Energieversorgung Stromausfälle und Lieferengpässe: Nach Evergrande droht Chinas Wirtschaft die nächste Gefahr

Die chinesische Wirtschaft basiert auf Kohlestrom.
Qingdao Dass es in China zu kurzfristigen Stromengpässen kommt, ist für Industrieunternehmen in der Volksrepublik keine Seltenheit. Doch in den vergangenen Wochen ist es zu einer so großen Knappheit in weiten Teilen des Landes gekommen, dass immer mehr Analysten damit rechnen, dass dadurch das Wachstum der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt beeinträchtigt wird.
Seit August kam es in mehr als 20 Provinzen zu einer deutlichen Drosselung des Stromangebots. Insbesondere im wirtschaftlich starken Süden und im Nordosten des Landes wurden Fabriken heruntergefahren; Einwohner saßen über Stunden im Dunkeln, selbst Verkehrsampeln und Fahrstühle blieben über Stunden abgeschaltet, weil der Strom fehlte.
Anfang der Woche meldeten Zulieferer von Apple und Tesla Produktionsausfälle, aber auch die deutsche Wirtschaft vor Ort ist betroffen. „Die Engpässe in der Stromversorgung haben sich in den vergangenen Tagen nochmals stark ausgebreitet“, sagt Stefan Gätzner, Chefrepräsentant des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) in Peking.
Deutsche Unternehmen seien von den Stromausfällen in unterschiedlichem Ausmaß betroffen. „Einigen wurde der Strom für mehrere Stunden abgestellt, andere mussten ihre Produktion für mehrere Tage unterbrechen“, so Gätzner.
Grundsätzlich habe man schon Verständnis für die Maßnahmen, sagte Jens Hildebrandt, Geschäftsführer der Deutschen Handelskammer in China, dem ARD-Hörfunk. Aber dafür, wie sie umgesetzt würden, habe man kein Verständnis. Denn die Unternehmen werden teilweise nur wenige Stunden vor der Abschaltung darüber informiert.
Analysten revidieren Wachstumsprognosen
Erste Analysten setzten aufgrund der sich weiter zuspitzenden Lage bei der Stromversorgung in dieser Woche ihre Wachstumsprognosen für China herab. Nach der japanischen Investmentbank Nomura schraubte auch die US-Bank Goldman Sachs ihre Erwartungen nach unten. Die Bank rechnet für dieses Jahr nun nicht mehr wie bislang mit 8,2 Prozent, sondern nur noch mit 7,8 Prozent Wachstum.
Am Donnerstag wird der offizielle Einkaufsmanagerindex der Industrie (PMI) für September veröffentlicht. „Wir erwarten im September einen starken Rückgang der Einkaufsmanagerindizes für das verarbeitende Gewerbe und des Wachstums der Industrieproduktion, was vor allem auf die drakonischen Maßnahmen der lokalen Regierungen zur Senkung des Energieverbrauchs und der Energieintensität sowie auf weitverbreitete Stromausfälle infolge von Kohleknappheit zurückzuführen ist“, heißt es in einer aktuellen Analyse von Nomura.
Die Probleme bei der Stromversorgung kommen ausgerechnet zu einer Zeit, in der das Wachstum Chinas durch große Umwälzungen im Immobiliensektor ohnehin beeinträchtigt ist. Chinas zweitgrößter Immobilienkonzern Evergrande steckt in der Krise.
Als Grund für die weitreichenden Stromausfälle sehen Beobachter zwei Hauptfaktoren: Zum einen ist der Preis für Kohle in China in den vergangenen Monaten extrem gestiegen. Das liegt laut Einschätzungen von Beobachtern auch daran, dass die Volksrepublik wegen politischer Spannungen mit Australien keine Kohle mehr aus dem bislang für die Versorgung sehr wichtigen Land importiert.
Der Anstieg der Kohlepreise habe in Verbindung mit dem Kohlemangel die Verfügbarkeit von thermischen Kraftwerken verringert, sagt Yan Qin, Kohleexpertin beim Analysehaus Refinitiv. „Kohlekraftwerke machen aufgrund der Verdoppelung der Kohlepreise und des unveränderten Stromtarifs Verluste pro erzeugter Kilowattstunde.“
Ein weiterer Grund sind nach Einschätzungen von Experten die strikten Energiesparvorgaben der chinesischen Führung. Einige Provinzen hätten die Industrie angewiesen, ihre Stromproduktion in der zweiten Septemberhälfte zu drosseln, um die Energieziele zum Jahresende zu erreichen, so Qin.
Chinas rasanter Aufstieg zur zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt basiert auf gewaltigen Mengen von billigem Kohlestrom, der vielerorts das Wachstum treibt. 2019 lag der Anteil von Kohlestrom an der Primärenergieerzeugung bei rund 70 Prozent. Die Kohleverstromung ist eine der Hauptursachen dafür, dass China beim Ausstoß klimaschädlicher Gase weltweit Spitzenreiter ist.
Doch das soll sich ändern. Vor rund einem Jahr hatte Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping angekündigt, dass die Volksrepublik vor 2060 klimaneutral werden wolle, und versprochen, dass der Ausstoß von Kohlendioxid noch vor 2030 den Höhepunkt erreichen werde. Die Energieeffizienzvorgaben sind Teil des Planes, wie Peking dieses Ziel erreichen will.
Deutsche Wirtschaft fürchtet Preiserhöhungen
Die deutsche Wirtschaft ist besorgt, dass die Engpässe in der Stromversorgung Dominoeffekte haben werden. „Insbesondere energieintensive Industrien wie Zement-, Aluminium- und Stahlproduzenten müssen ihre Produktion immer wieder stoppen“, sagte BDI-Chinarepräsentant Gätzner. „Dadurch wird es zu Preiserhöhungen oder gar Lieferengpässen gerade im Bereich der Grundstoffe kommen.“
Die Krise in der Stromversorgung schürt auch Sorgen, dass es erneut zu einer Beeinträchtigung der ohnehin unter Engpässen leidenden Chipproduktion kommen könnte. Bislang sehen das Analysten in größerem Umfang jedoch nicht.
Mehr: Exempel an Evergrande: Peking geht damit ein hohes Risiko ein.
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Schade, dass es kaum Berichte darüber gibt, wie umfangreich Kohlekraftwerke die überschüssige Wärme in den Wohn-Wärme-Markt lenken und so Wohnblocks als Wärmesenke nutzen, die Bewohner andererseits wenig für Heißwasser und Heizung ausgeben müssen. China hätte dazu große Möglichkeiten. In Deutschland verbraucht der Wärmemarkt ca. ⅓ der Gesamt-Energie. Wo diese Energie in D herkommen soll, künftig, steht in den Sternen.