Afghanische Flüchtlinge Der Türkei droht ein neues Flüchtlingsproblem – und damit auch der EU

3,6 Millionen Geflüchtete aus Syrien leben mittlerweile in der Türkei, hinzu kommen Hunderttausende weitere Migranten, etwa aus Afghanistan.
Istanbul Die chaotische Lage nach der Machtübernahme in Afghanistan durch die Taliban hat Folgen für die Türkei und könnte auch für die Europäische Union zum wachsenden Problem werden. Denn neben den mehr als drei Millionen syrischen Flüchtlingen, die in der Türkei Zuflucht gefunden haben, strömen nun seit Wochen Zehntausende Afghanen über den Iran in die Türkei.
Nach einer Krisenkonferenz der EU-Außenminister erklärte EU-Chefdiplomat Josep Borrell, dass er das Gespräch mit den Taliban suchen wolle, um eine „Migrationskatastrophe“ zu verhindern. Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) kündigte an, die Stabilität in der unmittelbaren Nachbarschaft Afghanistans zu verbessern.
Was jedoch mit den Hunderttausenden Menschen geschehen soll, die Afghanistan in den vergangenen Monaten bereits verlassen haben, ist damit nicht geklärt. Die Grenzen zur EU sind dicht, also stranden viele in anatolischen Großstädten. Das sorgt für Unmut in der türkischen Bevölkerung – und könnte die Regierung wiederum dazu animieren, Druck auf Europa auszuüben.
Die größte Oppositionspartei CHP heizt die ohnehin angespannte Situation an, indem sie Stimmung gegen Flüchtlinge macht. Sollte seine Partei an die Macht kommen, würden alle Flüchtlinge in ihre Herkunftsländer zurückgeschickt, sagt Oppositionschef Kemal Kilicdaroglu. „Wir werden das Flüchtlingsproblem lösen. Mit Trommelwirbel werden wir uns von den Flüchtlingen verabschieden.“
Solche Aussagen aus der Opposition ermutigen nationalistische Bürger, die Migrantenviertel türkischer Großstädte unsicher zu machen. Dort kommt es in diesen Tagen zu Ausschreitungen: Menschen werfen Steine auf die Fensterscheiben von Läden, zerschlagen die Scheiben eines Kiosks, zerstören Inventar, skandieren Hassparolen. „Wir wollen keine Flüchtlinge“, ruft der Mob. Am Ende werden laut Berichten ein syrisches Mädchen und ein Junge verletzt.
Die Türkei hat so viele Flüchtlinge aufgenommen wie kein anderes Land der Welt. Rund 3,6 Millionen Geflüchtete aus Syrien leben mittlerweile dort, hinzu kommen Hunderttausende weitere Migranten, etwa aus Afghanistan.
Afghanen fallen nicht unter den Flüchtlingspakt
Die Migrationskrise in der Türkei könnte also noch weiter eskalieren – schlicht, weil es derzeit für die Opposition politisch opportun ist. In der EU schaut man bisweilen zu, was passiert, frei nach dem Motto: Solange die Menschen nicht bei uns anklopfen, liegt das Problem bei der Türkei.
Doch das könnte sich bald ändern. Der Flüchtlingspakt zwischen Brüssel und Ankara, der womöglich bald noch einmal verlängert wird, betrifft nur die Syrer in der Türkei. Gemäß diesem Abkommen bekommt ein Flüchtling nur 400 Euro pro Jahr.
Afghanen etwa fallen nicht unter den Flüchtlingspakt, genau wie die Migranten aus anderen Ländern, die in der Türkei illegal Zuflucht finden. Sie sind in der Türkei Menschen dritter Klasse und deshalb eher geneigt weiter in Richtung EU zu reisen.
Schon jetzt stammt der Großteil der Menschen, die von der Türkei aus auf griechischen Inseln ankommen, ursprünglich aus Afghanistan. Der Abzug der westlichen Truppen aus dem Land sowie der Vormarsch der Taliban haben eine beispiellose Flüchtlingswelle Richtung Westen ausgelöst.
Europa muss laut EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni einen Korridor für die Aufnahme von Flüchtlingen aus Afghanistan schaffen. „Ich denke, dass Europa sich unweigerlich für humanitäre Korridore und eine organisierte Aufnahme rüsten muss“, sagte er der Zeitung „Il Messaggero“. „Zumindest sollten die Länder, die dazu bereit sind, dies tun.“ Das sei auch notwendig, um einen Zustrom von illegalen Einwanderern zu verhindern.
Der Druck auf die EU steigt: Wenn die Opposition die Stimmung weiter anheizt, muss die türkische Regierung irgendwann darauf reagieren. Dazu hat Staatschef Recep Tayyip Erdogan zwei Möglichkeiten: Er kann von der EU mehr Geld verlangen – oder die Menschen Richtung Europa durchwinken.
Mehr: Die türkische Inflation trifft auch die deutsche Wirtschaft.
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Ääh, Moment einmal, also ich habe gerade auf dem Atlas nachgeschaut: zwischen Afghanistan und der Türkei liegt (westwärts) zumindest ein großer Staat: der Iran. Im Norden liegen die (muslimischen) ehemaligen Sowjetrepubliken Turkmenistan, Tadschikistan, Usbekistan (wohin sich glaube ich auch Präsident Ghani "abgesetzt" hat), im Süden und Südosten das (muslimische) Pakistan.
Wenn ich verfolgt werde, dann versuche ich als Erstes, in das nächstgelegene Land zu gelangen, in dem ich eben NICHT verfolgt werde - und das im günstigsten Falle auch noch eine gleiche oder ähnliche Religion / Sprache / Kultur hat.
Ich würde also aus Afghanistan nach Pakistan, nach Usbekistan, in den Iran usw. flüchten.
Aber wieso in die Türkei?? Dorthin würde ich nur dann flüchten, wenn ich in Wirklichkeit weiter nach Westen will. Und warum will ich dort hin?? Na, "klickt" es jetzt endlich??!!
Außerdem kann ich nur dann als Flüchtling dorthin, wenn das Transitland Iran kein Interesse oder kein Geld hat, um mich als Flüchtling dort leben zu lassen und die Grenze gen Türkei aufmacht!! Sollten also größere Flüchtlingsströme im Iran eintreffen, dann muss man das Land eben finanziell unterstützen - aber eben keine Sanktionen oder ein Embargo verhängen, weil "es" für den "Westen" eben ganz, ganz "böse" ist!!!