Der Ursprung der IG Farben liegt in der Osterwoche des Jahres 1856 – ironischerweise in London: Dem Chemiestudenten William Henry Perkin experimentiert in seiner Dachzimmerwohnung an einem Verfahren, Chinin synthetisch herzustellen. Dabei erfindet er zufällig rotes Pulver. Ihm ist es gelungen, eines der begehrtesten Produkte des Färbehandwerks herzustellen: Purpur. Auf dieser Entdeckung fußt der spätere Aufstieg der deutschen Chemie-Industrie.
Deutsche Firmen, allen voran BASF, erkennen die neue Chancen der Farbenproduktion sehr viel schneller als die Konkurrenz im Ausland. Durch geschicktes Taktieren mit Patenten und intensiver Forschung gelingt es, Anfang der 1870er-Jahre die Marktführerschaft zu übernehmen. Das BASF-Werk in Ludwigshafen wächst rasant.
1897 notiert August Wilhelm von Hofmann die Formel für Acetylsalicylsäure, 1899 wird Aspirin in den Markt eingeführt. Besonders wichtig ist seine fiebersenkende Wirkung. Noch heute ist Aspirin für Bayer das wichtigste Produkt. Nach dem Ersten Weltkrieg geht es vor allem darum, den Markennamen Aspirin zu schützen, auf den es Firmen in Frankreich, Großbritannien und den USA abgesehen hatten. Das gelingt erst nach einem langen, harten Kampf.
Die Bevölkerung wächst rasant und die Landwirtschaft hat Mühe, für ausreichend Nahrungsmittel zu sorgen. Kunstdünger gewinnt an Bedeutung. Fritz Haber und Carl Bosch melden Patent an für ihr Verfahren zur synthetischen Herstellung von Ammoniak, das als Ersatz für Salpeter zur Herstellung von Düngemitteln verwendet wird. Ein großer Profit für BASF.
Am 1. Mai 1915 meldet Carl Bosch der Heeresführung, dass BASF mit der Massenproduktion von Salpetersäure begonnen hat. Das Munitionsproblem ist gelöst, die Armee kann weiterkämpfen. Derweil produzieren die Chemiekonzerne auch Giftgas für die Front.
Die Chemieunternehmen profitieren stark vom Krieg. Sie werden mit Geldern und Zwangsarbeitern ausgestattet, um die dramatische Rohstofflage des Reiches auszugleichen. Das gilt vor allem für die Produktion von Sprengstoffen und Munition. 1916 regt BASF-Chef Duisberg die Deportation von 60.000 Zwangsarbeitern an.
Bereits 1904 gab es die erste „Interessen-Gemeinschaft“ der deutschen Teerfarbenindustrie. Schon damals war es Bayer-Chef Carl Duisberg, angeregt von der Erfahrungen seiner US-Reisen und den dortigen „Trusts“, der die enge Verzahnung vorantrieb. Nach dem Ersten Weltkrieg drängte er vor allem BASF-Chef Carl Bosch zum Zusammenschluss. Am 2. Dezember 1925 ist es dann soweit, die Fusion folgt 1926. Mit dabei sind unter anderen Höchst (heute Teil von Sanofi-Aventis) und Agfa.
Im Oktober 1929 brechen an der Wall Street die Kurse ein. Der Kurswert von vielen US-Unternehmen sinkt dramatisch. Die Banken gerieten durch die vielen Pleiten unter Druck und forderten ihre Auslandskredite zurück. Deutschland erlebte einen massiven Abfluss an Kapital. Es folgte eine Wirtschaftskrise und einen starken Anstieg der Arbeitslosigkeit. Die IG Farben trennte sich von 46 Prozent der Belegschaft. Das Augenmerk wurde wieder auf den Binnenmarkt gelenkt.
Die IG Farben haben den Aufstieg der NSDAP bis hin zur Ernennung von Adolf Hitler zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 wachsam und mit einer gewissen Missbilligung verfolgt. Zwar war der Konzern der KPD und auch der SPD feindlicher gesonnen. Doch die extremistische Rhetorik der Nationalsozialisten beunruhigte die Führungsebene sehr. Zudem waren viele Wissenschaftler und auch Aufsichtsratsmitglieder der IG Farben Juden.
Im Jahr 1933 überweist die IG Farben 4,3 Millionen Reichsmark auf die Konten der NSDAP. Dafür rettete Hitler später das von Bosch so geliebte und profitable Verfahren zur Herstellung von synthetischem Treibstoff. Im März 1933 werden die Mitarbeiter in einem Brief aufgefordert, mit der NSDAP zu sympathisieren und der ausländischen Presse nicht zu glauben.
Am 14. Dezember 1933 schließen die IG Farben den sogenannten „Benzinvertrag“ mit der Reichsregierung ab. Das sichert dem Konzern den Absatz von 350.000 Tonnen synthetischem Benzin. Für die IG Farben ist dieser Deal unschätzbar wertvoll und eine üppige Belohnung für die vergleichsweise geringen Parteispenden.
Im Mai 1938 bekommt die IG Farben die Erlaubnis, Betriebe in der Tschechoslowakei zu arisieren. War der Konzern beim Anschluss Österreichs noch passiver Beobachter, half sie dem Reich bei der Vorbereitung des nächsten Territorialgewinns deutlich mehr. Der Vorstand der IG Farben hat zwar tatsächlich ehrliches Mitgefühl mit den Sudetendeutschen, aber vor allem geht es um die Übernahme einer der größten tschechoslowakischen Firmen.
Deutschland fällt in Polen ein und besiegt das kleine Land mühelos. Die Führung der IG Farben macht sich direkt daran, die wichtigsten Chemiefirmen des Landes zu übernehmen.
Im Juni 1940 wird der Feldzug im Westen erfolgreich abgeschlossen. In der Zentrale der IG Farben in Frankfurt feiert man den Sieg über Frankreich ganz besonders. Mehrere Verantwortliche haben immer noch schmerzliche Erinnerungen an die Verhandlungen nach dem Ende des Ersten Weltkrieges und die Behandlung durch die Franzosen.
Am 7. April 1941 verkündet die IG Farben offiziell die Gründung eines Unternehmens zur Herstellung von synthetischem Kautschuk in Auschwitz. Dieses Vorhaben ist der dunkelste Fleck in der Geschichte des Unternehmens. Wie viele zehntausende Zwangsarbeiter für die IG Farben ihr Leben ließen, ist nicht genau bezifferbar. Die Schätzungen reichen von 40.000 bis 200.000, wobei letztere Zahl zu hoch sein dürfte.
Am 22. Juni 1941 startet Hitler die Operation Barbarossa, den Angriff auf die Sowjetunion. Der bis heute größte militärische Angriff aller Zeiten war zunächst ein Erfolg, wovon die IG Farben direkt profitierte. Denn es gab eine enorme Zahl an Kriegsgefangenen, die nicht zuletzt zur Zwangsarbeit nach Auschwitz gebracht wurden. Die ersten von ihnen trafen im Oktober 1941 ein.
Am 5. September 1941 wird Zyklon B zum ersten Mal beim Mord an 900 sowjetischen Gefangenen eingesetzt. Das Blausäurepräparat war ursprünglich zur Schädlingsbekämpfung entwickelt worden und wurde von einer Tochterfirma der IG Farben hergestellt.
Der Vorstand der IG Farben beschließt Ende Juni 1942, ein eigenes Konzentrationslager in Auschwitz zu errichten. Da die Zwangsarbeiter effektiver verwendet werden können, zahlen sich die Kosten für das KZ aus. Bis dahin hat kein Privatunternehmen etwas Ähnliches versucht.
Albert Speer bezeichnet den 12. Mai 1944 als „den Tag, den dem der technische Krieg entschieden wurde“. Die 8. US-Luftflotte greift mit 935 Bombern die deutschen Treibstoffwerke der IG Farben an. Das riesige Werk in Leuna erleidet schwere Schäden.
Die letzten Mitarbeiter der IG Farben verlassen das Werk in Auschwitz in der vierten Januarwoche 1945. Die IG Auschwitz war ein nahezu kompletter Fehlschlag gewesen. Der Bau der Fabrik hatte 900 Millionen Reichsmark verschlungen. Rund 40.000 Menschen dürften dabei ihr Leben gelassen haben. Das Werk produzierte zwar eine gewisse Menge sprengstofftaugliches Methanol, aber keinen Liter synthetisches Benzin.
Als die Alliierten am 14. April 1945 das Werk in Leverkusen unter ihre Kontrolle bringen, zeigen sich die Mitarbeiter von Bayer umgehend bereit, den Schutt wegzuräumen, die Maschinen zu reparieren und die Produktion so schnell wir möglich wieder in Gang zu bringen. So geschah es bei allen Werken im Westen – im Osten sah es dagegen ganz anders aus. Die Sowjets waren vielmehr daran interessiert, die Werke zu demontieren.
Am 27. August 1947 startet der Mammutprozess gegen 23 ehemalige Führungskräfte der IG Farben. Ehemalige Zwangsarbeiter werden angehört und Tausende Dokumente ausgewertet. Nach 152 Verhandlungstagen füllt das Protokoll 16.000 Seiten. Die Urteile fallen vergleichsweise milde aus, die Kriegsverbrecher schon nach zwei Jahren wegen „guter Führung“ entlassen.
1951 wird beschlossen, die IG Farben in ihre ursprünglichen Bestandteile zu zerschlagen. Von ihren Nachfolgeunternehmen sind heute noch Wacker, BASF und Bayer selbstständig. Die Hoechst AG ist inzwischen Teil von Sanofi-Aventis, dem drittgrößten Pharmakonzern der Welt.
Am 1. Januar 1952 tritt die IG Farben in Liquidation. Der neue Name lautet IG Farbenindustrie AG i.L. Drei Jahre später wurde das Unternehmen aus der Kontrolle der Alliierten genommen und befand sich fortan jahrzehntelang in Abwicklung.
Am 10. November 2003 melden die Liquidatoren der IG Farbenindustrie Insolvenz an. Grund ist, dass die Beteiligungsgesellschaft WCM finanzielle Schwierigkeiten hat. Die Aktien der „IG Farben iL“ sind allerdings immer noch börsennotiert.