Afghanistan Deutschland reduziert Botschaftspersonal - USA verlegen tausende Soldaten Richtung Kabul

Die Taliban erobern derzeit in Afghanistan Stadt für Stadt.
Denzlingen Als Konsequenz aus dem Vormarsch der militant-islamistischen Taliban in Afghanistan hat die Bundesregierung beschlossen, das Personal der deutschen Botschaft in Kabul in den nächsten Tagen auf das „absolute Minimum“ zu reduzieren. Das sagte Außenminister Heiko Maas (SPD) am Freitag im baden-württembergischen Denzlingen. Es werde dazu sofort ein Unterstützungsteam in die afghanische Hauptstadt geschickt.
Die Botschaftsmitarbeiter würden mit Chartermaschinen ausgeflogen, sagte Maas weiter. Darin würden auch afghanische Ortskräfte, die früher für die Bundeswehr oder Bundesministerien gearbeitet haben oder heute noch für sie arbeiten, ausgeflogen. Zwei Charterflüge waren dafür bis Ende des Monats geplant.
„Alle weiteren Maßnahmen werden wir mit unseren internationalen Partnern in den nächsten Tagen abstimmen“, sagte Maas. Die reagieren zum Teil noch robuster auf die dramatischen Geländegewinne der Taliban in dem Land. So kündigte das US-Verteidigungsministerium an, bis Sonntag 3000 Soldaten nach Kabul verlegt zu haben. Auch der britische Premier Boris Johnson verkündete ähnliches.
Nahezu alle westlichen Staaten riefen ihre Bewohner auf, das Land sofort zu verlassen. Nach Angaben des deutschen Außenministeriums hält sich noch eine hohe zweistellige Zahl deutscher Staatsbürger in Afghanistan auf.
Am Freitag waren nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur 18 der 34 Provinzhauptstädte unter Kontrolle der Islamisten. Nach der zweitgrößten Stadt Kandahar in der Nacht und der wichtigen Stadt Laschkargah am Morgen eroberten die Taliban mit Pul-i Alam in der Provinz Logar eine Provinzhauptstadt nur rund 70 Kilometer südlich der Hauptstadt Kabul.
Dänemark und Norwegen schließen Botschaften
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) sicherte seine Unterstützung für die Ausreise der Ortskräfte zu. „Ob Charterflüge oder Visaerteilung nach Ankunft in Deutschland: Ich unterstütze alle Maßnahmen, die eine schnelle Ausreise unserer Ortskräfte und ihrer Familien ermöglichen“, versprach der CSU-Politiker. „Ich habe immer gesagt und ich wiederhole: Am Innenministerium wird die zügige Ausreise der Ortskräfte und ihrer Familien nicht scheitern. Für Bürokratie ist keine Zeit, wir müssen handeln.“
Dänemark und Norwegen schließen vorübergehend ihre Botschaften in Kabul. Sämtliche Angestellte der dänischen Botschaft werden evakuiert, darunter auch lokal ansässige afghanische Mitarbeiter, wie der dänische Außenminister Jeppe Kofod am Freitagnachmittag nach Angaben der Nachrichtenagentur Ritzau und der Sender DR und TV2 auf einer Pressekonferenz in Kopenhagen sagte.
Kurz darauf kündigte auch Norwegens Außenministerin Ine Eriksen Søreide einen solchen Schritt ihres Landes an. Beide machten klar, dass die Sicherheit von Angestellten, Entsandten und lokalen Mitarbeitern allerhöchste Priorität habe.
Dänemark und Norwegen sind beides Nato-Mitglieder. Beide skandinavischen Länder sind in den vergangenen Jahren am Nato-Einsatz in Afghanistan beteiligt gewesen.
Am Nachmittag kamen Vertreter der Nato-Staaten zusammen, um über die Lage zu beraten. Die Sicherheit des Personals vor Ort habe oberste Priorität, teilte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg im Anschluss mit. Angesichts des hohen Maßes an Gewalt durch die Taliban sei man sehr besorgt. Die diplomatische Präsenz der Nato solle aber aufrechterhalten werden.
Die USA kündigten am Freitag an, neben den 3000 Soldaten nach Kabul bis zu 4000 weitere Soldatinnen und Soldaten nach Kuwait und rund 1000 nach Katar zu entsenden. Der Abzug der US-Soldaten aus Afghanistan solle aber weiterhin bis 31. August abgeschlossen werden, hieß es. Ein Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums schloss nicht aus, dass auch Bundeswehrsoldaten zur Absicherung einer Rückholaktion zum Einsatz kommen könnten. Die Bundeswehr halte Kräfte bereit, die „im Falle eines Falles zur Verfügung stehen“, sagte er.
Entwicklungsprojekte werden ausgesetzt
Das Entwicklungsministerium setzt alle Projekte in den von den Taliban eroberten Gebieten Afghanistans aus. „Die Projektmittel der deutschen Entwicklungszusammenarbeit werden nicht in Taliban-Gebieten eingesetzt“, sagte Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) am Freitag in Berlin. Die entsprechenden Projekte seien schon vorübergehend gestoppt worden oder würden noch gestoppt. „Die Sicherheit aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der deutschen Entwicklungszusammenarbeit hat absolute Priorität.“
Gleichzeitig forderte Müller eine Verstärkung der humanitären Hilfsmaßnahmen für Flüchtlinge innerhalb Afghanistans. „Mit Sorge bewerten wir die aktuell katastrophale humanitäre Lage von Kindern und Flüchtlingen in Afghanistan und den angrenzenden Staaten“, sagte er. „Eine Verstärkung der internationalen Hilfsmaßnahmen in der gesamten Region ist aktuell dringend notwendig.“
Deutschland hat Afghanistan alleine für dieses Jahr 430 Millionen Euro Hilfe zugesagt. Maas hatte bereits angekündigt, dass davon kein weiterer Cent fließen werde, wenn die Taliban die Macht übernehmen.
Mehr: Kommentar: Der Westen ist nicht machtlos gegen die Taliban
Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.