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Afghanistan „Friedliche Machtübergabe“: Taliban kurz vor Kontrolle des Landes

Während die USA mit Militär Landsleute evakuieren, zeichnen sich in Afghanistan Konturen eines Machtübergangs ab. Der deutsche Innenminister spricht vom „Scheitern“ des Einsatzes.
15.08.2021 Update: 15.08.2021 - 13:06 Uhr Kommentieren
Neben der US-Botschaft in Kabul steigt Rauch auf. Taliban-Kämpfer sind am Sonntag in die Außenbezirke der afghanischen Hauptstadt eingedrungen und haben das Land weiter unter ihre Kontrolle gebracht, während in Panik geratene Mitarbeiter aus Regierungsbüros flohen und Hubschrauber in der Botschaft landeten. Quelle: dpa
Blick auf Kabul

Neben der US-Botschaft in Kabul steigt Rauch auf. Taliban-Kämpfer sind am Sonntag in die Außenbezirke der afghanischen Hauptstadt eingedrungen und haben das Land weiter unter ihre Kontrolle gebracht, während in Panik geratene Mitarbeiter aus Regierungsbüros flohen und Hubschrauber in der Botschaft landeten.

(Foto: dpa)

Kabul Nach ihrem schnellen Eroberungsfeldzug quer durch Afghanistan haben die radikal-islamischen Taliban die Hauptstadt Kabul erreicht. Sie rückten am Sonntag nach Angaben des afghanischen Innenministeriums in die Stadt ein. Die Aufständischen kämen „von allen Seiten“ nach Kabul, sagte ein ranghoher Ministeriumsvertreter der Nachrichtenagentur Reuters. Das Präsidialamt teilte auf Twitter mit, dass an verschiedenen Stellen rund um Kabul Schüsse zu hören seien. Die Sicherheitskräfte würden aber in Abstimmung mit internationalen Partnern die Kontrolle über die Stadt halten.

Die Taliban erklärten, ihre Kämpfer seien angewiesen, an den Zugängen zur Hauptstadt zu stoppen. Es werde über eine friedliche Übergabe verhandelt. Auch Afghanistans Innenminister Abdul Sattar Mirsakwal kündigte einem Medienbericht zufolge einen „friedlichen Übergang“ an. Sollte dieser gelingen, könnte nach Angaben aus Diplomatenkreise von Sonntagmittag der ehemalige afghanische Innenminister und Botschafter in Deutschland, Ali Ahmad Jalali, eine Übergangsregierung führen. Ob die Taliban Jalalis Ernennung zustimmen, sei noch nicht klar. Er gelte aber als Kompromisskandidat, der potenziell von allen Seiten akzeptiert werden könnte.

Ein Nato-Vertreter sagte, dass mehrere EU-Mitarbeiter an einen sichereren Ort in Kabul gebracht worden seien. Die USA begannen mit der Evakuierung ihrer Botschaft und brachten Diplomaten per Hubschrauber zum Flughafen. Auch Deutschland bereitet einen Evakuierungseinsatz vor.

Die Taliban-Führung erklärte in Doha, dass allen Menschen, die Kabul verlassen wollten, ein sicherer Abzug gewährt werde. Die Taliban-Kämpfer seien angewiesen, Gewaltanwendung zu vermeiden. Frauen sollten sich an geschützte Orte begeben. Ein Taliban-Vertreter sagte zu Reuters, die Extremisten-Gruppe wolle Opfer vermeiden.

Bislang sei noch niemand in Kabul von einem Taliban-Kämpfer getötet oder verletzt worden. Er verwies aber auch darauf, dass keine Waffenruhe erklärt worden sei. Noch vor wenigen Tagen hieß es in einer Einschätzung der US-Geheimdienste, dass Kabul noch mindestens drei Monate standhalten könne.

Ein Hubschrauber der USA von Typ Chinook fliegt über der US-Botschaft in Kabul. Hubschrauber landen auf der US-Botschaft in Kabul und Diplomatenfahrzeuge verlassen das Gelände, während die Taliban auf die afghanische Hauptstadt Kabul vorrücken. Quelle: dpa
US-Hubschrauber über Kabul

Ein Hubschrauber der USA von Typ Chinook fliegt über der US-Botschaft in Kabul. Hubschrauber landen auf der US-Botschaft in Kabul und Diplomatenfahrzeuge verlassen das Gelände, während die Taliban auf die afghanische Hauptstadt Kabul vorrücken.

(Foto: dpa)

Kurz zuvor hatten die Taliban mit Dschalalabad auch die vorletzte große Stadt in Afghanistan erobert. Die Extremisten rückten nach Angaben eines Behördenvertreters kampflos in die Hauptstadt der Provinz Nangarhar im Osten des Landes ein. Erst am Samstag hatten sie offenbar ebenfalls ohne großen Widerstand Masar-i-Scharif im Norden eingenommen, wo die Bundeswehr bis zu ihrem Abzug im Juni ihr Hauptquartier und größtes Feldlager in dem Land hatte.

Sicherer Abzug für Regierungsbeamte?

In Dschalalabad habe sich der Gouverneur den Taliban ergeben sagte ein Vertreter der Sicherheitsbehörden. Dies sei die einzige Möglichkeit gewesen, das Leben von Zivilisten zu retten. Ein anderer Behördenvertreter sagte, die Islamisten hätten zugestimmt, Regierungsbeamten und Sicherheitskräften sicheren Abzug zu gewähren. Mit Dschalalabad kontrollieren die Taliban auch eine der wichtigsten Verbindungsstraßen nach Pakistan.
Am Samstag waren die Taliban-Kämpfer praktisch ohne Gegenwehr nach Masar-i-Scharif eingerückt, wie regionale Regierungsvertreter mitteilten. Die Sicherheitskräfte seien etwa 80 Kilometer nördlich ins benachbarte Usbekistan geflohen. Auch zwei einflussreiche Milizenführer, die die Regierung unterstützen - Atta Mohammed Nur und Abdul Raschid Dostum - sind geflohen. Nur erklärte in den sozialen Medien, dass die Taliban aufgrund einer „Verschwörung“ die Kontrolle über die Provinz Balch und ihre Hauptstadt Masar-i-Scharif erlangt hätten.

Immer mehr Geflüchtete in Kabul

Die Taliban waren seit dem Beginn des Abzugs der internationalen Truppen nach 20-jährigem Einsatz in Afghanistan zuletzt immer schneller vorgerückt und bis vor die Tore Kabuls vorgestoßen. In Kabul trafen zuletzt immer mehr Flüchtlinge ein. Krankenhäuser mühten sich um die Versorgung zahlreicher Verletzter. Vor den Toren der Botschaften standen ganze Familien. In der Innenstadt versuchten sich viele Menschen mit Vorräten einzudecken. Hunderte Menschen übernachteten zusammengekauert in Zelten oder im Freien an Straßenrändern oder auf Parkplätzen, wie ein Anwohner berichtete. „Man kann die Angst in ihren Gesichtern sehen“, sagte er. Die Taliban werteten in einer Erklärung ihr rasches Vordringen als Beleg für ihre Akzeptanz in der Bevölkerung. Niemand müsse um sein Leben fürchten, auch Ausländer hätten nichts zu befürchten.

Seehofer: „Der Einsatz ist gescheitert“

Der deutsche Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) rechnet angesichts der Lage mit einem Flüchtlingsstrom und hält den 20-jährigen Afghanistan-Einsatz für gescheitert. „Man muss damit rechnen, dass sich Menschen in Bewegung setzen, auch in Richtung Europa“, sagte er der „Augsburger Allgemeinen“. „Das ist keine Angstmache, sondern eine realistische Beschreibung der Situation.“ Es gehe dabei nicht nur um Afghanistan, sondern auch um Länder wie Pakistan, Iran, die Türkei oder Libyen.

„Wir stehen vor schwierigen Entwicklungen“, warnte der CSU-Politiker. Zwar sei die Motivation des Einsatzes in Afghanistan nach den Anschlägen vom 11. September 2001 berechtigt gewesen. „Aber im Ergebnis ist der langfristige Einsatz nach 20 Jahren relativer Stabilität gescheitert“, räumt er ein. „Was im Moment in Afghanistan geschieht, ist ein Desaster.“

Das große Ziel sei es gewesen, die Lebensbedingungen für die Menschen zu verbessern und Stabilität ins Land zu bringen. „Heute muss man leider festhalten: Das ist gescheitert. Das trifft mich auch menschlich sehr.“ Er sei zwar immer ein kritischer Abgeordneter gewesen, was den Einsatz betroffen habe. Aber er habe akzeptiert, dass es auch Verbesserungen etwa für Frauen und in der Bildung gegeben habe. „Aber leider waren diese Erfolge nicht nachhaltig. Das ist das Dilemma.“
Ein militärisches Eingreifen halte er jetzt nicht mehr für möglich, sagte Seehofer. „Das, was jetzt durch die Amerikaner und durch die Briten geschieht, dass man die Reduzierung des Botschaftspersonals militärisch absichert, ist das Maximum.“

US-Präsident Joe Biden warnte derweil die Extremsten vor Übergriffen auf Amerikaner. Seine Regierung habe Taliban-Vertretern in Katar mitgeteilt, dass jede Aktion, die US-Bürger und -Soldaten in Gefahr bringe, „mit einer schnellen und starken militärischen Reaktion der USA beantwortet werden wird“. Das Verteidigungsministerium stockte die Truppen zur Evakuierung von 3000 auf 5000 Soldaten auf. Sie sollen dabei helfen, Botschaftspersonal und einheimische Ortskräfte auszufliegen.

Bundeswehr bereitet Einsatz zur Evakuierung vor

Auch Deutschland will Mitarbeiter der diplomatischen Vertretung und deutscher Hilfsorganisationen sowie einheimische Helfer möglichst schnell ausfliegen. Die Bundeswehr bereitet dazu einen Evakuierungseinsatz vor. Einsatzkräfte stünden bereit und würden schnellstmöglich in Marsch gesetzt, teilte Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer am Samstag mit. Kanzlerin Angela Merkel beriet am Samstag nach Angaben eines Regierungssprechers mit mehreren Ministern über die Lage.

Taliban erreichen Kabul – Bundeswehr bereitet Einsatz vor

Eine Beteiligung des Deutschen Bundestags an einer solchen Entscheidung werde erfolgen. Die Luftwaffe will laut einem Bericht der „Bild am Sonntag“ am Montag mit Militärtransportern vom Typ A400M nach Kabul fliegen, um deutsche Bürger und afghanische Ortskräfte abzuholen.

Bundesaußenminister Heiko Maas bezeichnet die Sicherheit des Botschaftspersonals als oberstes Gebot. „Wir werden nicht riskieren, dass unsere Leute den Taliban in die Hände fallen. Wir sind für alle Szenarien vorbereitet“, sagt der SPD-Politiker der „Bild am Sonntag“. Der Zeitung zufolge wird in Taschkent in Usbekistan eine Drehscheibe für die Evakuierung errichtet. Mit Chartermaschinen solle es dann weiter nach Deutschland gehen.

Mehr: Taliban erobern Masar-i-Scharif

  • rtr
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