Visaerteilung und die Anerkennung von Berufsabschlüssen zu beschleunigen. Wenn man wisse, nach welchen Standards ein Land ausbilde, müsse vielleicht die Qualifikation nicht in jedem Einzelfall überprüft werden, sagte die Regierungschefin.
Nach Daten des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) erteilten deutsche Behörden im vergangenen Jahr gut 30 000 Aufenthaltserlaubnisse für Fachkräfte aus Ländern außerhalb der EU. Insgesamt hielten sich Ende 2018 gut 266.000 Ausländer aus Drittstaaten in Deutschland auf, um hier zu arbeiten.
Auf die Frage, wie viele Fachkräfte zusätzlich durch das Gesetz nach Deutschland kommen könnten, wollte Merkel sich nicht festlegen. Allein das Handwerk habe aber von 250.000 sofort zu besetzenden Stellen berichtet. Arbeitgeberpräsident Kramer äußerte die Hoffnung, dass die Zahl in die „Hunderttausende“ gehen werde.
Eine große Hürde für viele Interessenten sind allerdings auch künftig die hohen Anforderungen an die Sprachkenntnisse, die das Einwanderungsgesetz formuliert. Auch wer zunächst nur temporär zur Suche nach einem Arbeits- oder Ausbildungsplatz einreisen will, muss gut Deutsch sprechen können.
Arbeitsminister Heil betonte aber, dass von niemandem ein Germanistikstudium verlangt werde. „Wir müssen aufpassen, dass nicht Probleme gesucht werden, wo es in der Praxis keine gibt“, sagte er. Auch Kanzlerin Merkel erklärte, dass berufsbezogen geprüft würde, welche Sprachkenntnisse erforderlich seien. An einen Einwanderer, der etwa in der IT-Branche arbeite und viel mit internationalen Kunden zu tun habe, seien sicher andere Anforderungen zu stellen als an eine Pflegekraft.
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