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Afghanistan Grenzenlose Verzweiflung: EU steht in der Flüchtlingspolitik vor großen Herausforderungen

In Afghanistan hat die Massenflucht begonnen. Nach den Evakuierungen wird Europa über die Aufnahme von Flüchtlingen reden müssen.
16.08.2021 Update: 17.08.2021 - 06:19 Uhr 1 Kommentar
In Afghanistan versuchen viele Menschen verzweifelt, vor dem Terror der Taliban zu fliehen. Quelle: Reuters
Menschen versuchen, auf den Flughafen in Kabul zu gelangen

In Afghanistan versuchen viele Menschen verzweifelt, vor dem Terror der Taliban zu fliehen.

(Foto: Reuters)

Berlin, Brüssel, Bangkok Nach der Machtübernahme der radikalislamischen Taliban hat in Afghanistan die Massenflucht begonnen. Die USA und die EU-Staaten versuchen unter größten Schwierigkeiten, ihre Staatsbürger aus der Hauptstadt Kabul auszufliegen. Auch Afghanen, die den Terror der „Gotteskrieger“ fürchten, ergreifen die Flucht.

UN-Generalsekretär António Guterres sprach vor dem Sicherheitsrat in New York von „erschreckenden Berichten über schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen im ganzen Land“. Besonders betroffen seien Frauen und Mädchen.

Am Sonntag waren die Taliban in Kabul eingerückt. Am Flughafen spielten sich am Montag chaotische Szenen ab. Teilweise wurde das Rollfeld von panischen Menschen gestürmt, um einen Platz in einer Maschine zu bekommen. US-Soldaten feuerten Warnschüsse ab. Die Evakuierungsflüge mussten teilweise ausgesetzt werden.

Zwei Militärtransporter der Bundeswehr vom Typ Airbus A400M befanden sich am Montag auf dem Weg nach Afghanistan. Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte, Deutschland müsse rund 10.000 Personen evakuieren. Sie sprach von „bitteren Stunden“, man habe ein Land mit demokratischen Strukturen aufbauen wollen, „das ist nicht gelungen“.

CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet nannte die Entwicklungen in Afghanistan das „größte Debakel, das die Nato seit ihrer Gründung erlebt hat“. Was am Hindukusch passiere, sei eine „politische und humanitäre Katastrophe“. Außenminister Heiko Maas (SPD) gestand ein, dass die Bundesregierung die Lage falsch eingeschätzt habe.

Derzeit bewachen bewaffnete US-Soldaten den militärischen Teil des Flughafens von Kabul. Von dort aus laufen die internationalen Evakuierungsmissionen. Sie sind derzeit die einzige Möglichkeit, von Kabul außer Landes zu kommen: Kommerzielle Linienflüge gibt es nicht mehr. Immer wieder kommt es zu Tumulten, auch dabei sterben wohl Menschen.

Deutschland will 10.000 Menschen in Sicherheit bringen

Der Ansturm auf die letzten Fluchtmöglichkeiten ist das Resultat massiver Ängste, die mit der Taliban-Herrschaft einhergehen. „Die Taliban sind seit Langem bekannt dafür, dass sie Zivilisten, die sie als Feinde sehen, töten und misshandeln“, sagt Patricia Gossman von Human Rights Watch.

Angesichts des rasanten Vormarschs der Taliban in Afghanistan will die Bundeswehr deutsche Staatsbürger und afghanischer Ortskräfte aus Kabul evakuieren. Quelle: dpa
Transportflugzeug der Luftwaffe startet auf dem Fliegerhorst Wunstorf

Angesichts des rasanten Vormarschs der Taliban in Afghanistan will die Bundeswehr deutsche Staatsbürger und afghanischer Ortskräfte aus Kabul evakuieren.

(Foto: dpa)

Von einer „Schmach“ sprach Karl Lamers (CDU), Delegationsleiter der deutschen Mitglieder in der parlamentarischen Versammlung der Nato. Der Verteidigungsausschuss des Bundestags hätte darauf gedrungen, Ortskräfte auszufliegen. „Wir haben eigentlich Zeit genug gehabt und ich kann mir nicht erklären, warum das nicht längst geschehen ist. Ich muss sagen: Ich fasse es nicht“, sagt Lamers.

Es gehe dabei nicht nur um direkte Partner der Bundeswehr, sondern auch um Zuarbeiter von Medien und der diplomatischen Vertretungen. „Die müssen alle in Sicherheit gebracht werden“, forderte Lamers. „Das sind mehr als 10.000 Menschen.“

10.000 ist auch die Zahl, die Kanzlerin Angela Merkel im CDU-Bundesvorstand nannte. Die Luftwaffe der Bundeswehr sollte einen Pendelverkehr von Kabul nach Taschkent in Usbekistan einrichten. Man wolle so viele Menschen wie möglich ausfliegen, sagte Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU). Sie sprach von der Notwendigkeit eines robusten Mandats für einen robusten Einsatz.

Bislang haben die Taliban nicht versucht, das Flughafengelände einzunehmen. Kramp-Karrenbauer sprach von einem „gefährlichen Einsatz“. Noch im Juni hatten CDU, CSU und SPD einen Antrag der Grünen im Bundestag abgelehnt, der die Aufnahme afghanischer Ortskräfte vorsah.

Lamers forderte, dass sich die Nato-Partner bei den Evakuierungsflügen gegenseitig unterstützen. Die Grünen-Außenpolitikerin Hannah Neumann sagte, der Flughafen müsse noch länger geschützt werden, um mehr Menschen die Ausreise zu ermöglichen. „Viele Menschen, selbst solche in Kabul, erreichen den Flughafen gar nicht“, sagte sie.

Die Taliban bemühten sich indes darum, als möglichst harmlos wahrgenommen zu werden: „Das Leben, das Eigentum und die Ehre soll von niemandem Schaden nehmen“, teilte ein Sprecher der radikalislamischen Gruppierung mit.

Taliban werden Gesprächspartner

Die Kämpfer patrouillierten mit ihren mit Maschinengewehren ausgestatteten Pick-up-Trucks durch die 4,5 Millionen Einwohner große Metropole und richteten Kontrollposten ein. Waffen von Zivilisten konfiszierten sie mit der Begründung, die Menschen könnten sich nun sicher fühlen.

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Eine direkte Zusammenarbeit des Westens mit den Taliban ist nicht ausgeschlossen. „Auch eine neue Regierung in Afghanistan ist auf Finanzmittel der EU angewiesen“, sagte Europaparlamentarierin Neumann. „Wenn hier alle Mitgliedstaaten mit einer gemeinsamen Verhandlungsposition an einem Strang ziehen, können wir Einfluss nehmen.“

Aussagen von Nato oder der EU zu diesen Fragen waren am Montag nicht zu bekommen. Er sei in intensivem Kontakt mit Partnern, schrieb der EU-Außenbeauftragte Josep Borell auf Twitter. Am Dienstagnachmittag sollen sich die Außenminister der EU zusammenschalten. „Die EU-Außenminister sollten bei ihrer Sitzung klarmachen, was die Mindestbedingungen für Hilfszahlungen an Afghanistan sind“, sagte der grüne Politiker Reinhard Bütikofer. „Ob es weiter Geld gibt, muss an das Verhalten der Machthaber geknüpft sein.“

Der belgische Politikwissenschaftler Sven Biscop vom Egmont Institute riet zu einer Kontaktaufnahme: „Will man einen gewissen Einfluss in dem Land haben, wird man nicht drum herumkommen, mit denen zu sprechen, die die Macht haben“, sagte er.

Weitere schwierige Verhandlungen stehen mit dem Iran bevor, in den schon in den vergangenen Wochen viele Afghanen geflüchtet sind. Laut Kanzlerin Merkel ist mit weiteren Flüchtlingsbewegungen zu rechnen, was Hilfe für die Nachbarländer erforderlich mache. Die Kontakte mit dem Iran sind allerdings gerade auf einer schlechten Basis.

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Erst vor zwei Wochen trat der Hardliner Ebrahim Raisi sein Amt als Präsident des Landes an. Dadurch wirkt auch das Atomabkommen mit dem Westen gefährdet. Nun scheint eine Situation möglich, in der der Westen den Iran eigentlich sanktionieren will, ihm gleichzeitig aber Geld für die Aufnahme von Flüchtlingen bereitstellen muss.

Bisher lässt der Iran Flüchtlinge ungehindert in die Türkei weiterreisen, wo sie aber immer mehr auf eine feindselige Stimmung treffen. Auch das Flüchtlingsabkommen zwischen der EU und der Türkei ist auf beiden Seiten so unbeliebt, dass es kaum als Grundlage für eine engere Zusammenarbeit geeignet ist.

In der EU geht es nun auch um die Frage, wie man sich auf die neuen Flüchtlinge vorbereitet. Die Krise, in der sich die EU-Flüchtlingspolitik seit 2015 befindet, ist nicht gelöst. Noch immer weigern sich Staaten, die ihnen zugewiesenen Kontingente an Flüchtlingen aufzunehmen.

Städtetag für gezielte Strategie im Umgang mit Geflüchteten

Bütikofer plädiert dafür, die Konflikte ruhen zu lassen und nur mit jenen Staaten zusammenzuarbeiten, die zu Aufnahmen generell bereit sind: „Die Differenzen in Europa über die Flüchtlingspolitik werden sich nicht schnell lösen lassen“, sagte er. „Darum braucht es eine Koalition der Willigen, wenn es dazu kommen sollte, dass viele Afghanen aufgenommen werden müssen.“ Der Deutsche Städtetag pocht auf Hilfe für Afghanistans Nachbarländer und eine nationale Strategie zur Flüchtlingsaufnahme. „Humanitär helfen ist jetzt das Gebot der Stunde“, sagte Städtetagspräsident Burkhard Jung der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. „Deutschland und die internationale Staatengemeinschaft müssen umgehend Hilfen in großem Umfang in die Region schicken.“ Vor allem die unmittelbaren Nachbarländer Afghanistans müssten massiv unterstützt werden, um flüchtende Menschen versorgen und aufnehmen zu können.

Der SPD-Politiker Jung, der auch Leipziger Oberbürgermeister ist, verlangte vom Bund zudem zügig eine nationale Strategie zur Aufnahme von Flüchtlingen aus Afghanistan. Die geplante Ausreise von 10 000 Menschen mit Hilfe deutscher Kräfte aus Afghanistan sei „ein Akt von Menschlichkeit und aktiver Hilfe“, an dem auch die Städte mitwirken würden. Die Perspektive sei aktuell aber völlig unklar. „Die Städte müssen wissen, was auf sie zukommt - denn sie sind es letztlich, die viele Quartiere für Geflüchtete bereitstellen. Die Bundesregierung muss unverzüglich ihre Strategie zum künftigen Umgang mit Afghanistan erstellen“, forderte Jung.

Mehr: Verfolgen Sie die aktuellen Entwicklungen in der Afghanistan-Krise in unserem Newsblog

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1 Kommentar zu "Afghanistan: Grenzenlose Verzweiflung: EU steht in der Flüchtlingspolitik vor großen Herausforderungen"

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  • Das ist mal wieder ein Vorgeschmack für kommende Migrations-Wellen. Die EU sollte in Afrika einen Landstrich pachten, ähnlich damals HongKong, für 100 Jahre. Dort einen Flüchtlings-Staat errichten und Migranten, die an den Grenzen zur EU auftauchen, in das neue Land verbringen. Wenn sich alle EU-Staaten finanziell daran beteiligen, Finanzierung durch die EZB, 100 Jahre Laufzeit, Zinsen Null, ist das kein übergroßer Aufwand. Die Migranten müssen arbeiten, in dem sie den Unterhalt des Staates gewährleisten. Alle Migranten können jederzeit ausreisen, nur nicht unkontrolliert in die EU einreisen. Die EU nimmt nur die auf, die auch wirtschaftlich benötigt werden. Die EU muss sich endlich robuster gegen die neuen Völkerwanderung wehren, sonst wird sie zum Sozialamt der Welt.

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